Hintergrund
Schreibe einen Kommentar

Merry X-Mas, Charlie Brown! – Weihnachten bei den Peanuts

Der folgende Text erschien zuerst in Ausgabe X unseres gedruckten Comicgate-Magazins. Weil er aber jetzt gerade so schön in die Jahreszeit passt, soll er auch online veröffentlicht (und mit passenden Links garniert) werden. Zum Thema „X“ gehört natürlich auch X-Mas, beziehungsweise Weihnachten. Wir wollten wissen: Wie sieht Weihnachten in einem über lange Zeit laufenden Zeitungscomic aus?

Sehr viele Zeitungscomics amerikanischer Prägung, die als tägliche Strips erscheinen, beziehen ihr Erscheinungsdatum in die Handlung mit ein. Die Jahreszeit, in der die Leser den Strip zu lesen bekommen, ist demnach die gleiche, welche die Figuren im Comic erleben. Das gleiche gilt für große Feiertage wie Halloween, Thanksgiving oder eben Weihnachten. Ich möchte dieses Phänomen am Beispiel der Peanuts betrachten, jenem Welterfolg von Charles M. Schulz, der von 1950 bis 2000 lief und durchgehend vom gleichen Schöpfer geschrieben und gezeichnet wurde. Und in (fast) jedem dieser Jahre wurde auch für das Figurenensemble der Peanuts Weihnachten.

Alle Abbildungen: © Peanuts Worldwide, LLC

In einer solchen Langzeitbeobachtung über ein halbes Jahrhundert ließe sich womöglich viel über den Zeitgeist erfahren; darüber wie sich der Feiertag und die Art und Weise, wie die Gesellschaft ihn begeht, gewandelt hat. Wer sich mit den Peanuts beschäftigt, merkt allerdings schnell, dass das mit diesem Comic nicht funktioniert: Aktuelle Zeitströmungen werden zwar gelegentlich aufgegriffen, aber insgesamt bleibt der Peanuts-Kosmos über all die Jahre äußerst stabil, er erfährt keine größeren Wendungen, seine Figuren altern nicht und auch im Ensemble gibt es kaum Veränderungen. Diese Zeitlosigkeit der Serie gehört zu ihren großen Qualitäten und führt dazu, dass selbst Strips, die 40 und mehr Jahre auf dem Buckel haben, heute noch so gut funktionieren wie am ersten Tag.

Bei den Peanuts sieht also Weihnachten 1951 nicht viel anders aus als Weihnachten 1977 oder Weihnachten 1995. Und doch ist es sehr reizvoll, sich damit zu beschäftigen, welche Aspekte des Fests Charles M. Schulz für seinen Comic nutzte, wie er das tat und wie sich das über die Jahrzehnte verändert hat.

Alle Jahre wieder

Die Geschichte der Peanuts als täglicher Zeitungsstrip beginnt im Herbst 1950. Sieben amerikanische Zeitungen nehmen ab dem 2. Oktober die neue tägliche Serie des jungen Zeichners Charles M. Schulz aus Minneapolis, von seinen Freunden „Sparky“ genannt, auf ihre Comicseiten. Im Dezember des ersten Jahres ist in dem Comic noch nichts von Weihnachten zu spüren. Vermutlich hat Schulz vorgearbeitet, ohne genau zu wissen, wann es mit dem Abdruck genau losgeht, und hat einen Bezug zum Datum zu Beginn lieber vermieden. Erst im Dezember 1951 taucht das Weihnachtsfest im Strip auf, und zwar in einer Weise, die prägend sein wird und die Schulz bis zum Schluss immer wieder aufgreifen wird: Charlie Brown schreibt einen Brief an den Weihnachtsmann. Der Brief umfasst ungewöhnlich viele Zeilen, so dass Charlies kleine Schwester Sally empört fragt, ob das eine endlos lange Wunschliste sei: „How selfish can you be?!!“ Aber nein, verteidigt sich Charlie, das seien hauptsächlich „words of flattery“, Schmeicheleien, mit denen man den Weihnachtsmann milde und freigiebig stimmen will.

Der erste Peanuts-Weihnachtsstrip aus dem Jahr 1951

Der Wunschzettel, den Charlie und andere Kinder an Santa Claus schreiben, gehört von da an zum Standardrepertoire, aus dem sich Schulz regelmäßig bedient. Fast jedes Jahr werden Briefe an ihn geschrieben und es ist eine Freude zu sehen, wie Schulz es schafft, dieses Grundprinzip immer wieder neu zu variieren und neue Pointen daraus zu ziehen. Überhaupt sind die Peanuts ein Paradebeispiel für die Kunst, wiederkehrende Standardsituationen zu schaffen und diese stets aufs Neue in Szene zu setzen. Dazu gehören hier zum Beispiel die regelmäßigen Baseball-Spiele, der „Easter Beagle“ (Snoopy als Eier verteilender Osterhasen-Ersatz), Lucys Aprilscherze und natürlich der „Great Pumpkin“, der – zumindest nach dem festen Glauben von Linus – jedes Jahr zu Halloween auf der Erde erscheint.

Die eigentliche Feier des Weihnachtsfestes, also etwa ein gemeinsames Familienessen, eine Bescherung oder ähnliches, kommt bei den Peanuts nie vor. Auch das liegt an einem Spezifikum der Serie: Schulz ließ niemals Erwachsene darin auftreten. Die Figuren sind Kinder, die natürlich Eltern haben und bei ihnen leben, aber diese kommen schlichtweg nicht vor. Entsprechend gibt es auch keinen Platz für Familienfeste. Kommuniziert wird mit den Erwachsenen vorzugsweise genauso wie mit dem Weihnachtsmann, nämlich per Post. So entsteht eine weitere Peanuts-Weihnachtstradition, nämlich das Schreiben von Dankeskarten. Kurz nach dem Fest hat man sich, vorzugsweise bei Oma und Opa, artig für die Geschenke zu bedanken, was natürlich ziemlich schwer fällt: Mal sind die neuen Spielsachen schon wieder kaputt, mal kann man sich nicht erinnern, welches Geschenk von wem kam, und manchmal fand man das Geschenk eigentlich blöd.

Schon in sehr frühen Jahren, nämlich 1952, lässt Schulz etwas anklingen, was bei ihm mehrfach durchscheinen wird, aber niemals allzu platt und offensichtlich: die Kommerzialisierung von Weihnachten und die Kritik daran. Am 24.12.1952 beginnt Charlie Brown, Lucy eine Geschichte zu erzählen: „‘twas the night before christmas …“ Aber nach wenigen Sätzen unterbricht er für „ein paar Worte von unserem Sponsor“, schnappt sich eine Zeitschrift und fragt Lucy, ob sie nicht eine kaufen möchte. Man kann davon ausgehen, dass Charles Schulz das große Geschäft mit dem Weihnachtsfest eher suspekt war – ironischerweise war er aber selbst ein Teil davon. Schulz ist mit seiner Schöpfung steinreich geworden, nicht zuletzt dadurch, dass er die Figuren für zahlreiche Merchandise-Artikel lizensieren ließ und davon profitierte, dass die Peanuts vom Zeitungsstrip zum multimedialen Franchise ausgebaut wurden.

Weihnachtsbotschaft als Zeichentrick-Quotenhit

Begonnen hatte dieser Ausbau ausgerechnet mit einem Weihnachtsspecial fürs Fernsehen, obendrein gesponsert von der Coca-Cola Corporation: 1965 entstand für das TV-Network CBS der 25-minütige Zeichentrickfilm A Charlie Brown Christmas. Zwar waren die Peanuts zu diesem Zeitpunkt schon sehr populär, aber mit einem so durchschlagenden Erfolg hatte niemand gerechnet: Die Sendung hatte eine Spitzen-Einschaltquote und wurde fortan Jahr für Jahr zur Weihnachtszeit wiederholt. Das ist bis heute der Fall, in den USA gehört diese Sendung so selbstverständlich zum Weihnachtsfernsehen wie bei uns Drei Nüsse für Aschenbrödel oder Der kleine Lord. Viele weitere TV-Specials sollten folgen, außerdem Kinofilme und Musicals.

A Charlie Brown Christmas enthält eine für das amerikanische Unterhaltungsfernsehen höchst ungewöhnliche Szene: Die Kinder proben für ein Krippenspiel, das zu Weihnachten aufgeführt werden soll. Charlie Brown als zunehmend verzweifelter Regisseur fragt sich, ob denn irgendjemand verstehe, worum es an Weihnachten eigentlich geht. Darauf folgt eine Rezitation der biblischen Frohen Botschaft: Linus (der mit dem Schnuffeltuch) trägt die Verse aus dem Lukas-Evangelium vor, in denen den Hirten auf dem Feld von einem Engel die Nachricht von Christi Geburt verkündet wird. „That’s what Christmas is all about,“ schließt Linus. Dieser christliche Kern von Weihnachten war wichtig für Schulz, auch in den Comicstrips wird er wiederholt thematisiert, meistens durch Linus. Dieser tritt mehrfach als bibelfester Kenner auf, der sich in der für alle anderen Kinder sehr verwirrenden Welt der Propheten, Psalme und Prediger bestens auskennt und Zitate aus der Heiligen Schrift zum Besten gibt. Natürlich nutzt Schulz, der die Bibel selbst ausgiebig studiert hat, dies zu komödiantischen Zwecken und entwickelt Gags daraus, macht sich aber niemals über Glauben oder Religion lustig.

Bibelkunde mit Linus van Pelt

Zurück zum Krippenspiel, in den Originalstrips meist „Christmas program“ genannt: Diese weihnachtlichen Schulaufführungen und deren Vorbereitungen gehören ebenfalls zum Standardrepertoire, aus dem Schulz vielfach schöpft. Sie sind mehrfach das Thema längerer Storylines, die sich über mehrere Tage oder gar Wochen ziehen. Sehr schön ist etwa die Geschichte von 1983, ein Wortspiel mit dem berühmten englischen Weihnachtslied „Hark! The Herald Angels Sing“. Sally Brown soll beim Krippenspiel als Engel auftreten, ihr einziger Text lautet „Hark!“ und danach, sagt sie, fange ein gewisser Harold Angel zu singen an. Sally scheitert bei der Aufführung grandios an ihrem komplizierten Text und ist sehr frustriert darüber. Doch im Strip vom 24. Dezember klingelt es an der Tür der Browns, ein fremder Junge steht davor und fragt, ob Sally da sei: „My name is Harold Angel!“ Schulz nutzte diese Figur nicht für einen einmaligen Wegwerfgag, sondern ließ sie auch später noch gelegentlich auftreten.

Das Fest der Liebe hat auch dunkle Seiten

Zu den charakteristischen Merkmalen, welche Peanuts so besonders machen, gehört die Schwermut, von der Charlie Brown, aber auch andere Figuren, regelmäßig erfasst wird. Schulz lässt sie Depressionen und Ängste, Schmerz und Verlust erfahren – die sie mit großer Würde ertragen. Die Komik der Peanuts hat oft eine tragische Grundierung – hier spiegelt sich Schulz’ eigener Charakter, der trotz seines immensen Erfolgs stets von Melancholie geprägt war. Auch in den Weihnachtsstrips gibt es diese depressive Komponente – etwa, wenn Charlie Brown immer wieder vergeblich zum leeren Briefkasten stapft, in dem er nie eine Weihnachtskarte finden wird. Am 26.12.1961 ist es dann Lucy van Pelt, die ein neues Krankheitsbild einführt: „I’m having my regular post-Christmas let-down.“ Sie kommt darüber hinweg, aber die Nachweihnachtsdepression wird noch oft zurückkehren.

Des Feierns überdrüssig: Lucy und ihre postweihnachtliche Depression

Schulz’ Gegenpol zu den düsteren Aspekten der Peanuts war Snoopy, der Hund. In einer Welt, in der sich Kinder benehmen wie Erwachsene, ist er vielleicht das einzige echte Kind. Er hat ein sonniges Gemüt, kann jederzeit einen spontanen Tanz beginnen und ist in der Lage, in die Traumwelten seiner blühenden Fantasie auszubrechen. Selbstverständlich gibt es auch etliche Weihnachtsepisoden mit ihm. Sie gehören zu den leichteren und drehen sich häufig darum, wie Snoopy und sein Sidekick, der kleine Vogel Woodstock, sich gegenseitig beschenken. Ab 1989 steht Snoopy alle Jahre wieder als Santa Claus verkleidet mit einer großen Glocke an der Straße und sammelt Spenden für einen guten Zweck. Es sind nicht die besten Peanuts-Weihnachtsgags, Schulz scheint an dieser vergleichsweise späten Idee jedoch viel Gefallen gefunden zu haben. Den Snoopy-Weihnachtsmann werden die Peanuts-Leser bis zum Schluss fast jedes Jahr zu sehen bekommen.

Running-Gag der späten Jahre: Snoopy im Santa-Kostüm.

Ähnlich verhält es sich mit Spike – das ist Snoopys Bruder, der allein in der Wüste lebt, wo es außer Sand, Steinen und Kakteen nicht viel gibt. Zu Weihnachten taucht Spike erst im Jahr 1985 auf, dann aber fast jedes Jahr wieder. Stets geht es dabei um seine Sisyphos-artigen Bemühungen, ein bisschen Weihnachtsstimmung in seiner Umgebung zu schaffen und die karge Landschaft ein wenig zu dekorieren. Am Stück gelesen, wirken diese Strips sehr repetitiv und nicht besonders originell. Doch sie gaben Schulz die Möglichkeit, Abwechslung zu schaffen: Eine ganz andere Umgebung als gewohnt, wenig oder gar keine Worte, vor allem auch ein anderes Format. Bis 1988 bestand jeder Werktags-Peanuts-Strip aus exakt vier gleich großen Panels, die von manchen Zeitungen auch im Format 2×2 abgedruckt wurden. Diese strenge Formatvorgabe entfiel 1988, so dass Schulz seinen täglichen Streifen fortan unterschiedlich aufteilen konnte und gerne auch mal nur ein einziges, breites Panel zeichnete. Die endlose Wüstenlandschaft, in der Spike zuhause ist, bot dafür ein ideales Setting, manche dieser Ein-Panel-Gags erinnern an die Cinemascope-Bilder von Sergio Leones Italo-Western.

Dekorieren für Fortgeschrittene: Spike beim Versuch, die Wüste weihnachtlich zu machen

1999 erlitt Schulz einen Schlaganfall, im Krankenhaus entdeckten die Ärzte Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Die folgende Therapie kostete Schulz so viel Kraft, dass er im Dezember des Jahres bekanntgab, sich zur Ruhe zu setzen. Auf den Comicseiten dieses Monats startet Peppermint Patty einen letzten Versuch, endlich die Maria im Krippenspiel spielen zu dürfen, doch Marcie erklärt ihr, dass es in diesem Jahr kein Krippenspiel geben werde. Ein letztes Mal darf Spike einen Kaktus dekorieren, ein letztes Mal werden Briefe an Santa Claus und an die Großeltern geschrieben, ein letztes Mal steht Snoopy als bimmelnder Weihnachtsmann am Straßenrand. Am 3. Januar 2000 ging der letzte Tagesstrip der Peanuts in Druck, ein Abschiedsbrief von Sparky an seine Leser. Danach gab es noch ein paar Sonntagsstrips, ehe am 13. Februar die endgültig letzte Episode erschien. In der Nacht zuvor war er im Alter von 78 Jahren gestorben.

Mehr zum Comicgate-Magazin X inklusive Bestellmöglichkeit findet man hier.

Beim Carlsen Verlag erschien erst vor wenigen Wochen der abschließende 25. Band der Peanuts Werkausgabe. Somit liegen die kompletten Strips von Charles M. Schulz aus den Jahren 1951-2000 auch auf Deutsch in einer angemessenen Ausgabe vor.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.