Aktuelles
Schreibe einen Kommentar

Währenddessen… (KW 20)

Der Gratis-Comic-Tag wird mehr und mehr zu einem Event für Kindercomics. Eigentlich keine schlechte Entwicklung.

Christian: Für den Gratiscomictag habe ich mal wieder versäumt, die Journalistenkarte zu spielen, aber ich wollte mir auch nur elf der 22 angebotenen Hefte zurücklegen lassen. Alles andere hätte mich überfordert, außerdem kenn ich Serien wie Idefix, LTB, Hilda durchaus gut genug, Gratiscomics von Superhelden haben mich noch nie interessiert und einige wenige fielen leider untern Tisch. Sorry Frnck, sorry Mensch!, sorry Ragnarök, ich schau bei anderer Gelegenheit mal bei euch vorbei. Unter denen aber, die ich mir genauer angesehen habe, waren einige echte Entdeckungen dabei.

Comic 1: WAS IST WAS – Im Orbit des Neptun

Der WAS IST WAS-Comic ist eine etwas krude Mischung aus Kindercomic und Wissensvermittlung, vor allem aber ist dieser Band ein buntes Weltraumabenteuer, in dem zu jeder sich bietenden Gelegenheit eine wissenschaftlich belegte Information mitgereicht wird, z.B. zum Urknall, zu Lichtgeschwindigkeit, Vulkanmonden oder Asteroiden. Das ist eher random als sachlogisch und wohl dem modernen didaktischen Prinzip der Situations- und Handlungsorientierung verpflichtet, wirkt im vorliegenden Beispiel aber wenig nachhaltig. Außerdem beißt sich die recht unwissenschaftliche Raumfahrerei der Helden mit dem wissenschaftlichen Anspruch und kleine Albernheiten wie Sonnenbaden im Raumanzug oder ein kleiner sprechender Toaster, der gerne die Fakten verdreht, sind halt knuffig. Die Zeichnungen immerhin sind kompetent geraten, Spannung kommt indessen nur wenig auf. Die klassischen WAS IST WAS-Bücher sind da auch in ihrer aktuellen, modernisierten Inkarnation für wissbegierige Kinder deutlich interessanter.

Dass Wissenschaftscomics auch richtig gut sein können beweist Comic 2: Es war einmal … Das Leben. Zeichnerisch sieht das nur auf den ersten Blick wenig aufregend aus, wenn man erst mal zu lesen beginnt, bemerkt man sofort den Unterschied. Hier sind die Künstler wirklich daran interessiert, Wissen zu vermitteln, so dass man hinterher klüger ist als vorher und vielleicht sogar einiges davon noch nacherzählen kann. Es geht eben nicht darum, wie im Quartettkartenspiel die Eckdaten von Pluto und Saturn aufzuzählen, sondern Zusammenhänge zu verstehen und das gelingt hier phänomenal gut (auch die Fernsehserie war ja schon immer sehenswert). Emotional werden keine halben Sachen gemacht, man erfährt gleich auf Seite 3, dass der erste Mediziner, der 1543 den Zusammenhang zwischen Herz und Blutkreislauf entdeckte, nur knapp dem Scheiterhaufen entging, während ein Kollege von ihm 10 Jahre später mangels Fürsprecher tatsächlich als Ketzer verbrannt wurde. Aber auch wenn es dann wirklich ums Eingemachte geht, also den Blutkreislauf durch den Körper, bleibt der Comic bei der Sache und fesselt gerade deswegen. Man muss nicht kindisch erzählen, wenn man Kindern Wissen vermitteln will, denn sie wollen ernst genommen werden. Für mich ist Es war einmal … das Leben die erste Entdeckung des GCT 2025.

Comic 3 ist Läuft, eine Graphic Novel über alle Regeln der Freundschaft – ja, und über die Regel, also Regelperiode. Für dieses Anliegen fallen die beiden Autorinnen aber nicht mit der Tür ins Haus, sondern etablieren erst mal ihre Figuren und deren Rangordnungsgerangel an der Schule, bis dann zuletzt der kleinen unbedarften Christine eines Tages unvorbereitet und für jeden sichtbar ein Pubertätsmalheur passiert, die erste Periode. Aber zum Glück sind ihre Freundinnen zur Stelle, die sie gleich mal von drei Seiten umringen und sicherheitshalber auf die nächste Toilette eskortieren. Der Comic Läuft fährt einen derart streng inklusiven Ansatz, dass die Autorinnen Lily und Karen in ihrem Anmerkungsteil nicht von Mädchen schreiben, die ihre Periode bekommen, sondern zunächst allgemein von Menstruierenden. Aufregen muss man sich darüber nicht, es wird schließlich eingeräumt, dass die Mehrzahl der Menstruierenden Frauen und Mädchen sind, man fühlt sich also durchaus traditionellen Begrifflichkeiten verbunden, will aber nicht-genderkonforme Leser*innen eben nicht ausschließen. 2025 ist diesbezüglich ein dramatisches Jahr. Erstens hat man in Sachen Inklusion und Diversität viel erreicht, zweitens bekommt man zunehmend ein Gespür dafür, a) wie fragil das Erreichte doch ist und b) wie wertvoll. Die Darstellung von Solidarität im vorliegenden Comic ist wärmend, aus eigener Beobachtung heraus weiß ich, dass die Figuren auch sehr realistisch miteinander umgehen.

Comic 4: Safe – Ein Comic-Abenteuer

Safe ist eine knuffig im flotten Strich hingeworfene Story über einen Teenager namens Flo, der unter seinen leichtsinnigen und abenteuerlustigen Eltern leidet. Denn Flo hat es gerne „safe“, und vermutlich hat er genau das seiner Erziehung zu verdanken, denn die Eltern leben ihm schon immer das Gegenteil vor. Safe ist liebevoller Klamauk der sich zügig wegliest. Am Ende dieser längeren Leseprobe des GCT trifft Flo ein Mädchen, die sich auch mal was traut, und verliebt sich halsüberkopf. Ob das gutgeht? Vergnüglich!

Comic 5: O’Hana heißt Familie – Gedanken zum täglichen Leben

O’Hana ist ein Lilo & Stitch-Ableger. Anders als der krawallige und ziemlich gelungene Disney-Zeichentrickfilm ist O’Hana aber eher eine Aneinanderreihung von Lebensweisheiten fürs Poesiealbum, in kleinen Comicvignetten erzählt. Das ist liebenswert, hübsch und harmlos und in der guten alten Tradition klassischer Film-Bilderbücher. Man darf das durchaus gern haben.

 

 

Jetzt wird’s fantastisch. Mein Comic 6 ist Die kleine Hexe Nebel. Die überaus kompetenten Zeichnungen erinnern an so manche Beiträge, die wir hier schon seit Jahren gerne in unserem Fuck Yeah-Kalender zeigen und die Story von einem kleinen Mädchen, das so gerne Hexe wäre, ist natürlich sehr gefällig. Die ganze Fantasywelt hier ist nett zusammengeschustert und hat einen kleinen Touch von Artussage, aber eigentlich handelt die Story von der Hexe Nebel, die ganz schön selbstbewusst mit Zauberei dilettiert, und ihren etwas trotteligen Sidekick Hugo. Gemeinsam gehen sie auf Drachenjagd und dann ist die Leseprobe auch schon aus. Kindgerecht.

 

Und kindgerecht geht’s weiter mit Comic 7: Enola & die fantastischen Tiere. Hier haben wir mal keine Coming of Age-Story, sondern die Erlebnisse einer bereits etablierten Spezialistin für seltsame Tiere. Im vorliegenden Heft geht es um einen Wasserspeier, der sich nicht daran hält, wie er auf einer Kirche platziert wird und stattdessen den Menschen immer Wasser auf den Kopf spuckt. Enola geht dem Spuk auf die Spur und findet raus, der Wasserspeier ist verliebt und braucht eine Partnerin. Das ist wirklich ein ganz, ganz lieber Comic und total süß. Da ich poetische Sachen mag, gibt es auch hier den Daumen hoch.

Comic 8, Kiste von Patrick Wirbeleit und Uwe Heidtschötter, gibt es ja nun auch schon ein paar Jahre, die Reihe ist offensichtlich beliebt. Nun konnte ich mich dessen vergewissern und – ja, die Reihe ist wirklich außerordentlich lesenswert. Ein bisschen erinnerte es mich zunächst an Calvin und Hobbes, weil es um eine kleine Schachtel geht, die eigentlich die meiste Zeit nur mit Mattis interagiert, aber dann sehen Mattis Eltern irgendwann diesen ungewöhnlichen Karton und erstarren aufgrund dessen. Also muss Rettung her und Mattis und Kiste begeben sich auf ihre erste Quest. Kiste ist ein Feuerwerk an originellen Ideen und bewegt sich ständig aufs Neue in ungeahnte Richtungen. Langweilig wird es mit der Kiste jedenfalls nie. Ein kleines Erzählwunder für alle Kinder ab 6. Ich find das aber auch super.

Unico erwacht ist mein Comic Nummer 9. Dass es diese Reihe gibt, finde ich total ungewöhnlich, denn ursprünglich war Unico, die Serie mit dem kleinen Einhorn, ein Manga von Osamu Tezuka, Der erschien vor einigen Jahren in Amerika im Rahmen einer Crowdfunding-Aktion und ist vergleichsweise hard to get. Nun gibt es eine Art Fortsetzung, die zu lesen aber keinerlei Vorkenntnisse erfordert; das Original zu haben ist ungefähr so notwendig, wie es notwendig ist, die 30er Jahre Batman-Comics zu lesen, um zu verstehen, was in den heutigen Comics los ist. Lasst euch lieber gleich in die neue Reihe fallen, denn die ist richtig gut. Erst bekommen wir in einem kleinen Prolog die Origin-Story so zugespitzt wie mitreißend zusammengefasst, dann werden wir in die Jetztzeit geworfen, in der das kleine Einhorn ein neues Zuhause findet und sich langsam daran erinnert, wo es eigentlich herkommt. Unico kommt nämlich aus der Sagenwelt und hat mit der Göttin Psyche, die dem Einhorn seine Schönheit neidet, eine ziemlich böse Widersacherin. Insgesamt deutet sich eine epische Comicserie mit vielfältigen Figuren an. Wie man das aus dem Tezuka-Kosmos halt so gewohnt ist. Ganz groß und für mich einer der Höhepunkte dieses gelungen Gratis Comic-Tags.

Comic 10 und 11 waren Die Schlümpfe und Nevermoor, wobei es für den letzten Absatz dieser Kolumne über die Schlümpfe eher zu wenig und über Nevermoor zu viel zu erzählen gäbe. Schlumpfige Geschichten sind nach über 40 Bänden eben eine reichlich routinierte Angelegenheit, auch wenn inzwischen ein weiteres Schlumpfdorf mit weiblichen Schlümpfen existiert. Kann man lesen. Nevermoor dagegen ist der erste Teil einer Literaturadaption und bietet viel Lesefutter. Die Zeichnungen gefallen mir, rasches Durchblättern verspricht vergleichsweise anspruchsvolle, aber unterhaltsame Fantasy. Aber davon soll ein andermal die Rede sein.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.