Im neuen Währenddessen… (KW 18) geht es um das Mai-Motiv des Vertigo-Kalenders, Ostern, Garth Ennis, Verschwörungstheorien, Prinz Charles und John Carpenter.
Passend zu Ostern: 1989 zensierte man bei DC-Comics das Swamp Thing-Heft, in dem Swamp Thing auf den gekreuzigten Jesus treffen sollte. Vielleicht hat man sogar gut daran getan, nicht auch noch den Jesus-Mythos in die DC-Chronologie zu integrieren, sondern das ganze Himmel-und-Hölle-Konstrukt doch eher den erfundenen Figuren zu überlassen. Am Ende wäre da noch ein essentieller Continuity-Baustein draus geworden und man hätte sich immer wieder neu auf Jesus beziehen müssen. Darauf hätten Christen keinen Bock und Atheisten noch weniger. Die bittere Wahrheit ist – vielleicht war es keine schlechte Entscheidung, dem bei Zeiten einen Riegel vorzuschieben.
Manchmal wundert man sich dagegen fast, was alles nicht zensiert wurde, und da sind wir schon beim aktuellen Vertigo-Kalenderbild für den Mai, diesmal Glenn Fabrys Titelbild zu Hellblazer 56 aus den letzten Monaten, bevor das Vertigo-Logo kam. Hellblazer ist ein gutes Beispiel dafür, wie hemmungslos einige der Serien mit der Zuschreibung „Suggested for mature readers“ in den frühen 90ern waren. In der Story „Royal Blood“, Hellblazer 52 bis 55, schreckte Garth Ennis nicht davor zurück, Prinz Charles zu einem vom Dämon besessenen Massenmörder und Menschenfresser zu machen – und auch das ist definitiv kein continuity-taugliches Storytelling.
Garth Ennis sieht sich selbst in der Tradition von Serien wie Southpark oder Simpsons, wo lebende Personen des öffentlichen Interesses ebenfalls nicht geschont werden. In „Royal Blood“ spitzt er den fiesen Umgang mit dem britischen Establishment in dem Satz zu:
“What has our royal family ever done except feed off the blood of the people?”

Aus Hellblazer 55 (1992). Artwork: Will Simpson. (C) DC-Comics
Garth Ennis wühlt mächtig im Dreck in seiner Story. Nicht nur macht er Prinz Charles zum neuen Jack the Ripper, die ganze Royal Society besteht sich bei ihm aus mehr oder weniger satanischen Kultisten, die sich in ihrer Freizeit abwegigen sexuellen Praktiken hingeben, Kämpfen von rasierten Katzen bis auf den Tod beiwohnen und sich auch sonst für Geld natürlich alles erlauben, oder wie Sir Marston bei einer James Bond-mäßigen Begehung der Londoner Subkultur seinem Zuhörer John Constantine erzählt:
„The richest, most powerful, most famous men and women in the world come here, Constantine. We provide them with general entertainment and individual attention, ranging from simple sadistic perversion to actual murder, and they go away quite refreshed.”
Den entschuldigenden Gedanken, dass Prinz Charles ja vielleicht unschuldig an dem Gemetzel ist, er kann ja nichts für die Besessenheit, wischt Constantine beiseite:
„An heir to the throne is possessed. The good Royal. The one who understands our needs, graces us with his decent ordinary insight. Oh God bless him! He does a great job. In there … in the rich man’s club to end them all, the frigger showed his true colours. He’d make speeches and open charities all day, from one end of the country to the other … and then he’d come here and lick caviar from infant’s skin, watch murders on the stage while sipping brandy, choose rich food from the menu and rich atrocity from the club schedule.”
Wie geschmacklos. Armer Prinz Charles.

The Royals love their bloodsports. Aus Hellblazer 52 (1992), Artwork: Will Simpson.
Ein paar Jahre später sollte Grant Morrison in seinen Invisibles auf ganz ähnliche Art und Weise über mit der High Society, dem Establishment und dem „Deep State“ verfahren. Vertigo-Comics waren eben bei weitem nicht nur ein progressives Imprint, sondern bisweilen ganz schön toxisch.
Ähnliches kann man aber sicher auch anderen Erzählungen der Ära vorwerfen, nicht zuletzt John Carpenters They Live, der die Idee durchspielte, die Regierung konstituiere sich aus Echsenmenschen, Philip Kaufmans Invasion of the Body Snatchers gehört genauso dazu, ebenso der 70er Streifen Unternehmen Capricorne, in dem es um eine im Studio inszenierte Mondlandung geht. Trotzdem fällt auf, dass sich in den 90ern das progressive Vertigo-Imprint sehr stark dieser Verschwörungs-Stories angenommen hat, die heute fast ausschließlich von rechts vereinnahmt sind. Vieles davon hatte schon in den 90ern nicht viel Charme.*
Aber vielleicht sollte man es auch einfach so entspannt sehen wie John Carpenter. Der kommentiert die Vereinnahmung seiner Verschwörungsstory They Live ganz lässig mit „Die Leute haben die Madonna in einem gegrillten Käsesandwich gesehen. Ich finde diese Paranoia absurd“ (zu finden in John Carpenter: Horror und Apokalypse, Deadline-Verlag, 2024). Ich glaube, Carpenter hat recht. Und Comics mit Nachrichten verwechseln ist auch keine gute Idee.