Wes Cravens A Nightmare on Elm Street gilt als Horrorklassiker, der zweite Teil besitzt dagegen keinen guten Ruf. Zeit für eine Ehrenrettung.
Christian: Schweigen die Eltern, dann sprechen die Kinder. Unter dieser Formel lässt sich der Subtext von Wes Cravens Horrorklassiker A Nightmare on Elm Street zusammenfassen. Kein Kind der Elm Street sollte je vom Kindermörder Fred Krüger erfahren, diesen Pakt hatten sich die Eltern geschworen. Aber natürlich spült es das Verdrängte nach oben. Die Kids merken, dass etwas nicht stimmt – und schon manifestiert sich der Mann mit den Krallen in ihren Träumen und lässt diese bald blutige Realität werden. Zu viel Psychologie sollte man in diesem unterhaltsamen 80er-Jahre Horrorfilm zwar nicht suchen, aber etwas Mehrwert verleiht diese angedeutete zweite Ebene dem Film durchaus.
Der zweite Teil Nightmare 2 – Freddy’s Revenge ist einerseits das typische billige Sequel, wo mit minimalem Aufwand noch mal ordentlich Geld an den Kinokassen generiert wurde – in den 80ern ging da noch was. Heute zählt Nightmare 2 – Die Rache zu den Top-Filmen, die unfreiwillig schwul sind – und wahrscheinlich war die Gayness zumindest für einige der Beteiligten gar nicht so unfreiwillig. Eher schon subversiv und raffiniert versteckt – in plain sight.
Aber verleiht es dem Film einen Mehrwert, dass der sadistische Sportlehrer in einer Fetischbar verkehrt? Später, als Freddy Krüger sich manifestiert, wird der Sportlehrer an den Armen aufgehängt und von Handtüchern auf den nackten Hintern geschlagen. Das ist alles relativ willkürlich und wäre nicht der Rede wert, wenn es nicht durch weitere Andeutungen in Kontext gebracht werden könnte.
Im Mittelpunkt des Films steht Jesse, dessen Familie das Haus in der Elm Street aus dem ersten Teil gekauft hat. Jesse hat eine Freundin, Lisa, pflegt aber auch eine On-off-Freundschaft mit dem Mitschüler Grady, mit dem er sich zwar prügelt, dem er aber doch auch freundschaftlich zugeneigt ist. Freddy Krüger hat sich Jesse als Mittel zum Zweck ausgesucht, um sich über ihn wieder neu in die Welt materialisieren zu können: Erst lässt Freddy Jesse den Handschuh mit den Krallen zukommen, später wird dieser nicht mehr nötig sein, da Jesse die Krallen direkt aus den Fingern wachsen werden, bevor Freddy Krüger selbst aus Jesse herauswächst. Das alles ist Body-Horror, der sich logisch nicht erfassen lässt und gerne als unlogisch deklassiert wird. Aber so einfach ist es nicht: körperliches Unbehagen ist per se schwer zu begreifen und nicht rational zu erklären.
In einer Schlüsselszene ist Jesse auf dem Fußboden mit Lisa dabei, zum ersten Mal Sex zu haben, als plötzlich eine monströse Zunge aus ihm herausfährt – ein echter Liebeskiller, der die Erregung sofort in sich zusammenfallen lässt. Jesse fürchtet das Monster in sich und flüchtet aus dem Raum, selbstredend auch, um Lisa zu schützen. Aber er flieht zu Grady, der mit nacktem, muskulösem Oberkörper in seinem Bett liegt. Bei ihm findet Jesse etwas Bestätigung und Trost (er will bei ihm schlafen !), bevor Freddy doch noch aus Jesse herausbricht und Grady tötet.
Okay – interpretieren wir meinetwegen hinein, dass Jesse mit seinem Coming-Out nicht umgehen kann und in einer Kurzschlusshandlung sein wahres Love-Interest tötet, nachdem er schon daran gescheitert ist, „normalen“ Sex haben zu können. Das ist plausibel. Demnach hätte Freddy extra den unsicheren Jesse als dankbares Opfer gewählt, der ihm als neue Tür ins Leben dienen kann.
Aber es kommt noch deutlicher, denn gerade das vermeintlich heteronormative und schwache Ende bestätigt das subversive Anliegen. Zunächst beweist Lisa Jesse in der Schlusssequenz ihre unumstößliche Liebe, obwohl dieser sich inzwischen völlig in den garstigen Freddy verwandelt hat. „Ich habe keine Angst vor dir, denn ich weiß, wer du wirklich bist“, gibt sie Jesse zu erkennen, wohl wissend, dass nur wahre Liebe alles bezwingt. Tatsächlich treibt sie mit ihrer bedingungslosen Liebe den Dämonen aus Jesse hinaus, so dass sich Jesse am Ende wieder in sein wahres Selbst zurück verwandelt.
Aber diese Liebe ist eigennützig und nicht das, was Jesse wirklich braucht. Durch Lisas aufopferungsvolles Verhalten wird der alte Status Quo wiederhergestellt – danach können Jesse und Lisa zwar einer gemeinsamen Zukunft entgegen gehen, aber Jesses wahres Selbst bleibt im Wandschrank. Genau deswegen macht diesmal die obligatorische Schlusssequenz, in der das Monster zurückkehrt und für einen letzten Jump-Scare sorgt, in diesem Film auch so viel mehr Sinn: was sonst nur vorhersehbare Horror-Konvention ist, hat aber hier einen echten Mehrwert. Nichts anderes als das Verdrängte bricht sich am Ende Bahn.
Betrachtet man Nightmare 2 – Freddy’s Revenge unter diesem Gesichtspunkt, so gelingt dem Film ein psychologisches Bravourstück wie nur wenigen anderen Horrorfilmen. Selbst das Krude und Hässliche in dem Film besitzt mit einem Mal einen neuen Glanz, die handgemachten Spezialeffekt sind alles andere als übel geraten und die innere Logik überzeugt – vielleicht mehr als im ersten Teil. Nightmare 2 ist eine Trash-Perle, die man lieben muss.