Christian empfiehlt uns heute die deutsche Savage-Dragon–Reihe von Zauberstern.
Christian: KISS. Nein, nicht die Musikgruppe. KISS steht für „Keep it simple, stupid“.
Meine Dozentin in „Essay Writing“ (Anglistik-Studium) hatte damals ’98 diesen Tipp für alle Kursteilnehmer – keep it simple, stupid -, damit sich keiner verhebt auf einem Sprachniveau, das er nicht beherrscht. Erik Larsen hat seinen Savage Dragon ebenfalls nach diesem Prinzip konzipiert. Das gelungene Ergebnis bestätigt die Methode.
Mag auch Todd McFarlanes Spawn die bekannteste Serie des frühen Image-Labels sein, Erik Larsens Savage Dragon ist trotzdem um Längen besser. Nicht, dass Savage Dragon eine besonders tiefsinnige Story erzählt, im Gegenteil: aber während Todd McFarlane kompliziert um die Ecke erzählt und trotzdem nach 25 Heften ein derartiges Nichts an Substanz abgeliefet hat, dass ich damals ’95 genervt das Abo gecancelt habe, gelingt es Erik Larsen meisterhaft, direkt ins Herz zu treffen.
Wie aus dem Nichts taucht in der Story ein grüner Mutant ohne Vergangenheit auf, der zwar artikuliert reden kann, aber offensichtlich keinerlei persönlichen Hintergrund besitzt. Der Polizeilieutenant Frank Darling erkennt in dem grünen Kraftprotz das Potenzial, den hoffnungslosen Kampf der Stadt gegen die Brut assozialer Mutanten zu wenden. Er ringt dem Savage Dragon Unterstützung ab für diesen Kampf, in dem selbst alteingesessene Superhelden zu scheitern drohen. Zunächst zögert der Dragon zwar noch, aber nach einer Attacke auf einen Freund beschließt er, die Polizei zu verstärken. Mit der Beschreibung von rechtlichen Dingen oder Polizeischule gibt sich Erik Larsen da nicht lange ab, und schon ein paar Seiten weiter ist Dragon das Ein-Mann-S.W.A.T.-Team, das einige bewundern, andere argwöhnisch sehen. Aber Dragon hat das Herz am rechten Fleck, liest gleich mal einem rassistischen Cop die Leviten und quetscht ihm die Eier. Dann verprügelt er erfolgreich Mutanten und wird zum Medienphänomen. Viel mehr Story ist dann auch nicht.
Dass Savage Dragon trotzdem so gut funktioniert, ist Erik Larsens kraftvoll komponierten Panelfolgen zu verdanken. Die Dialoge mögen noch so schlicht sein, trotzdem nimmt sich der Künstler Zeit für ruhige Sequenzen und zerlegt sie in zahlreiche Einzelpanels mit bewundernswerter Erzählökonomie. Zudem beherrscht Larsen die Klaviatur von laut und leise. In den Actionzenen lässt er plakatives Lettering für Lautstärke sorgen, dann wiederum versteht er es, Text, sobald möglich, auf ein Minimum zu reduzieren, und manchmal lässt er auch nur Blicke sprechen. Im Grunde ist es eine reine Performance etablierter Motive, die im ersten Savage-Dragon-Erzählzyklus abgespult werden, und tatsächlich sind sie noch etwas plakativer als gewöhnlich, dafür aber herzerwärmend direkt.
Da wundert es nicht, dass auch der erste Flirt und die erste sexuelle Begegnung auf Grund von Blicken und Gesten stattfinden: die junge Debbie, die im gleichen Stock wie Dragon wohnt, sitzt auf dem Flur, weil sie Stress mit der Mom hat. „Kann ich auf Ihrer Couch schlafen!?“ fragt sie Dragon, in der deutschen Übersetzung mit passender Siezgelegenheit. „Lassen Sie mich mit Ihrer Mutter reden. Das ist nicht richtig“, bremst Dragon noch unsere Erwartung, aber Debbie will mit Dragon aufs Zimmer. Der Rest sind ein paar stumme Blicke hinter verschlossener Tür, eine Umarmung, viele Kleidungsstücke auf dem Fußboden… von wegen Couch.
Trotzdem, man genießt die traute Vertraulichkeit der beiden Turteltäubchen auf den folgenden Seiten, bis dann vier Seiten später ein namenloser Eifersüchtiger Debbie an der Haustür erschießt und dann sich selbst. Einfach so. Ein Held darf halt nicht glücklich sein, und gerade ein Plakatkünstler wie Larsen muss natürlich die einfachsten Mittel auffahren um seinem Held die größten Gefühle zu entlocken: Trauer, Wut, Verzweiflung, Trotz. Die allerdings sitzen perfekt. (Heute rechnet man Debbie zu den „women in refrigerators“ und Savage Dragon zu den guilty pleasures. So what?)
Unfreiwillig ironisch wird es, wenn Larsen sich einerseits über die primitiven Klischees der damaligen Marvel-Comics lustig macht, immerhin in einer zugegeben gekonnten, lustigen Parodie, dabei aber selbst ein Klischee nach dem anderen bedient. Aber immerhin: Savage Dragon bleibt so geradeaus und ungekünstelt, so bodenständig mit seinem unbedingten Willen, nur eine Polizei-Story mit Superheldentouch zu sein, dass man die Geradlinigkeit nur bewundern kann. Die wenigen Crossover-Elemente, die auf andere Image-Comics verweisen, sind charmante Zeugnisse des großen Selbstbewusstseins, das die Image-Künstler damals demonstrieren wollten. Sie haben nichts mit den schwurbelig-aufgeblasenen Mega-Events der großen Verlagshäuser am Hut. So viel Charme hatten Cameos seit dem goldenen Marvel-Zeitalter nicht mehr.
Die neue Savage Dragon-Veröffentlichung bei Zauberstern ist ein Must-Have. Für solches Überformat legt man in der Regel in Form von Absolute Editions viel Geld hin, hier bekommst du fette 132 Seiten für schlappe 9,99€. Die Klammerbindung ist darüber hinaus ein Winner, weil sie die zahlreichen großformatigen Splash Panels verlustfrei zeigen kann. Bitte niemals von den Heftklammern abrücken!!! Egal wie wenig bibliophil das auch aussehen mag.