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Capa – Die Wahrheit ist das beste Bild

„Wenn deine Bilder nicht gut sind, warst du nicht nah genug dran.“ Robert Capa
Mit diesem Zitat beginnt Florent Silloray seine grafische Biografie über den Kriegsfotografen Robert Capa (1913-1954). Damit gibt er sich den Maßstab für seinen Comic in gewisser Weise selbst vor, schließlich erzählt er seine Geschichte in Bildern. Es stellt sich also unweigerlich die Frage, inwieweit es Silloray gelungen ist, die entscheidenden Momente aus Capas Leben wiederzugeben. Um die Antwort vorwegzunehmen: Leider war Silloray nicht nah genug dran!

Florent Silloray lebt in der Nähe der südwestfranzösischen Hafenstadt La Rochelle und hat sich bereits vor seinen ersten Comics einen Namen als Kinderbuchillustrator gemacht. Schwerpunktmäßig widmet er sich dabei fernen Ländern und deren Kulturen. Capa folgt dem Stil seiner ersten Comicveröffentlichung Auf den Spuren Rogers, die im August 2013 beim avant-verlag erschienen ist. In dieser (auto-)biografischen Erzählung begibt sich Silloray auf eine Reise auf den Spuren der Erlebnisse seines Großvaters Roger als Soldat und Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. Das Thema Krieg ist demnach ein Bindeglied zwischen beiden Comics, wobei Capa rein biografisch angelegt ist und aus der Perspektive des Fotojournalisten erzählt wird.

alle Bilder © Knesebeck Verlag

Der Comicautor stellt der chronologischen Erzählung der Erlebnisse Capas eine Vorahnung voraus, die eine Ausgangsfrage einleitet. Die ersten beiden Seiten zeigen Capa in seinem „letzten Winter“ beim Skifahren in den Schweizer Alpen. Im Frühjahr 1954 steckt Capa mitten in einer gravierenden Lebenskrise. Silloray zeichnet einen müden Robert Capa mit Rückenschmerzen und geplagt von tiefen Selbstzweifeln. Capa, der von vielen als der weltbeste Kriegsfotograf angesehen wurde, war seit 1945 an keiner Front mehr und hat sich auf Reportagen in vornehmen Seebädern verlegt. Alle, denen der tragische Tod Capas in Indochina im Jahr 1954 bekannt ist, dürften auf den nun folgenden achtzig Seiten eine Schilderung erwarten, wie es dazu gekommen ist.

Sillorays Psychogramm des Fotografen dreht sich um Alkohol, Glücksspiel und Frauen. Das ist leider allzu einseitig und will auch nicht zur monoton distanzierten und wenig authentisch wirkenden Erzählerstimme aus dem Off passen, in der ein hitzköpfiger Draufgänger sein eigenes Leben Revue passieren lässt. Rhythmus und Tonlage weisen dramaturgische Schwächen auf, sodass es dem Comic nicht gelingt, den Leser zu packen und in eine so aufregende Biografie wie Capas hineinzuziehen. Mehr pointierte Dialoge hätten der Erzählung nicht geschadet.

Richard Whelan ist mit seiner umfassenden Capa-Biografie ein wesentlich differenzierteres Porträt des Fotografens gelungen. Silloray lässt beispielsweise aus, warum der 1913 in Budapest als Endre Ernö Friedmann in eine jüdische Schneiderfamilie geborene Capa bereits mit 17 Jahren ins Exil gehen musste und fortan ein Leben als Nomade führte. Grund war sein frühes Engagement für die politische Linke. Für ein besseres Verständnis wäre zumindest ein Anhang mit biografischen Daten wünschenswert gewesen, der solche biografischen Lücken schließt.

Das Titelbild des Comics zeigt den jungen Capa mitten in einer Demonstration der Republikaner während des Spanischen Bürgerkriegs, wie er seine Kamera mit der rechten Hand demonstrativ in die Höhe hält, nicht etwa, um damit zu fotografieren – eher eine Geste, die an die kämpferisch geballte Faust der Demonstranten und an den Gruß der Kommunisten erinnert. Capa befindet sich mitten im Geschehen und zeigt offenbar eine politische Haltung. Kämpft er mit der Kamera in der Hand für die Sache der Demonstranten? Wirkt sich dieses Bekenntnis auf den Wahrheitsgehalt seiner Fotos aus? An der Beantwortung solcher Fragen ist Silloray wenig gelegen. In diesem Zusammenhang ist die deutsche Übersetzung des Titels auch irreführend: Die Wahrheit ist das beste Bild ist der gleichlautende Titel der Capa-Biografie des amerikanischen Autors Richard Whelan. Bei Whelan findet sich auch das entsprechende Capa-Zitat aus einem Interview gegenüber dem World Telegram: „In Spanien braucht man keine Tricks, um Bilder aufzunehmen. Man braucht seine Kamera (d. h. seine Motive) nicht zu stellen. Die Bilder sind da, und man nimmt sie einfach auf. Die Wahrheit ist das beste Bild, die beste Propaganda.“ (Whelan 1993: 139).

Der französische Originaltitel des Comics Capa – l’Etoile filante setzt Capa mit einer Sternschnuppe gleich und spielt somit auf seinen rasanten Aufstieg und sein plötzliches Ende an: ein Titel, der Sillorays Schwerpunkt viel treffenderer beschreibt. Es handelt sich bei Sillorays Werk schließlich nicht um eine Nacherzählung von Whelans Biografie. Schon ein kurzer Blick ins Literaturverzeichnis, das bei Comics keine Seltenheit mehr ist, zeigt darüber hinaus weitere Quellen auf. Letztendlich gelingt es Silloray aber nicht, Capas Biografie einen neuen Aspekt hinzuzufügen; ohne entsprechendes Vorwissen ist Capa außerdem nicht ganz verständlich.

Die recht grob gehaltene zeichnerische Umsetzung ist sehr ansprechend gelungen und bietet im Detail abwechslungsreiche Effekte: Beispielsweise ahmt Silloray eine gewisse Schärfentiefe von Fotos nach, indem er auf Seite 8 die Umrisslinien weiter zurückliegender Gebäude im Hintergrund weglässt. Bei der Farbwahl beschränkt sich Silloray noch stärker als zuvor auf Schwarz und Weiß sowie Grau- und Sepiatöne mit wenigen Akzenten in roter Farbe. Das Farbspektrum hat damit eine historisierende Wirkung, die durch den braunen Untergrund noch verstärkt wird – bei Auf den Spuren Rogers war es den Erzählparts des Großvaters vorbehalten, während die autobiografische Reise in bunten Panels nachgezeichnet wurde. Für Capa hat das ganz einfach auch den praktischen Vorteil, dass Silloray bei der Verarbeitung von Capas Schwarz-Weiß-Fotos näher an den Vorlagen bleiben kann. Der Rückgriff auf Grautöne signalisiert Rückblenden, was bei der Darstellung der Landung in der Normandie am D-Day von der Zeitebene her etwas unbegründet wirkt. Die Akzentsetzung durch die Farbe Rot, die zum Ende hin auf der Flagge der Sowjetunion, der Zeitschrift Life, einem Sakko eines Kellners, Blut und schließlich als rotes Licht in einer Dunkelkammer auftritt, kann als eine Vorahnung von Capas Tod gedeutet werden.

Silloray reproduziert nicht bloß Capas Fotografien, sondern verändert dabei die Einstellungen, sodass er Capa in dem Moment zeigt, in dem er auf den Auslöser drückt. Natürlich darf das Foto „Tod eines spanischen Loyalisten“ nicht fehlen. Als Ikone des 20. Jahrhunderts zählt das Foto aus dem Jahre 1936 mit dem im Augenblick des Todes fallenden Soldaten an der Córdoba-Front des Spanischen Bürgerkriegs. Heute fest im kollektiven Bildgedächtnis verankert und eines der meistveröffentlichen Kriegsfotos, hatte es die Weltöffentlichkeit bei seiner Veröffentlichung schockiert.

Ein kleiner Wermutstropfen ist das Lettering, das mit der Sprechblasengröße der französischen Vorlage auskommen musste, wodurch der Text bisweilen entweder eingeengt wirkt oder aber unmotivierte Weißräume bleiben. Leider finden sich neben kleineren textlichen Ungenauigkeiten (Seite 10: Vu war eine Zeitschrift, keine Zeitung) auch grafische Unstimmigkeiten. Auf Seite 48 hält Capa die Kamera beim Fotografieren so, dass er weder durch den Sucher schauen noch den Auslöser bedienen kann.

Die ungeschminkte Biografie des gefeierten Kriegsreporters ist grafisch gut umgesetzt, erzählerisch hingegen zu undifferenziert und mit dramaturgischen Schwächen behaftet.

Capa – Die Wahrheit ist das beste Bild5von10
Knesebeck, 2017
Text und Zeichnungen: Florent Silloray
Übersetzung aus dem Französischen: Anja Kootz
88 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,- Euro
ISBN: 978-3-95728-067-1
Leseprobe

 

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