Das von ihm grafisch umgesetzte Buch Anita war die erste Publikation des avant-verlags, jetzt legte Stefano Ricci im selbigen sein neuestes Werk Die Geschichte des Bären vor, ein in jeder Hinsicht sperriges Leseobjekt. Bereits der schiere Umfang von gut 430 Seiten erschlägt einen beim ersten Durchblättern; die düstere Grundstimmung in feinen Nuancen aus Schwarz und Grau tut ihr Übriges. Kein Zweifel: Ricci hat jede Menge Arbeit und Herzblut in diesen voluminösen Comic gesteckt, der sich ausschließlich aus ganzflächigen Doppelseiten zusammensetzt.
Die Striche eines jeden Panels, wenn man diese hier überhaupt so nennen mag, umranden dabei eine malerische Inszenierung. Nicht jede Zeichnung ist einwandfrei zu identifizieren, nicht jede Landschaft in den dichten Schatten der verschwommen Grafik zu erkennen. Aber jedes Bild wirkt mit seiner Weitläufigkeit wie ein aufwändiges Gemälde, das an den Wänden einer Kunstgalerie hängen könnte. Die monotone, optische Struktur ist mit den konventionellen Maßstäben eines Comics zwar kaum greifbar, spricht somit allerdings auch für die einzigartige Form, die der italienische Zeichner für seine Art der Comicerzählung gewählt hat. Dabei bleibt er im Großen und Ganzen seinem Stil verhaftet, wie man ihn aus Anita und weiteren Arbeiten kennt: Der Einsatz von Acryl, Tusche und Kreide führt zu einer veritablen Mischtechnik, die wenig Raum für dynamische Abläufe lässt (wofür sich der Seitenaufbau aber ohnehin nicht eignet), dafür durch ihre schiere Präsenz in den Bann zieht.
Die Geschichte des Bären baut auf den Ereignissen rund um den Braunbären Bruno auf, jenem tierischen Wanderer, der im Jahr 2006 durch Österreich, Deutschland und Slowenien stapfte und als sogenannter „Problembär“ eine Jagdhysterie auslöste. Riccis darauf basierende Erzählung stellt eine, mitunter überfordernde, Vermengung aus gleich mehreren, thematischen Strängen dar. Sein Bruno, ein anthropomorpher, durch die Wälder streifender Verfolgter, ist lediglich der personifizierte Ausgangspunkt für eine clever inszenierte Fabel auf parallel ablaufenden Ebenen. Während der fast wie ein Panda wirkende Braunbär in Manfred einen Freund und Helfer findet, entspinnen sich im Off-Text Berichte, Briefe und Träume rund um einen Sanitäter namens Stefano und seinem Kollegen, sowie Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg. Später verkehren sich diese Ebenen und die Sanitäter werden als Hase und Affe im Bild gezeigt, während Brunos Odyssee im Begleittext weiterläuft.
Unverkennbar ist, dass Stefano Ricci mit diesem Buch sein eigenes Leben reflektiert, dessen Mittelpunkt er vor nicht allzu langer Zeit von Italien nach Deutschland verlagert hat. Vielleicht sieht er sich selbst als unsicheren Wanderer, der auf der Suche nach einer neuen Heimat war und sich unterwegs mit fremdartigen Menschen und Situationen auseinander setzen musste. Über derlei Gedankenspiele und Parallelen zu Bruno muss man als Leser zwangsweise nachdenken, auch wenn der Comic selbst nach Hunderten von Seiten keine Antworten verspricht. Zu nebulös sind Riccis Plotstücke, zu unscharf die Trennung zwischen autobiografischen und fiktionalen Anteilen. Als sicher erscheint, so man die Bilder und Kommentare im Anhang richtig zu deuten weiß, dass Stefano Ricci und seine Frau, die Künstlerin Anke Feuchtenberger, in Die Geschichte des Bären ebenso repräsentiert sind wie der Tierexperte Heinz Meynhardt, der zur Figur des Manfred inspirierte. Überdies scheint Ricci seine Familiengeschichte und das Leben seiner Vorfahren zu verarbeiten.
Bei all diesen inhaltlichen Fäden, der grafischen Sperrigkeit und der vorherrschenden Vagheit könnte man dem Künstler sicherlich vorwerfen, dass er es bei allem Bemühen, eine persönliche Geschichte zu Papier zu bringen, nicht schafft, dem Leser einen emotionalen Zugang zu gewähren. Das stimmt auch. Der Versuch, dennoch einen zu finden, birgt indes eine nicht zu verachtende Herausforderung.
Ein forderndes Werk, das aus dem Rahmen fällt; aufwändig, tiefgründig und nicht für jedermanns Geschmack
avant-verlag, 2014
Text/Zeichnungen: Stefano Ricci
Übersetzung: Myriam Alfano
432 Seiten, zweifarbig, Hardcover
Preis: 34,95 Euro
ISBN: 978-3-945034-07-1
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