In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: Ich habe dieses Jahr bereits zwei beeindruckende Filme auf DVD bzw. BluRay angesehen. Einen davon, The Hateful Eight, zähle ich zum Mainstream. Der andere, Die sieben schwarzen Noten, ist die Ausgrabung eines italienischen Films von 1977; und obwohl letzterer von Horror-Meister Lucio Fulci inszeniert ist, ist dennoch The Hateful Eight der verstörendere Film.
Das liegt weniger daran, dass Tarantino sehr offensiv in der Darstellung von Gewalt und diversen Geschmacklosigkeiten vorgeht, sondern dass er zum ersten Mal einen eigens komponierten Soundtrack verwendet hat. In bisherigen Tarantino-Filmen hat die ausgewählte Musik die Gewalt oft konterkariert und abgefedert, in den letzten Filmen sogar noch mehr als in den frühen, denn die Zusammenstellung der Tracks wirkte zunehmend erratisch. Tarantino bediente sich freimütig in den Regalen des kulturellen Archivs und brachte mal hier eine Soul-Nummer, dort einen vergessenen europäischen Soundtrack, dann wieder Hip-Hop. Der Kitt, der seine Filme bisher zusammenhielt, war also ein popkultureller Zitatenschatz, der seinen Filmen Künstlichkeit verlieh – da tat es auch nichts zur Sache, wenn es zu grellen Übertreibungen kam. The Hateful Eight jedoch ist anders, denn Ennio Morricones Musik verleiht den grotesken Elementen des Films eine andere Aura als gewohnt. Erzeugte die Musik bei Tarantino bisher häufig Distanz, so wirkt sie in seinem jüngsten Film verstärkend und verleiht dem Geschehen eine ungewohnte Dichte.
Auf der visuellen Ebene sieht man zunächst natürlich Parallelen zu Schnee-Western wie Leichen pflastern seinen Weg, in der zweiten Hälfte des Films geht der Film jedoch in eine Richtung, die in der Schonungslosigkeit, mit der die Leinwand rot gefärbt wird, an die grenzüberschreitenden Exzesse des italienischen Horrorkinos der 1980er Jahre erinnert, wie es Lucio Fulci inszeniert hat.
Lucio Fulci hat aber bei weitem nicht nur diese surrealen, grotesken Zombie- und Schlitzerfilme gedreht, denen er seinen zweifelhaften Ruf zu verdanken hat, sondern in den 1970er Jahren auch einige Filmjuwelen, die es neu zu entdecken gilt. Die sieben schwarzen Noten ist so ein Film. Man erkennt deutlich die Handschrift des Regisseurs, doch ist der Film zurückhaltend mit grellen Schockmomenten. Stattdessen handelt es sich um einen raffiniert konstruierten Suspense-Thriller um eine Frau mit hellseherischen Fähigkeiten. Bei ihrem Versuch, mithilfe ihrer Eingebungen einen Mordfall zu lösen, merkt sie jedoch bald, dass sie zwar klare Bilder sieht, diese jedoch oft falsch deutet. Das Spiel mit Visionen, die manchmal in die Vergangenheit zurückweisen, manchmal jedoch aus der Zukunft zu kommen scheinen, ist sehr spannend inszeniert und erinnert an Filme wie Wenn die Gondeln Trauer tragen, Der Schrecken der Medusa oder Teufelskreis Alpha. Auch Fans von David Lynch-Filmen wie Lost Highway sollten aber einen Blick riskieren. Unbedingt erwähnenswert ist die Filmmusik von Fulcis Hauskomponisten Fabio Frizzi. Das Titelthema der sieben Noten erkennen aufmerksame Filmfans vielleicht aus Kill Bill wieder, allerdings findet es dort nur in remixter Form und als Effektkulisse für Sprechgesang statt.
Die DVD des Labels ‘84 Entertainment enthält auch einen Audiokommentar des Filmwissenschaftlers Dr. Marcus Stiglegger. Zwar überzeugt der Film auch ohne wissenschaftliche Begleitung, dennoch ist es sehr bereichernd, mehr über die Bedeutung des Films und nebenbei auch einiges über Fulci und dessen Werdegang zu erfahren. Es ist sowohl berührend als auch wichtig, dass Künstler wie Fulci, die ja nicht nur vom deutschen Jugendschutz, sondern teilweise sogar von ihren Fans falsch verstanden wurden, noch einmal neu bewertet werden. Fulci war ein Regisseur, der wesentlich mehr zu bieten hatte, als sein Ruf zunächst erwarten lässt. Es hat nicht nur mit einer Liebe fürs Obskure zu tun, sondern ist schlichtweg geboten, dass hier noch einmal eine angemessene Würdigung stattfindet.
Niklas: Letztes Jahr hatte ich damit begonnen, alle meine Kurosawa-Filme noch einmal anzuschauen, aber abschließen konnte ich dieses Projekt erst jetzt. Nach Die Sieben Samurai (immer noch gut, aber in der zweiten Hälfte wesentlich stärker als in der ersten) beendete ich es ironischerweise mit dem ersten Kurosawa, den ich mir je gekauft hatte: Ran. Noch ironischer, dass dies Kurosawas erster Film in Farbe war und außerdem auch einer seiner Letzten. Überhaupt ertrinkt dieses kleine Meisterwerk fast in Ironie, wenn es nicht gerade durch das Blut der Getöteten marschiert. [Korrektur: Ran war mindestens Kurosawas dritter Farbfilm; Anmerkung v. 01.02.2019, siehe Kommentarbereich].
Denn Ran ist ein blutiger Film über den Untergang eines kriegerischen Hauses, zur Zeit der kämpfenden Lande in Japan. Als der gealterte Patriarch die Verwaltung der Armee an seinen ältesten Sohn abtritt, bricht alles zusammen, da der Kriegsherr seinen Sprösslingen zwar Gehorsam und Töten beibrachte, aber sonst nichts. Und so sehen wir dabei zu, wie sich seine Familie zunächst gegen ihn und danach gegeneinander wendet. Nach einer blutigen Schlacht in der Mitte des Filmes wird er ruhiger, nachdenklicher. Kurosawa beleuchtet nicht nur den persönlichen Fall seiner Hauptfigur, sondern gibt auch seinen Nebenfiguren reichlich Gelegenheit zum Intrigieren und Verraten. Denn auch wenn der Kriegsherr brutal war, so scheint er doch nur ein Produkt seiner Umgebung zu sein.
In Ran verfolgen dich deine schlimmen Taten zwar bis an dein Lebensende, aber ein tugendhaftes Leben ist kein Schutz davor, schnell und qualvoll zu sterben. Loyalität, Ehre, Liebe – all das hat genauso wenig Bedeutung in dieser Welt wie Grausamkeit, Rachsucht und Intriganz. Egal was du tust, du wirst leiden, und was zunächst wie eine Strafe für die Bösen aussehen mag, könnte im Nachhinein nur eine Laune höherer Mächte sein, die aus unserem Leid ihr Vergnügen ziehen. Mit dieser nihilistischen Sichtweise ging Kurosawa noch einen Schritt weiter als im spirituellen Vorgänger Das Schloss im Spinnenwald (dessen Vorlage MacBeth war, während Kurosawa in Ran Elemente von König Lear einbaute, nachdem ihn jemand auf die Parallelen zwischen Stück und Film hinwies). Denn wo es im Spinnenwald die schrecklichen Taten zweier Menschen waren, die Unglück über eine scheinbar gerechte Welt brachten, so ist die Welt in Ran von Natur aus schlecht. Das Ende passt sich dann auch dieser Sichtweise an – und obwohl ich es schon kannte, hoffte ich bis zum Schluss, dass es Hoffnung gibt, dass es doch Gutes in dieser Welt gibt. Vergebens.
Aber gerade deswegen ist Ran einer der besten Filme, die ich je gesehen habe, weil er zum Nachdenken anregt und zeigt, dass es immer schlimmer werden kann, bevor es endlich vorbei ist. Vielleicht sollten wir dann doch lernen, mit uns ins Reine zu kommen, denn andere Menschen oder höhere Mächte werden uns bestimmt nicht dabei helfen.
Wer neugierig geworden ist, sollte sich das Video des YouTubers Kyle Kallgren anschauen, der sich noch einmal vertieft mit den kulturellen Hintergründen beschäftigt. Sehr empfehlenswert und tiefer, als alles was ich zum Thema sagen könnte. Ein Video zu Das Schloss im Spinnenwald hat er ebenfalls veröffentlicht (man beachte den Link am Anfang des Beitrages).
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
„… dass dies Kurosawas erster Film in Farbe war …“
Wenn mich nicht alles täuscht, war Ran bereits Kurosawas dritter Farbfilm: Ihm gehen Dodesukaden (1970) und Kagemusha (1980) voraus.
Danke für die Berichtigung. (Christian)
@Martin
Hmm, muss mir mein Gedächtnis wohl einen Streich gespielt haben. Danke für die Klarstellung.