In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Daniel: „The internet has basically ruined America!“ Eine starke These, die Dirk Wood, Chef des neuen IDW-Imprint Woodwork, in seinem Kickstarter-Video da raushaut. Seine Stimme kratzt dabei wie eine Nadel über Schellack. Die sonore Botschaft: Investiert in ein Produkt, das die analoge Welt wieder in den Vordergrund stellt. Ein ehrliches Produkt, das vierteljährlich nur in Printform verfügbar ist. Wood sammelt per Crowdfunding Geld für „Full Bleed: The Comics and Culture Quarterly„, ein 220 seitenstarkes Hardcover, das von Musik, über Comics, Literatur und Whiskey in Japan eigentlich alles covert.
Die erste von vier Ausgaben soll bereits im Dezember ausgeliefert werden. Enthalten sind ein langes Interview mit Stephen King, eine Reminiszenz auf Douglas Adams, ein bisher unveröffentlichtes Interview mit Alan Moore und natürlich viele Comics. Das alles klingt ein bisschen so wie angestaubter Plattenladen, aber das ist nur Dirks Stimme. Das Cover von Cassey Kuo spricht eine ganz andere Sprache. Mehr so etwas wie „The Believer Magazine„. Den vierteljährlichen Rhythmus finde ich prinzipiell gut, aber ob es wirklich ein Hardcover sein muss, da bin ich skeptisch, auch wegen der Kosten. Aber es soll aber eben kein Pulp, sondern was fürs Regal sein. Ich habe die Kickstarter-Kampage unterstützt, obwohl die Versandkosten fast so viel betragen wie der einzelne Band. Wer sich für das Projekt interessiert, sollte es an seinen Comicladen weiterleiten, weil Dirk mit seiner Reibeisenstimme verrät, dass eine Kooperation mit Diamond Distribution in Planung ist. Ob das auch für Deutschland kommen wird? Ich habe ihn mal angeschrieben. Er klang optimistisch. Jetzt habe ich Lust auf Let it Bleed von den Stones.
Daniel: Comicverlage und -leser sind versessen auf Ursprungsgeschichten. Die Originstory so vieler Superhelden wurde schon so oft erzählt, dass Sigmund Freud seine helle Freude hätte, die multiplen Psychen der verwirrten Kostümierten wieder auseinanderzuklamüsern. Im April 2017 hat Marvel angekündigt, eine Über-Originstory draufzusetzen: mit Marvel Legacy. Marvel Legacy #1 erzählt die Ursprungsgeschichte der ersten Superhelden eine Million Jahre vor Christus. Soll das heißen, Ghost Rider reitet ein brennendes Mammut? Genau das soll das heißen. Aber es kommt noch mehr, wie die Tom Brevoort (Executive Editor) und Axel Alonso (Editor in Chief) verraten. Das Großevent wird sich in alle aktuellen Storylines einschreiben.
Brevoort erklärt, wie toll das wird. Supertoll. Alle werden glücklich sein. Menschen werden auch Jahre später noch über dieses Event sprechen: „Weißt du noch, damals, als Marvel versucht hat, uns mit dieser dämlichen Legacy-Idee zu ködern? Und wir sind drauf reingefallen.“ Natürlich verspricht Alonso den Spagat zwischen den alten und neuen Helden. Die alten kommen zurück, und die neuen bleiben. Klar passen Mark Morales und Peter Parker beide in das gleiche Kostüm – am besten gleichzeitig, als achtarmige Spinne. Auch nett, dass sie die Shoppingliste für die einzelnen Serien gleich im Video gleich mitliefern. Außerdem versuchen sie mit Neuauflagen von klassischen Covern daherkommen. Das einzig Gute: Diese Cover sind nicht mehr foil-embossed, das hoffe ich zumindest für Marvel. Wenn ihr mit dabei sein wollt, kauft das erste Heft am 27. September. Ich werde mir das zumindest runterladen und mich vergewissern, dass es Sinn hatte, alle Superhelden-Abos in meinem Comicladen zu kündigen.
PS: Schlimmer als die absurden Storylines sind aber die Menschen, auf die man bei der Recherche trifft. Mir war bewusst, dass viele amerikanische Stammleser nicht zufrieden mit einem weiblichen Thor und einem lateinamerikanischen Spider-Man sind. Aber die Ablehnung, die Leser in YouTube-Videos den SJW-Autoren entgegenbringen, ist erschreckend. SJW musste ich erstmal googlen. Heißt Social Justice Warrior und bezeichnet Autoren, die Lesern die männlich weiße Prügelei wegnehmen und ihnen dafür Frauen und soziale Probleme in ihren geliebten Superhelden-Comics präsentieren. Diese Probleme sollten bitte an anderer Stelle geklärt werden, meinen diese Menschen. Aber sollten die sich nicht freuen, wenn die alten Helden zurückkommen? Eben nicht, denn die bösen SJW-Autoren könnten ihre heißgeliebten männlichen Machos schwul machen. Was für Idioten!
Frauke: Obwohl immer mal wieder über den Namen gestolpert, habe ich länger gebraucht, mich mal an People of Earth zu wagen. Die Prämisse, dass die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe sich nicht nur einbilden, von Aliens entführt worden zu sein, klingt interessant, aber ich bin kein großer Fan von Komödien. Gut, dass ich der Serie jetzt doch endlich eine Chance gegeben habe. Es sind zwar alberne Szenen dabei (so wird die Inkompetenz und der Zwist der Aliens gerne durch den Kakao gezogen), aber viele Gags zünden dann doch, und die Serie zeigt schnell ernste Untertöne und präsentiert durchaus vielschichtigere Figuren.
Frauke: Vor einigen Wochen war ich zum zweiten Mal bei den Bregenzer Opernfestspielen, diesmal bei Carmen (FAZ-Rezension). Was diese Open-Air-Festspiele generell ausmacht, ist, dass sie pro Aufführung 7000 Zuschauern die größte Seebühne der Welt bieten, welche bei jeder Inszenierung ein wunderbares, technisch ausgetüfteltes Bühnenbild (Übersicht) spendiert bekommt und bei der der Bodensee mit einbezogen wird. Orchester und Dirigent sind sicher überdacht, aber Sänger und Publikum müssen gegebenenfalls dem Regen trotzen. Dazu kommt eine extra für diese Location entwickelte Beschallungstechnik („Bregenzer Richtungshören„) mit insgesamt 910 Lautsprechern, die bewirkt, dass der Gesang genau aus der Richtung wahrgenommen wird, in der er auch entsteht. Die Inszenierung hat mir noch besser gefallen als die von Turandot von vor zwei Jahren: sehr lebhaft, mitreißend und von seinen Sängern viel Körpereinsatz abverlangend (inklusive bis zu den Knien in Wasser tanzend, Sprung in den Bodensee und Abseilen aus 20 m Höhe). Da jede Inszenierung zwei Sommer lang läuft, kann ich guten Gewissens empfehlen, nächstes Jahr in Bregenz bei Carmen vorbeizuschauen. Aus leidvoller Erfahrung: nicht zu lange mit Kartenkauf und vor allem Hotelbuchung warten. Den Einführungsvortrag dann auch noch direkt mitnehmen – kenntnisreich, mit vielen Anekdoten und – zumindest bei unserer Dame – durch seinen süffisanten Unterton sehr nahbar dargeboten. Und zu guter Letzt war man damit auch an einem Drehort eines James-Bond-Films.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.