Mit dem achten Band der Androiden-Serie, Odissey von Jean-Charles Gaudin und Federico Dallocchio, geht eine abwechslungsreiche Reihe über androides Leben und menschliches Versagen zu Ende.
Im Mai 2095 beschließen die Politiker der führenden Industrienationen, ihr Jubiläumstreffen zum 120. Jahrestag der G6 bzw. G7 bzw. G8 an einem besonderen Ort zu veranstalten. Nicht im schönen Bonn (1978), nicht im wunderschönen Heiligendamm (2007), sondern in größtmöglicher Distanz zu der Bevölkerung, über deren Belange bestimmt werden soll: auf der internationalen Hotel-Raumstation Odissey. Der „Bund der Steuerzahler“ würde solch kostspieliges Stelldichein sicher nicht gutheißen, auch wenn die Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten angesichts der weitläufigen Bannmeile gestillt sein dürften. Scheinbar zumindest.
Terroristen kapern das Weltallhotel ohne Rücksicht auf menschliche Verluste und nehmen die politische Elite in ihre Gewalt. Schließlich erfahren wir, welche Ziele die Terroristen verfolgen: Sie sehen in einer neuen und geheimen Generation von Androiden, die sich ihrer Künstlichkeit nicht bewusst sind (Blade Runner lässt grüßen), eine gesellschaftliche Gefahr. Ihr Schöpfer solle ihnen dieses Bewusstsein zurückgeben, damit die Weltbevölkerung gegen die Androiden revoltiere. Natürlich ist eine schlagkräftige Einsatztruppe bereits auf der Jagd nach den Eindringlingen: Der Wettkampf beginnt. Soweit, so gut.
Die Androiden-Serie, deren Konzept darauf beruht, dass jeder Band eine eigenständige Geschichte mit eigenem Personal und Setting präsentiert, hat mal besser, mal schlechter funktioniert. Ein Höhepunkt war sicher der siebte Band unter der künstlerischen Leitung von Jean-David Morvan und Elia Bonetti, die mit Der letzte Engel eine wunderschöne Story über Kapitalismus, Konformität und die Logik des Faschismus geschaffen haben. Andere Bände wie Invasion von Sylvain Cordurié und Emmanuel Nhieu oder Die Deserteure vom süffig-fabulierenden Vielschreiber Christophe Bec und Campanelle Ardisha sind im Gegenzug sehr enttäuschend gewesen.
Odissey reiht sich leider unter den schwachen Comics dieser Serie ein. Die blassen Figuren kommen und gehen, ihre Motivationen bleiben im Dunkeln. Warum sind die Terroristen (diese alle irgendwie vom gleichen Schlag) sich ihrer Sache so sicher? Und warum wird das negative Potential der Technologie, das die Terroristen befürchten, überhaupt nicht ausgeführt?
Die Auflösung des Konflikts vollzieht sich so abrupt wie unmotiviert: Irgendwann muss halt Schluss sein. Und weil starke Worte sich am Ende besonders gut machen, sollen die hier auch nicht fehlen: „Es gibt keinen Gott!“ Das hat mit den 53 Seiten zuvor rein gar nichts zu tun, klingt aber natürlich imposant.
Reizvoll ist die Idee, dass eine politische Elite so wenig Feingefühl besitzt, dass sie ihre Aktionen ganz buchstäblich „im luftleeren Raum“ durchführt. Wie phantasiereich hätte man dieses politische Setting mit den G8- oder G20-Ausschreitungen in Genua oder Hamburg collagieren können. Stattdessen ist das Setting aber nur sehr lose mit unserer Wirklichkeit verknüpft.
Immerhin begeistert der Optimismus, dass Russland in 75 Jahren wieder Teil der G-Runde sein wird, nachdem es 2014 ausgeschlossen worden ist. China wird Gaudins fiktionaler Prognose zufolge auch Ende des 21. Jahrhunderts nicht dazugehören. Wir werden sehen bzw. andere nach uns werden es sehen. Aber die werden sich an diesen Comic sicher nicht mehr erinnern.
Androiden auf Irrwegen
Splitter, 2020
Text und Zeichnungen: Jean-Charles Gaudin und Federico Dallocchio
Übersetzung: Swantje Baumgart
56 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 16,00 Euro
ISBN: 978-3-96219-447-5
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