Catherine Meurisse macht mit lässigem Strich gute und schlechte Witze über Philosophie. Und warum macht das jetzt soviel Spaß?
Nein, das ist gar keine „graphic novel“, auch wenn das drauf steht, sondern eine Sammlung von 46 doppelseitigen Comics, die ursprünglich im Philosophie-Magazin erschienen sind. 45 große Geister und ihre Konzepte werden klug und derb auf die Schippe genommen, dabei kommen die großen Geister fast alle als (trottelige) Figuren vor (immer gut erkennbar an ihrem überlieferten Aussehen und ihren überlieferten Neurosen), die meist in komisch zugespitzten Szenen ihre Gedankengebäude darstellen und die dabei häufig direkt auf die (unerschütterliche und smarte) Zeichnerin treffen, die sie diskret mit ihren Irrtümern konfrontiert (und dann gibt es noch einen Epilog mit den drei sprichwörtlichen Affen). Einige der Pointen sind wenig überraschend, aber auf launige Art durchaus lustig: Marx muss Meurisse seine Ideen über den Aufstand des Proletariats mündlich vortragen, weil die Buchdrucker streiken; Camus wird von Sysiphos` Stein plattgemacht; Don Juans selbstgefällige Verführungsversuche haben keine Chance gegen einen derben Onlineflirt.
Besonders befriedigend wird es, wenn Meurisse etwas gemein wird: der angeblich naturbegeisterte, selbstverliebte Romantiker Rousseau bringt einen Wald voller überforderter Vögel und perplexer Pilze dazu, sich lieber selber abzufackeln, anstatt diesen Schwätzer weiter zu ertragen; Freuds Mutter schildert ihrem unglücklichen Analytiker, Freud, von der Obsession ihres Sohnes fürs weibliche Geschlechtsorgan. Gerne werden hier hehre Ideen gegen die persönlichen Macken der Menschen dahinter ausgespielt, manchmal werden früher und heute miteinander konfrontiert, häufiger geht es um die Ignoranz alter toter Männer gegenüber Frauen, nicht so selten wird einfach ein Konzept möglichst griffig in Comicform gepackt, und dazu gibt es noch einen Gag.
Hier und da ist Meurisse dabei extrem ambitioniert: die aristotelische Suche nach Kategorien für die Welt wird anhand von Markenlogos für philosophische Begriffe illustriert, und Arendts „Banalität des Bösen“ wird mit einer Castingshow für Schurken verdeutlicht, die ein kleiner Typ mit Matrosenanzug und Brille gewinnt, der ein Kinderlied voller Vernichtungsphantasien anstimmt.
In einigen Fällen erlaubt sich Meurisse poetischen Nonsense (der an absurdere Cartoons im New Yorker erinnert): eine Madelaine (das Gebäck, menschengroß, im Rock und mit Armen und Beinen), weint, weil sich Marcel Proust in Wahrheit gar nicht mehr für sie interessiert (anstatt sie versonnen in den Tee zu stippen, wie er es in seinem Roman beschreibt), während der vor Bewunderern über den Unterschied zwischen Leben und Werk monologisiert; Darwin chattet mit Primaten über die Frage nach der Abstammung des Menschen vom Affen (die Darwin so nie behauptet hat).
Die Auswahl an Spottobjekten orientiert sich dabei einerseits am klassischen westlichen Kanon, andererseits am französischen Diskurs (und dazu offensichtlich an Lust, Laune und Gagtauglichkeit- es fehlen u.a. Foucault, Lacan und Derrida) . Das heißt: hier geht es nicht um Namen aus bspw. Afrika oder Asien, andererseits gibt es Beiträge über Fénelon oder Alain, die Nichtfranzosen ein herzhaftes „Hä?“ entlocken. Tatsächlich funktionieren allerdings viele dieser Comics ohne ein (grobes, klischeehaftes) Wissen in Bezug auf Biographien und Ideen nicht: Da ich nie etwas von Husserl verstanden und nie etwas von Husserl gelesen habe (okay, das mag miteinander zusammenhängen), stehe ich auch vor dem Gag über Husserl wie der Ochs vorm Berg.
Fußnoten wollen uns die parodierten Gedankengebäude und Meurisses Pointe kurz erklären, aber passen nicht immer zum Comic und verstärken die Verwirrung häufig noch. Ein bisschen mehr Populärwissenschaft, wenn nicht sogar ein bisschen humoristischer Populismus hätten den klugen Scherzen vielleicht gut getan. Damit es lustig sein kann, wenn ein Säulenheiliger vom Sockel geschubst wird, musst du erst einmal wissen, dass da ein Sockel steht. IMHO kommen Heidegger und Tocqueville zu gut weg und Voltaire zu schlecht und manche der Witze sind einfach ein bisschen fade (das Höhlengleichnis mit Netflix anstelle der trügerischen Schatten kommt mir ein bisschen billig vor. Und dass exzentrische Philosophen vergangener Zeiten als Liebhaber für Meurisse nicht in Frage kämen, ist zumindest in der Wiederholung auch keine Brüllerpointe). Aber der Reiz des Bandes liegt in Wahrheit gar nicht in den Seitenhieben gegen diese oder jene Weltanschauung.
Die Zeichnungen zeigen eine malerische, fragile und größtenteils charmant ständig durchknallende Welt. Alles sieht aus wie lässig hingescribbled und entpuppt sich auf den zweiten Blick als skrupulös komponiert. Hingetupfte Landschaften mit minimalistisch angedeutetem Gewusel, hingestrichelte Straßenschluchten voller zittriger, prächtiger Häuser. Hinter jeder Tür warten Gärten oder luftige Metareailtäten zum Nachdenken oder Gegentreten; Supermärkte, in denen Glück verkauft wird oder ein Comdeyclub für Philosophen. Das ist ein Sachcomic, aber in schmissig, viel bunter und sinnlicher, als er sein müsste. Und viel cartooniger als im vorangegangenen Nami und das Meer schwanken die Figuren zwischen der zackigen Zappeligkeit eines Reiser und der Penelope Bagieu aus der Zeit der Erlesenen Leiche.
Die geballten bunten Blätter in den Bäumen erinnern an den späten Sempé, bei der ausladenden Gestik ist, natürlich, der Gedanke an Bretecher nicht fern (auch wenn das nach Klischee klingt und Meurisse mindestens genau so stark von den Simpsons beeinflusst ist). Die Farbgebung ist dabei so knallig und subtil wie die Zeichnungen: ein verwischter grauer Fleck lässt eine ganze Regenlandschaft entstehen, und ein nachglühender Sonnenuntergang versöhnt beinahe mit einem von Proudhon zerstörten Acker. Überall blüht und blinkt etwa leuchtend auf. Ein Blick auf appetitliche und beinahe harmonische Natur verbindet sich mit einem liebevoll bösen Blick auf Menschen zu einer eigenartig einladenden heilen Welt voller singender Vögel und respektloser Witze. Ich würde in diesem Comic sofort Urlaub machen, und wenn ich mich dafür mit Husserl beschäftigen müsste (wird vielleicht auch mal Zeit).
Kritisches Denken darf und muss sein. Kritisches Denken macht Spaß und die Welt zu einem schöneren Ort. Blöde Witze und ästhetische Spielereien sind dabei ausdrücklich erlaubt. Das ist in Wahrheit der große Gedanke hinter diesem Buch, und er ist brandaktuell. Darin liegt sein Reiz.
Ich will gar nicht wissen, wie viele Philosophiestudent*innen und Ethiklehrer*innen in den nächsten Monaten und Jahres dieses Buch geschenkt bekommen werden, aber ich weiß: sie haben Grund zur Freude.
Witzige Doppelseiter über Philosphie – mal snobby, mal albern, aber immer gut gelaunt. Die wahre Weisheit liegt in den Zeichnungen.
Carlsen Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Catherine Meurisse
Anmerkungen: Mathilde Chédru
Übersetzung: Lilian Pithan
96 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-551-73099-2
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