Seit etlichen Jahren gehört der Münchner Jan Gulbransson zu den ganz wenigen deutschen Zeichnern, die für den Egmont-Konzern regelmäßig Geschichten aus Entenhausen schreiben und zeichnen. Neben zahlreichen Kurzgeschichten mit Donald und Co. ließ er die Familie Duck in zwei Fortsetzungsprojekten 2012 und 2013 nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz reisen.
Stefan Svik unterhielt sich in einem langen Telefonat mit Jan Gulbransson über 80 Jahre Donald Duck, Carl Barks, Arte, James Bond, die 68er-Generation und anderes.
Comicgate: Lieber Jan, Anlass für das Interview gibt es reichlich, etwa deine Comics Die Ducks in Deutschland und Die Ducks in den Alpen, außerdem die Arte-Doku Das Donald Duck-Prinzip zum 80. Geburtstag dieser Disney-Figur. Und dann war da auch noch die Ausstellung „Streich auf Sreich“ zu 150 Jahren deutschsprachige Comics, die auch deine Beiträge als einer der ganz wenigen deutschen Disney-Zeichner würdigte. Die Ausstellung war erst in Hannover, später auch in Erlangen zu sehen. Familie Gulbransson war dort neben deinen Ducks auch durch deinen Großvater, den Simplicissimus-Zeichner Olaf Gulbransson, vertreten.
Jan Gulbransson: Das wusste ich gar nicht, dass der auch drin ist.
Du hast die Ausstellung also noch nicht besucht?
Nein, die ist doch weit weg! Ich hänge hier zu sehr in der Arbeit drin, als dass ich irgendwo hinfahren könnte. Ich bin gar kein Ausstellungsgänger. Ich ignoriere Museen und Vernissagen. Ich ignoriere sozusagen das kulturelle Leben.
Selbst Erlangen war dir als Münchner zu weit weg?
Das hätte mich dann nicht wegen der Ausstellung, sondern aus anderen Gründen interessiert, aber der Comic-Salon ist immer genau dann, wenn ich in Urlaub bin. In Erlangen war ich vor vielen Jahren einmal. Da würde ich gerne hingehen, aber die sind immer zur falschen Jahreszeit.
Die ausgestellten Originale aus Die Ducks in Deutschland hattest du aber selbst ausgesucht?
Nein. Ich weiß gar nicht, wer die ausgesucht hat. Es klingt etwas übertrieben, aber ich stecke wirklich so sehr in Arbeit, dass ich für diese randständigen Sachen gar keine Zeit habe. Ein telefonisches Interview zwischendurch – das kriege ich rein, aber ansonsten fehlt mir die Zeit. Presse- oder Fernsehsachen mache ich einfach, weil es der Wahrheitsfindung dient, ansonsten habe ich genug zu tun. Ich muss nicht auch noch die Begleitkapelle dirigieren.
Bedeutet es dir dennoch etwas, dass in der Ausstellung sowohl dein Großvater als auch du gewürdigt werden und dass er bereits Teil der Zeitschrift Simplicissimus war? Liegt das Talent bei euch in der Familie?
Mei, Talent. Talent ist natürlich eine Sache, die erbst du. Talent ist das eine, aber was du daraus machst, hängt an dir selber. Bei mir ist es offensichtlich, dass ich kein musikalisches Talent geerbt habe, ich höre aber mit absoluter Leidenschaft Musik, den ganzen Tag – zu Hause, weil ich ja zu Hause arbeite. Aber ich kann keine gerade, nicht mal eine ungerade Note richtig singen. Ebenso schlecht sind meine Fähigkeiten im Tanzen. Bei mir liegt das Talent also offensichtlich eher beim Zeichnen. Ich habe schon als Kind immer gezeichnet. Aber ich kenne ganz viele, die ein ganz ähnliches Talent haben, aber etwas ganz anderes daraus machen. Und ich schreibe meine Geschichten ja auch und ich hätte nie gedacht, dass ich dazu auch ein Talent habe. Ich habe dort, nach meiner Einschätzung, inzwischen das gleiche Level wie beim Zeichnen erreicht. Aber frag nicht den Koch, der kennt die Rezepte, aber beurteilen, wie es schmeckt, kann nur der, der das Gericht auf dem Teller hat. Ich habe zwei Berufe, die ich als gleich wichtig ansehe, nämlich das Zeichnen und das Schreiben. Das eine ist offensichtlich ein Talent, das schon als Kind da war und das andere ist etwas, das ich gelernt habe, durch widrige Umstände, also durch das jahrelange Schreiben von schlechten, vermurksten Geschichten. Etwa zwei Geschichten in einer schreiben, das war so meine, eben eine typische Anfängerleidenschaft, dieses Überfrachten einer Geschichte.
Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch einen Schwung Talente mitbekommt, manche davon bleiben unentdeckt, wie bei mir zuerst das Schreibtalent. Ein Zeichentalent fällt einfach früher auf. Wie soll man ein Schreibtalent sehen, durch Schulaufsätze? Wie war das bei dir, um den Beruf des Journalisten zu ergreifen, wirst du, nehme ich an, ein Schreibtalent haben, hast du das als Kind und Jugendlicher so empfunden?
Da verweise ich gerne auf deine Antwort, aus dem Interview, dass sich in Die Ducks in Deutschland findet: Es war der Beruf, den ich immer machen wollte, aber es erschien mir auch utopisch und schwer dran zu kommen. Im Fall des Comiczeichens sagtest du dazu, dass diese Künstler weit weg, in den USA, arbeiteten und es somit für dich dann auch überraschend war, das es geklappt hat, richtig?
(lacht) Du hast ja vorher nicht nur gescheit recherchiert, sondern diese Aussage auch noch korrekt zitiert! Das kommt auf Zuruf aus der Hüfte geschossen: Wenn das alle so machen würden, dann wäre die Welt eine bessere.
(lacht ebenfalls) Das bedeutet, dass du mit Journalisten sonst eher schlechte Erfahrungen gemacht hast?
Das kann ich so nicht sagen. Man hat natürlich in allem, was man macht, zwischendurch schlechte Erfahrungen. Generell habe ich positive Erfahrungen und ich bin ein Fan von Journalisten, ich wurde als Kind durch die Spiegel-Affäre geprägt. Da war ich noch sehr klein, aber das war die Zeit, in der ich tatsächlich schon anfing, mich dafür zu interessieren. Anfang der 1960er begann ich damit, Zeitung zu lesen. Du müsstest schon von der „Nationalen deutschen Soldatenzeitung“ kommen, dass ich irgendetwas gegen dich hätte. Journalisten haben bei mir eh schon einen Stein im Brett. Klar, irgendwo gehen halt mal Dinge schief. Deshalb finde ich es auch gut, dass du mir angeboten hast, das Interview vorher gegenlesen zu lassen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, deshalb finde ich es ein Unding, dass sich manche Redaktionen da nicht auf die Finger schauen lassen und das nicht gestatten. Ich bin ja nicht jemand, der da irgendwie drin herumpfuscht. Es geht mir dabei darum, zu gucken, ob Dinge korrekt dargestellt wurden oder ob etwas saudumm rüberkam, falsch verstanden oder gar falsch zitiert wurde – das mag niemand gern.
Generell habe ich sehr gute Erfahrungen. Anfang der 1980er Jahre, es war eines meiner ersten Interviews mit einem Rundfunkjournalisten, Hermann Stange, mit dem ich später sehr gut befreundet war, der aber leider inzwischen, in jungen Jahren, verstorben ist. Das war in Stuttgart, ich meine beim SDR, und es war ein langes Interview, das ging über eine ganze Abendsendung. Die hatten gute Musik und zwischendurch solche Features. Also auch unter Journalisten kann man Menschen finden, die zum handverlesenen Kreis der Freunde fürs Leben werden, während es andere gibt, bei denen man sagt: Also den muss ich mein Leben lang nicht mehr sehen.
Lass uns nochmal auf deinen Großvater zurückkommen. In Die Ducks in Deutschland erweist du mit einer Szene mit den Kullern-Figuren Carl Barks die Ehre, von dem du sagst, dass er für dich der große Zeichner war. Wie sieht das mit denSimplicissimus-Beiträgen deines Großvaters aus, würdest du die auch gerne mal in einen deiner Comics einbauen?
Das würde ich garantiert nicht zitieren. Nicht aus Aversion, denn der Großvater war ein absolut fantastischer Zeichner. Unter all den großartigen Zeichnern, die sie hatten, war er schon eine einsame Größe. Aber das ist ja ein anderes Metier und zusätzlich hat er aus seinem Namen ein Markenzeichen gemacht, und ich habe nun mal den gleichen Namen. Dasselbe wie er zu tun, wäre für die Seelenlage nicht besonders gut. Für Die Ducks in Deutschland habe ich zwar zwischendrin Karikaturen zeichnen müssen, aber die sind nicht besonders gut. Das hat zwei Gründe: Hundenasige oder entenschnäblige Menschen als Disney-Figuren sind naturgemäß keine Portrait-Karikaturen. Es geht dabei nur um Typ-Ähnlichkeit, damit man sagt: Ach, das ist wohl der. Der zweite Grund: Es war terminlich ein derartiger Ritt über den Bodensee, dass ich überhaupt keine Zeit hatte, über das Anskizzieren dieser Menschen hinaus zu kommen, und das war’s dann. Ich bin froh über jeden, der die Karikaturen ignoriert. Der [Hamburger Oberbürgermeister Olaf] Scholz hat Spaß gemacht, den habe ich als Frittenverkäufer dargestellt. Ich könnte, wenn ich wollte und Zeit hätte, einigermaßen gute Karikaturen machen, aber bestimmt nicht auf dem Level meines Großvaters.
Gab es deutsche Zeichner, die dich beeinflusst haben, etwa Wilhelm Busch?
Nein! Beeinflussen tut einen sehr vieles im Leben. Aber wie weit man sich tatsächlich in die Schülerposition begibt und sagt, „ich möchte herausfinden, wie die oder der das gemacht hat“, das steht auf einem anderen Blatt. Ich selbst bin ein absoluter Autodidakt. Nur ein Beispiel: Als ich anfing, Donald zu zeichnen, habe ich fünf Jahre nichts mehr von Carl Barks angeschaut. Aus zwei Gründen: Wenn du schon in Fußstapfen trittst, die du sowieso nie erreichen kannst, dann ist es besser, mit diesem unerreichbaren Ziel nicht dauernd konfrontiert zu werden. Das andere ist, dass ich am meisten durch „learning by doing“, also durch das Selbst-Ausprobieren lerne. Durch Fehler lerne ich. Dadurch habe ich mir das Ding irgendwie selber erobert. Natürlich hat jeder Mensch, der zeichnet, ein optisches Gedächtnis. So wie sich ein musikalischer Mensch an Melodien erinnert, weiß ich, wie es eigentlich aussehen sollte. Von daher ist Barks‘ Donald für mich der einzig wahre und richtige. Deshalb ähnelt mein Donald ihm natürlich. Da ist der Einfluss eindeutig zu erkennen. Ich sage aber nicht, dass auf diese Weise zu lernen der beste Weg ist.
Ein guter Freund von mir, Ulrich Schröder, ist ein begnadeter Zeichner. Er war zehn Jahre Art Director bei Disney und ist völlig anders vorgegangen. Er schaut sich an, wie der Meister das gemacht hat, und ist deshalb in vielen Punkten einfach besser als ich. Der einzige Nachteil ist: Ulrich ist so ein Perfektionist, dass er keine Geschichten schreibt, weil er dafür einfach zu lange brauchen würde. Er macht Cover, Illustrationen und alles mögliche. Das ist schade, denn ich würde wahnsinnig gerne Donald-Geschichten von Ulrich sehen. Aber dazu braucht es dann wohl doch Leute wie mich, die zum Schnellschuss und zur Schlamperei neigen. Das Ergebnis ist gerade so gut, wie ich es eben hinkriege, mehr ist nicht drin. Das bedeutet nicht, dass ich nicht bei jeder Story kämpfe, um sie so gut wie möglich zu machen. Aber als Perfektionist wird man nicht glücklich. Für mich ist das ganze Leben eine Arbeitshypothese, und ich versuche mich von einer Zwischenlösung zur nächsten zu hangeln. Damit bin ich glücklicher, als wenn ich 100 Prozent erwarte und mich zu Tode ärgere, wenn es 90 sind. Jemand wie ich kann mit 80 Prozent durchaus glücklich sein. Neues Spiel, neues Glück. Die nächste Geschichte wird besser. Und so ist es ja auch. Ich bin heute sicher besser als vor zehn Jahren.
Das klingt sehr selbstkritisch. Wurdest du in deiner Kindheit auch für deine Zeichnungen gelobt und gefördert, etwa von Schule und Familie, oder musstest du eher um Anerkennung kämpfen?
Ich muss die Frage zerteilen. Kämpfen um Anerkennung ist nicht mein Ding. Alles was ich mache, mache ich so gut wie ich es kann. Und logischerweise, wie jeder Mensch, freue ich mich über Anerkennung. Ich freue mich aber genauso über Kritik – auch wenn dies wie ein Kalenderspruch klingt. Ich suche den kritischen Kommentar, denn das ist das A und O, bei allem was man macht, egal ob Zeichnen, Schreiben oder sonstwas. Wie kommt das, was ich in meinem Kopf habe, beim Leser an? Um das herauszufinden, muss ich Leute befragen. Jedem, der mir vor die Flinte läuft, egal wer das ist, zeige ich, woran ich gerade arbeite, und sage „Erzähl doch mal, wie wirkt das auf dich, was siehst du darin?“ Das ist besonders lehrreich, wenn ich zwischendurch mal Cartoons mache, die ohne Text auskommen müssen. Wenn du viele Leute zum gleichen Thema befragst, lernst du tatsächlich, was in der Inszenierung dringend erforderlich ist, was du fallen lassen kannst. Man lernt dauernd dazu.
Zu deiner Frage nach der Kindheit: Klar kriegt ein zeichnerisch begabtes Kind Beifall. Kaum hat ein Kind mehr als drei Striche auf einem Papier gemacht, schon wird es gelobt. Aber Dinge, die wirklich nicht so gut sind, über Gebühr zu loben, ist keine Bestärkung. Lob für etwas, von dem man selber meint, es gut hinbekommen zu haben, ist toll, aber man muss auch lernen, Kritik zu ertragen, auch für Dinge, von denen du überzeugt bist. Ja mei, das Leben ist eben nicht immer gerecht. Wenn du dazu rechnest, dass ich ein Kind der 1950er war, da waren Erwachsene gegenüber Comics alles andere als offen! Als meine Leidenschaft für Comics mit vier Jahren begann, als ich Micky Maus und Donald gelesen habe, hat das nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst (lacht). Und sicher ist die Berufswahl die späte Rache des kleinen Jan der 1950er Jahre.
Also wollten es dir Eltern und Lehrer eher ausreden?
Ja, durchaus. Aber das ist nicht nur mein Schicksal, das hat die ganze Generation getroffen.
Ähnliches wird etwa im Comic über das Leben von E. P. Jacobs thematisiert, dem belgischen Zeichner von Blake und Mortimer, dem sein Vater sagte, dass seine Zeichnungen schön und gut sind, dass es beruflich aber lieber eine kaufmännische Ausbildung sein solle, denn die ist solide.
Bei mir wäre nicht die kaufmännische Lehre die Alternative gewesen, dadurch, dass die gesamte Familie irgendwie künstlerisch tätig war. Mein anderer Großvater war Bildhauer, mein Vater war Architekt und so weiter. Die Idee war also nicht „der Junge soll was Ordentliches lernen“, sondern „der Junge soll was Ordentliches zeichnen“!
Kommen wir nun zum 80. Geburtstag von Donald Duck, der im Sommer 2014 von Arte mit der Sendung Das Donald Duck-Prinzip begangen wurde, in der auch du zu Wort kamst. An der Sendung wurde von einigen Donaldisten kritisiert, dass Donald zu viel aufgestülpt wurde, nämlich eine Art soziologisch angehauchte Geschichte des Verlierers im Wandel der Zeit. Wie siehst du das, sollte man nicht zu viel in Donalds Comics hineininterpretieren?
Was war das für eine Reaktion? Kann man das irgendwo nachlesen?
Bei Twitter etwa lässt sich das nachlesen.
Da war ich noch nie und da will ich auch kein Mitglied werden. Das war ganz kurios, ich hatte das schon wieder vergessen, weil das Interview damals schon ein Vierteljahr her war. Ich sah die Sendung zufällig im Fernsehen und dachte erst, das wäre aus alten Interviews zusammengeschnitten, weil dort so viele zu Wort kamen. Das war tatsächlich ein sehr ehrgeiziges Projekt mit etlichen Leuten, die nicht gerade leicht zu erwischen sind. Ich fand die Sendung gut! Was ich damals gesagt habe, weiß ich gar nicht mehr, nur, dass ich heftig überarbeitet aussah und dachte: Wann muss man wohl einen Sarg für den Mann bestellen? Das waren zu der Zeit 16-Stunden-Arbeitstage, das war schon heftig. Es war sehr interessant, etwa den absoluten Barks-Maniac Gottfried Helnwein reden zu hören und ich kannte auch schon seinen Kernsatz, dass diese Comics die einzige Farbe in seine schwarz-weiße Kindheit hineingebracht haben. Und darüber etwas mehr zu erfahren fand ich interessant!
Die Sendung kippte dann etwas – während die erste Hälfte das war, was man erwartete, ging es dann sehr stark um das Hineininterpretieren in die Figur Donald. Das stört ja durchaus auch Leser von Superheldencomics, besonders absurd war hier sicher der Comics Code und Vorwürfe von Jugendgefährdung, etwa durch die angebliche homosexuelle Beziehung von Batman und Robin. Wann interpretiert man zu viel in Donald hinein und wann tut man ihm unrecht?
Also, wieder zwei Antworten: Ich verstehe jeden, der sagt: Hineininterpretieren verdirbt den Spaß. Aber ich bin jemand, den immer auch der Blick hinter die Kulissen interessiert. Wenn ich Leute treffe, frage ich denen immer Löcher in den Bauch, über das, was sie machen. Wenn etwa jemand im Katasteramt arbeitet, dann befrage ich ihn eben dazu, auch wenn mich selbst das zuvor noch nie interessiert hat. Ich will einfach verstehen, was einen Menschen dazu treibt, das a) zu machen und b) sein ganzes Leben damit zu verbringen. Gerade heute Vormittag sprach ich mit einer jungen Frau, die zur Bürokauffrau umschulen will. Wenn du die Auswahl hast, warum dann gerade so etwas Langweiliges? Als sie dann sagte, sie organisiere gerne, habe ich mein Hirn eingeschaltet und mir fiel auf, dass ich eine dämliche Vorstellung von dem Beruf hatte, vom – entschuldige den Ausdruck – Sesselpupser, der die Bleistifte anspitzt. Dann fiel mir eine Woche ein, als ich noch fest angestellt war und in Abwesenheit des Chefs ein Riesenproblem in Büro lösen musste. Ich habe vier Tage gewaltig gekämpft und am fünften Tag fragte ich mich, „Was muss ich heute für Krisen bewältigen?“ und es stand nur das Zeichnen an und das kam mir plötzlich ziemlich langweilig vor!
Aber zurück zur Frage: Wenn ich mich nicht für solche Hintergrundinformationen interessiere, muss ich sie ja nicht lesen. Wer nun diese lange Sendung mit Interesse verfolgt hat, mag enttäuscht sein. Ob ich das so sehe, dafür müsste ich sie mir nochmal ansehen. Es ist menschlich, dass wir Dinge, die uns bewegen, überinterpretieren. Ich persönlich sträube mich gegen das Überinterpretieren. Allerdings bei Donald, mit dem ich mich sehr viel beschäftigt habe, gibt es eine Deutung, und zu der stehe ich auch: In seiner Rolle als Loser sehe ich ihn als sehr interessante Figur, über die es sich auch lohnt, nachzudenken. Ich habe mir in den 1970er Jahren Gedanken darüber gemacht, wieso meine, also die 68er-Generation, in der sich alle dem progressiven Lager zugehörig gefühlt haben, damals die Donaldisten gestellt hat, während sich Carl Barks selbst als konservativ, ich meine sogar als reaktionär, bezeichnet hat. Wenn man sich die Donald-Geschichten anschaut, scheint die Botschaft eindeutig: Was nicht kaputt ist, daran repariere nicht herum. Lass die Verhältnisse so, wie sie sind. Das sind konservative oder meinetwegen sogar reaktionäre Botschaften – warum hat das langhaarige 68er bewegt?
Hier hilft es, zurückzutreten und genauer hinzuschauen. Das Verändern der Verhältnisse bringt also offensichtlich nichts – Donald fällt ja andauernd auf die Schnauze – aber das ist ja nur die Oberfläche. Ich bin mir sicher, was dahintersteckt und beim Leser ankommt, ist eine andere Botschaft: Donald fällt zwar immer wieder hin, aber er steht eben auch immer wieder auf. Was wäre Donald ohne diese Charaktereigenschaft? Sein Streben nach Veränderung, Verbesserung der Verhältnisse treibt ihn um und hält ihn lebendig. Ohne sie wäre er nur ein Zombie. Eben das ist in meinen Augen die eigentliche Botschaft! Auch wenn Barks sich selbst als reaktionär bezeichnete, nehme ich ihm das nicht ab. Er war nur ein extrem realistischer Mensch, der das Leben kannte und keinen Schmu erzählt hat. Dieses Bild von Gerhard Schröder, der am Gitter des Kanzleramts rüttelte und rief: „Ich will da rein!“ – das wäre Donald. Natürlich macht man sich damit lächerlich. Aber wenn man solche Kapriolen nicht mehr macht … dann kann man auch gleich in Ruhestand gehen und Micky-Maus-Comics lesen.
Mitunter kommen aber sehr subjektiv gedeutete Botschaften an, es sei an Olli Kahns Ausspruch erinnert, dass ihn Dagobert Duck aufgrund seines Reichtums begeistert hat. Wenn man dem etwa Don Rosas Biographie der Figur Dagobert Duck (Sein Leben, seine Milliarden) gegenüberstellt, wird klar, dass Dagobert eine Art Citizen Kane ist, ihn hat all das Geld nicht glücklich gemacht und er erkennt, dass das eigentlich Wichtige die Familie ist. Also kann man auch Dagobert Duck ganz unterschiedlich interpretieren, oder?
(etwas zögerlich) Ja, kann man. Aber ob das den Charakter von Dagobert treffend beschreibt? Dazu müsste ich die Geschichte sehen. Ich habe ein bisschen das dumpfe Gefühl, das ist ein wenig zu weit weg von Dagobert.
Auch ich lote gerne Ecken aus, die noch nie richtig ausgelotet wurden. Das klingt etwas hochtrabend, denn meistens ergibt sich das von selbst, wenn du gerade eine Szene schreibst und dir eine Pointe einfällt und du denkst, so würde die Figur reagieren. In den Alpen-Ducks habe ich eine Szene, die mir sehr lieb ist: Da treibt Dagobert in einem Ruderboot und alles schaut richtig verloren aus. Er bekommt gerade die entscheidende Nachricht übers Handy, dass es im Grunde genommen eigentlich schon aus ist und dass er sein gesamtes Vermögen verlieren wird. Der Gag ist dann, dass der das Handy ausschaltet und eine SMS bekommt und er sich freut, dass es zumindest diese praktische Erfindung der Kurzmitteilungen gibt, denn mit dem dauernden Telefonieren würde er ja noch seinen letzten Kreuzer verlieren. Und dann gibt es die nächste Sprechblase, er schaut mit ganz glasigen Augen in die Kamera und sagt: „Manchmal fragt man sich wirklich, warum man sein Leben lang spart.“ Ein kurzer Moment der inneren Einkehr, der Einblick in Verborgenes gewährt, aber dem alten Mann nichts wirklich Verkehrtes andichtet. Eine Szene hingegen, in der er die Familie all seinem Geld vorziehen würde – das kommt mir schon etwas aufgesetzt vor. Natürlich kann man das so machen und ich will das nicht kritisieren.
Derzeit schreibe ich viele Geschichten, in der Daisy eine wichtige Rolle spielt. Daisy ist ganz eindeutig eine Zicke, das soll sie auch sein, davon lebt sie. Aber sie muss eben nicht so einschichtig bleiben, wie sie es zu Barks‘ Zeiten war. Ich will sie nicht weniger zickig machen, sondern etwas mehr auf ihrer Seite sein. Ich will verstehen, warum sie Donald zur Sau macht. Ich will mich genauso in sie hineindenken können, wie ich das bei Donald kann. Aber wozu die Figuren umbauen? Die sind ja nicht ohne Grund so! Das sind klassische archetypische Figuren, die nicht domestiziert gehören.
Eine ähnlich alte Figur wie der 80-jährige Donald ist der 75-jährige Batman, der sehr starke Wandlungen durchlebt hat, etwa durch Alan Moore und Frank Miller. Da gibt es dann Kritik daran, dass Donald manchen zu langweilig sei, weil er sich nicht genug entwickelt. Das fehlte mir auch etwas in der Arte-Sendung, nämlich die Frage: Ist der Donald von heute ein anderer als der vor 80 Jahren? Bei Dagobert etwa sagt man, dass er anfing wie Onkel Scrooge aus Charles Dickens‘ Weihnachtsmärchen, also als kleinlicher lokaler Unternehmer, und sich dann zum internationalen Tycoon weiterentwickelt hat. Wie ist das aus deiner Sicht bei Donald, wie hat der sich entwickelt?
Oh. Da habe ich keine wirkliche Antwort. Ich will ihn gar nicht entwickeln. Ich habe eine Figur, die in sich stimmig ist. Die Sachen, um die es heute geht, sind natürlich andere als die, um die es damals ging. Bei Die Ducks in den Alpen etwa spielt das ausgeschaltete Handy eine wichtige Rolle, das gab es zu Barks‘ Zeiten noch nicht. Die Geschichte spielt also eindeutig jetzt. Aber die Figur selbst? Donald ist, wie er ist. Ihm neues Leben einzuhauchen, ist nicht notwendig. Du hast jetzt zweimal Batman genannt, das ist irgendwie eine andere Baustelle, weil dort ganz dezidiert versucht wird, die Figur nochmal neu zu erfinden. So wie es ja auch bei den James-Bond-Filmen ist. Ob das gut oder schlecht ist? Ich muss es mir ja nicht anschauen, wenn ich das nicht mag. Die Frage ist höchstens: Sollte diese Figur noch Bond heißen? Aber wer wirft schon so einen Kassenfüller weg. Will man ihn behalten, ist es sicher sinnvoll, Bond aus den 1950er Jahren heraus zu holen. Das war eine Welt, die es nicht mehr gibt, die Welt des Kalten Krieges …
… die jetzt ja vielleicht sogar wiederkommt.
(lacht) Ja, vielleicht. Da hast du mich jetzt kalt erwischt. Darüber könnte man sich wirklich Gedanken machen. Aber den Kalten Krieg gibt es nicht mehr und diese Art von Frauenheld wird heute auch nicht mehr akzeptiert. Diese typische Ironie der 1950er und 1960er Jahre dieser Figur gegenüber war damals passend. Donald hingegen ist nicht zeitgebunden, er ist kein typisches Kind der 40er, 50er oder 60er Jahre. Der Punkt ist der: Bond ist nicht vielschichtig, sondern ein Abziehbild, eine Projektionsfläche für Männerphantasien: Ich habe die kräftigste Wumme und alle Frauen landen in meinem Bett – viel mehr ist da nicht. Damit er nicht ganz so als Idiot dasteht, hat er noch etwas Selbstironie und einen lockeren Spruch drauf. Solche Figuren erreichen irgendwann ihr Ablaufdatum. Da ist es sicherer, sich rechtzeitig zu überlegen, was man damit macht. Bei Donald gibt es da keinen Handlungsbedarf. Auch ein Hamlet, in die heutige Zeit versetzt, wäre trotzdem der Zauderer. Er muss so sein, wie ihn Shakespeare erfunden hat, sonst wäre es kein Hamlet.
Ich habe noch mal mehrere Fragen in einer, und zwar zum Wesen einer Figur. Das heutige Micky Maus-Heft ist vor allem eine Tüte mit Plastikspielzeug, dem ein Comic beiliegt. Es verkauft sich anscheinend ohne solche Spielzeuge gar nicht mehr. Dann gab es Versuche von Uderzo, Asterix etwas aufzufrischen, etwa durch das Einbauen von Manga- und Superheldenfiguren in den Band „Gallien in Gefahr“, eine möglicherweise unnötige Reform, da sich die Geschichten immer noch millionenfach verkaufen, nur eben von der Kritik und Fans nicht mehr sehr positiv aufgenommen werden. So einen Veränderungsbedarf siehst du bei Donald nicht.
(seufzt) Ich bin nicht der Verleger. Ich bin nicht der Marketingchef. Du fragst den falschen Menschen! Ich schreibe die Geschichten, die ich selbst gerne lesen möchte. Erst wenn mich der Verleger auffordern würde, etwas Neues zu erfinden, würde ich anfangen darüber nachzudenken. Ob ich da auf die richtigen Ideen käme, weiß ich nicht, denn ich bin eben ohne Playstation groß geworden. Was die Kinder da umtreibt, kann ich naturgemäß nicht wirklich beurteilen. Ich bin immer wieder verblüfft, dass heute Dinge beim Publikum funktionieren, bei denen ich denke: Ah! Das verstößt gegen Grundinstinkte des Lesers. Ich war nämlich immer der Meinung, und die habe ich inzwischen revidiert, dass eine durchkomponierte Geschichte – welch hochtrabendes Wort – an einem Punkt beginnt und dann nach einer Reihe von Abenteuern die aufgeworfenen Fragen entweder auflöst oder zu einem unerwarteten, aber schlüssigen Ende führt.
Ich will deine Zeit aber auch nicht überstrapazieren. Sag gerne, wenn dir das Interview zu lang wird.
Frag ruhig. Das ist toll, dass du zwischendurch immer wieder Fragen stellst, die nicht schon 1000 mal beantwortet wurden. Das ist spannend. Das war auch bei Arte sehr gut, das waren ungewöhnliche Fragen. Ich hatte etwa mal Carl Barks besucht. Wenn dem eine Frage zum wiederholten Mal gestellt wurde, hat er eben wortgleich geantwortet..
Wann hast du Barks besucht?
1983.
Wie kam das zustande?
Ich war drei Jahre vorher quasi bei ihm ums Eck rum. Aus Anstand habe ich ihn aber nicht heimgesucht. Es hätte mir etwas gebracht, aber was hat der alte Mann davon, wenn hier ein feuriger Verehrer seiner Sachen auftaucht? Dann gaben sich in den folgenden drei Jahren bei ihm Gott und die Welt die Türklinke in die Hand. Und da ich in diesen drei Jahren jedes Mal in den USA war, dachte ich mir, dass man es mit dem Anstand auch übertreiben kann. Also habe ich ihn angeschrieben. Er hatte mir netterweise ein paar Mal zurück geschrieben. Er schrieb, wegen der vielen Besucher sei er gerade von Südkalifornien nach Oregon gezogen. Er schrieb aber auch, ich solle ruhig kommen und ich würde der erste sein, den er hinein lässt und auch für lange Zeit der letzte. Der einzige, den er in dem Jahr zu Besuch hatte, war tatsächlich Gottfried Helnwein. Eine Ehre! Ich habe Barks ein paar Fragen zum Geschichtenschreiben gestellt, und erhellende Antworten mit nach Hause genommen. Deswegen war’s ein toller Besuch. Nach zwei Stunden habe ich mich höflich verabschiedet.
Hatte er in seinem Haus auch sein Atelier?
Ich kann mich nur an den Flur und an das Wohnzimmer erinnern und ich glaube, wir saßen dann in der Küche. Mehr habe ich nicht gesehen und ich habe ihn auch nicht danach gefragt.
Hingen Donald-Zeichnungen in seiner Wohnung?
Nein. Ich glaube nicht. Nein, das wäre mir aufgefallen!
Und bei dir zu Hause, hast du Werke von dir aufgehängt?
Nein. (lacht) Um Gottes Willen! Das einzige Bild von mir, das bei mir hängt, hat nichts mit Donald zu tun. Es ist das einzige großformatige farbige Bild, das ich je gemalt habe, es zeigt einen altmodischen Fernseher aus den 1970er Jahren, auf dem eine Vase mit verwelkten Tulpen steht. Die Stängel hingen sterbend herab, hatten aber ihre Blüten noch dran. Ein Blütenblatt war heruntergefallen und auf dem Bildschirmrand zum Halten gekommen. Das lag da wie festgenagelt, in einem absurden Balanceakt. Wir hatten damals keinen Fotoapparat, da dachte ich, das muss ich malen! Ich hatte aber keine Zeit für das ganze Bild. Also malte ich zunächst nur den Blumenstrauß, und erst nachträglich entschloss ich mich, doch noch den Fernseher zu malen. Das war etwas blöd, denn das Bild hatte dann immer noch keinen Hintergrund. Vernünftige Maler malen immer zuerst den Hintergrund. Selbst Schuld, wenn man dann doppelt so lange braucht, damit die Farben nicht verlaufen.
Barks malte ja auch Ölgemälde. Wie ist das bei dir, verkaufst du Originalzeichnungen? Und hast du Möglichkeiten, zeichnerisch das auszuleben, was in die Disney-Welt nicht hineinpasst? Auf deiner Homepage sieht man Illustrationen und andere Bilder von dir, die du neben den Ducks machst. Kannst du alles umsetzen, was du möchtest?
Ich setze es um. Ob ich es kann, steht auf einem anderen Blatt. (lacht) Ich bin Zeichner und kein Maler. Darin liegt mein Ehrgeiz nicht. Am allerliebsten schreibe und zeichne ich Donald-Geschichten, mit der Betonung auf Schreiben und Zeichnen! Das Schreiben ist mindestens so wichtig wie das Zeichnen, wenn nicht sogar noch ein bisschen wichtiger. Ansonsten setze ich das was mich interessiert, wenn ich nur einen Hauch von Zeit habe, einfach um. Ob ich das dann verkaufen kann, steht auf einem anderen Blatt. Ich bin ja schon extrem lange in dem Beruf. Allein auf meiner Website siehst du nur einen Bruchteil von dem, was ich so gemacht habe. Würde ich alles reinstellen, würde das Internet platzen. (lacht) Ich hatte Dusel, dass ich vieles veröffentlichen konnte, aber das ist vorher nicht immer klar, ob es ein Publikum finden wird. Sei es früher im Fernsehen oder im Trickfilm, mit Buchillustrationen oder im Comiczeichnen. Im Augenblick bin ich voll auf Donald eingeschossen. Dafür bin ich dankbar und mir fehlt da nichts.
Lass uns noch mal genauer auf ein paar Punkte eingehen, zum Beispiel auf die Arte-Sendung.
Ich bin eigentlich einer, der extrem nervös reagiert, wenn Dinge überfrachtet werden. Zum Beispiel, wenn Leute Wilhelm Busch als Vater der Comics bezeichnen. In meinen Augen – ohne jede Wertung – ist nicht Wilhelm Busch der Vater der Comics, und ebenso wenig die ägyptischen Wandfriese, die gelegentlich herbeigezerrt werden. Ich behaupte: Wenn es überhaupt irgendeinen Vater der Comics gibt, dann ist es der Film. Wenn der Film nicht erfunden worden wäre, gäbe es Comics in der heutigen Form so nicht, weil seine Erzählstruktur tatsächlich filmisch ist. Wenn ich also eine Vaterschaftsklage anstrengen würde, dann würde ich Papa Film heranziehen und ihm sagen: Du hast dieses Kind gezeugt und das beweis‘ ich dir. Wenn jemand Wilhelm Busch holen würde, sag ich: Vergiss es, da braucht’s keinen Bluttest, das ist nicht der Vater.
Warum versucht man überhaupt, Trivialkultur aufzuwerten, indem man sie irgendwie an die Hochkultur ankoppelt? Braucht es denn die Ausrede: „Ich mag das, weil es auch Kunst ist.“ Das ist ein Schmarrn. Ob Comics Kunst sind oder nicht, kann der Betrachter für sich entscheiden, das muss man nicht definieren. Kunst kann man sowieso nicht definieren. Jetzt lehne ich mich wieder aus dem Fenster: Man kann sich ja je nach Geschmack über moderne Kunst ärgern oder sie toll finden, aber die Frage „Ist das überhaupt Kunst?“ ist reine Polemik. Natürlich ist es Kunst! Die Definitionshoheit liegt bei dem, der’s macht. Wenn der sagt, ich mache eine Fettecke oder ich hänge meine Bilder verkehrt herum auf und das ist Kunst, dann ist damit der Fall geklärt. Wenn man Beuys oder Baselitz nicht mag, ist das Geschmackssache. Wer hingegen sagt, das sind keine Künstler, der vermantscht die Begriffe. Die Bezeichnung Künstler bedeutet ja nicht zugleich „guter Künstler“. Im Englischen ist das bequem, da gibt es nur den Begriff „artist“, das heißt von daher bin ich „artist“. Aber ich muss das für mich nicht klären, ob Donaldzeichnen Kunst ist. Donaldzeichnen ist Donaldzeichnen, ich mach’s gerne, ich behaupte, ich kann’s gut und mehr braucht’s nicht.
Zurück zum Thema Autorenschaft, die dir genau so wichtig ist. Ich denke, es ist unzweifelhaft, dass die Arbeit von Dr. Erika Fuchs brillant und sprachlich fantastisch war. Ist sie für dich auch ein Einfluss?
Genau wie Barks hat Erika Fuchs natürlich meine ganze Generation geprägt. Die Sprache von allen, die in den 50er Jahren klein waren, ist ganz eindeutig von Fuchs geprägt. Erika Fuchs ist fantastisch, das unterschreibe ich mit dicken roten Strichen. Der Einfluss ist natürlich da, aber auf einer unterbewussten Schiene. Lese ich heute einen Fuchs-Text, begeistern mich ihre Übersetzungs- oder besser Formulierungskünste. Aber ich setze mich nicht hin und versuche, ihren Stil zu adaptieren.
Disney ist ja ein Großkonzern aus den USA, der seine Figuren weltweit unglaublich erfolgreich vermarktet. Warum gibt es keine deutschen Figuren auf Weltniveau? Sind wir in Deutschland nicht so professionell?
Ich weiß es nicht. Was Film betrifft, das könnte ich dir eher beantworten. Das deutsche Kino war nach dem Krieg in keiner Weise konkurrenzfähig mit dem amerikanischen. Erstens haben die Nazis praktisch alle guten Regisseure aus dem Land vertrieben. Vor dem Krieg war Hollywood ja nicht so bedeutend, da war Deutschland die Filmnation auf der Erde. Das zu zerstören war neben allen Bluttaten der Nazis eine banale, aber besonders gelungene Schandtat. Warum der Film nach dem Krieg nicht wieder den Fuß auf die Erde gekriegt hat? Man meinte, die Zuschauer wollen biederes Familienkino. Aber die amerikanischen Doris-Day-Filme aus dieser Zeit sind auch nicht sonderlich viel besser. Es war einfach eine restaurative Zeit, die Leute hatten die Schnauze voll von harten Wahrheiten. Es hat richtig lange gedauert, bis es hier wieder ernstzunehmende Filmkultur gab.
Ein Hauptgrund ist aber natürlich auch das Finanzielle. In den USA hat jeder Film aufgrund der gemeinsamen Sprache einen ganzen Kontinent als Markt. Ein in allen Belangen brillantes Werk wie die Serie Breaking Bad ist hier nicht machbar, weil man die vielen guten Leute nicht hat, und wenn doch, dann spielen die Filme die Produktionskosten nicht ein. Also sollte man sich auf das Machbare konzentrieren, z.B. beim Zeichentrick: Machbar wäre sowas wie die Simpsons. Die sind sparsam animiert und konzentrieren sich auf gute Geschichten. Nicht machbar wäre sowas wie Tarzan oder König der Löwen. Das wird einfach zu teuer.
Was bräuchte man denn, um mit den Amerikanern mithalten zu können?
Wir alle, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, sind mit amerikanischer Kultur groß geworden. Mit US-Filmen, mit Rock’n’Roll und Beat, das hat uns alle geprägt. Warum das bei uns trotzdem nicht so funktioniert, ist mir auch ein Rätsel. Vielleicht ist es einfach schwierig, zwei unterschiedliche Traditionen zu vermengen. Bei Donald sehe ich das Problem nicht: Donald lebt halt in Entenhausen. Das sind keine deutschen Geschichten, und auch keine amerikanischen, das sind Entenhausen-Geschichten. Wenn ich statt beim Comic beim Film gelandet wäre: Wäre ich so clever wie Müller/Polt oder die Stromberg-Macher, hätte ich sicher auch etwas typisch Deutsches gemacht. Und wäre vermutlich gescheitert.
Erscheinen denn deine Duck-Comics auch in anderen Ländern?
Die Ducks in den Alpen ist vor einiger Zeit in Holland erschienen. Wie es sonst aussieht, weiß ich gar nicht, keine Ahnung. Der englische Text, den ich schreibe, wird wohl nie veröffentlicht. Der ist nur für den Lektor Byron Erickson. Ich bin natürlich kein König im Englischen, aber das Zeug ist schon lesbar. Ich bin jedes Mal erstaunt, dass Byron so wenig ändert. Aber heute ist das leicht: Man braucht zum einen einen Internetanschluss, ein oder zwei vernünftige elektronische Wörterbücher und vor allem einen inneren Warndetektor, der einen davon abhält, das falsche Idiom herauszupicken. Ähnlich wie ein musikalischer Mensch einen Misston hört, merke ich in der Sprache – auch im Englischen – wenn irgendwas nicht stimmig ist. Ich schreibe die meisen Geschichten zusammen mit meinem guten Freund Robert Klein, der Amerikaner ist. Er ist quasi mein Alter Ego. Der kommt jeden Sommer ein paar Wochen zu uns und dann schreiben wir zusammen. Daher habe ich ein gutes Training. Wenn du den ganzen Tag auf Englisch kommunizierst, kriegst du allmählich ein Gespür dafür.
Verfolgst du die deutsche Comicszene? Gibt es da für dich jemanden, von dem du sagst, der ist auf Weltniveau?
Da kenn‘ ich mich überhaupt nicht aus. Ich habe richtig, richtig lange Arbeitstage. Das heißt, wenn ich den Stift mal weglege, lese ich keine Comics. Früher, als ich Zeichentrick gemacht habe, habe ich keine Zeichentrickfilme geschaut. Ich bin genauso geprägt von hunderttausend Einflüssen wie jeder andere, aber ich hole mir meine Anregungen lieber nicht aus dem eigenen Genre. Das ist in meinen Augen besser, weil ich so die Hände freier habe. Ich muss mir nicht dauernd Gedanken machen, ob das so schon einmal gemacht worden ist, ob ich irgendjemanden plagiiere. Das wäre sehr anstrengend und mühsam. Wenn ich mir dagegen meinen Input woanders hole, muss ich es sowieso übersetzen. Wenn ich was in einem Roman oder in der Zeitung gelesen oder in einem Film gesehen habe, irgendeine Idee, wird es automatisch was ganz anderes, weil ich ja eine Comicgeschichte daraus mache.
Wieviel Freiraum bleibt denn, wenn man sechs Tage die Woche 16 Stunden arbeitet? Setzt du dich erst mal fünf Stunden hin und lässt deinen Gedanken freien lauf oder zeichnest du 16 Stunden am Stück?
Jaja, ich zeichne am Stück. 16 Stunden ist aber nicht das Normale bei mir, 12 oder 14 sind genug. 16 Stunden waren es gelegentlich zwischendrin.
Von Don Rosa gab es ja eine öffentliche Bekanntmachung, dass er mit den Arbeitsbedingungen bei Disney gar nicht zufrieden war. Auch bei dir klingt es ja so, als müsstest du dich in einem ziemlich engen Rahmen bewegen, mit wenigen Freiheiten. Ist es manchnal so, dass du Ideen nicht ausleben kanst, weil es nicht reinpasst?
Nein, das Problem hab ich nicht. Ich weiß natürlich unterbewusst schon, was einfach nicht passt. Wenn ich jetzt eine Szene wie in Der Pate machen würde, mit einem abgeschlagenen Pferdekopf im Bett … Auf die Idee komme ich gar nicht, denn was soll das, das passt da nicht rein. Deswegen taucht dieses Problem nicht auf. Ich bin eher erstaunt, dass manche Sachen, bei denen ich mir denke, das könnte vielleicht gekippt werden, problemlos genehmigt werden. Eigentlich gibt es da kaum Probleme. Es gibt vielleicht drei, vier Stellen bei den hundert Seiten von Die Ducks in Deutschland, wo etwas geändert wurde. Da wurde mal ein Knüppel rausgestrichen, der nicht notwendig war.
Ganz gewaltfreie Donald-Geschichten wären blöd, da wäre ich wirklich dagegen. Aber ob ich Donald einen Gegenstand auf den Kopf haue oder einfach fessle, ist völlig wurscht. Da habe ich nicht das Gefühl von Restriktionen. Es sind halt immer Donald-Geschichten. Ich will nicht andere Geschichten machen und die dann als Donald-Geschichten verkleiden – dann hätte ich wahrscheinlich ein Problem. Aber schau dir alte Barks-Geschichten an, da ist nicht immer alles zahm. Das ist es ja, warum ich ihn so liebe! Als ich klein war, war die ganze Kinderliteratur sehr betulich, es gab wirklich nur zwei Leute, bei denen ich mich nicht verarscht fühlte, sondern das Gefühl hatte, die sagen die Wahrheit: Der eine war Carl Barks und der andere war Mark Twain. Punkt. Barks hat einem nicht weisgemacht, wenn wir alle uns ein bisschen anstrengen, uns an den Händen nehmen und eiapopeia machen, dann wird die Welt eine schöne sein. Das glaubt kein Kind, das seine sieben Zwetschgen beieinander hat. Man weiß, Konflikte werden eben auch heftig ausgetragen.
Barks war ein toller Zeichner – aber das ist nicht der Punkt. Es gab und gibt viele tolle Zeichner in diesem Metier, aber in meinen Augen nur einen einsam großen Autor, und der ist unerreicht. Barks‘ Geschichten waren nicht nur witzig, sondern hatten auch eine Botschaft. Ich habe mal gesagt, Barks hat mir eine Betriebsanleitung fürs Leben gegeben. Das meine ich auch so. Ich weiß, es klingt nach Glorifizieren, und das auch noch mit einer romantischen Träne im Auge. Ich bin aber tatsächlich der Meinung, Barks hat in den Kinderherzen eine Botschaft hinterlassen, gerade weil er nie gepredigt hat.
Don Rosa hat sich ja auch über unfaire Entlohnung beschwert.
Ich kann mich darüber nicht aufregen. Wir leben im Kapitalismus, logischerweise bekomme ich als Zulieferer nur einen Bruchteil von dem, was der Konzern verdient. Letztendlich ist es Geschmackssache, ob ich mich ungerecht oder gerecht behandelt fühle. Ich sehe es so: Dass ich diesen Beruf machen und davon tatsächlich leben kann, was in diesem Metier wirklich nicht leicht ist, das muss halt irgendeinen Preis haben. Andere werden reich, sind dafür mit einem Beruf geschlagen, der ihnen keine wirkliche Freude macht. Ich habe mir immer die Jobs ausgesucht, die mich wirklich aufgepeitscht haben. Und die waren oft riskant und unterbezahlt. Ich würde nie 14 Stunden arbeiten, wenn mir das keinen Spaß machen würde, um Gottes Willen! Außerdem nehme ich mir vier bis fünf Wochen Urlaub, und jeden Abend, wenn ich den Stift aus der Hand lege, ist die Arbeit bis zum nächsten Tag komplett vergessen. Es passiert mir nie, auch in Krisensituationen nicht, dass ich wach im Bett liege und grüble. Ich nehme an, ein Angestellter, der schikaniert wird, ist mit acht Stunden viel schlechter dran als ich mit 16 Stunden. „You can’t always get what you want“, wie die Stones singen, „ but if you try, sometimes you might find that you get what you need“. Du kannst nicht den geilsten Job haben, den du dir wünschen kannst, und gleichzeitig auch noch stinkereich werden.
Vielen Dank für das Interview!
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