Aktuelles
Schreibe einen Kommentar

Währenddessen… (KW 14)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Kennt ihr den Film The Manxman von Hitchcock, der auf der Isle of Man spielt?

Auf Wikipedia findet man Hitchcocks persönliche Einschätzung zu The Manxman, wie er sie gegenüber Francois Truffaut äußerte: „Das einzig Interessante an The Manxman ist, dass es mein letzter Stummfilm war. (…) Der Film war sehr banal und völlig humorlos (…) Das ist kein Hitchcockfilm.“ Das zeigt nur mal wieder, dass Künstler ihr Werk mitnichten immer richtig einschätzen und dass man es mitunter sogar vor ihnen schützen muss. Denn wollte nicht Kafka seine Bücher vernichten? Und hat nicht auch George Lucas seinen Star Wars im Nachhinein eher schlecht verwaltet?

Das Schöne an The Manxman ist gerade, dass er nicht auf der üblichen Hitchcock-Suspense-Formel beruht, sondern ein Melodram erzählt, dessen Ausgang man zwar von Anfang an erahnt, das mit seinen schönen Bildern und einer Traumbesetzung aber dennoch in den Bann zieht. Es ist die Dreiecksgeschichte über einen Fischer und einen jungen Anwalt, die beide in die Tochter eines Wirts des Fischerörtchens Peel verknallt sind. Der Anwalt, ein bisschen naiv, ist der Konkurrenz des beherzten Fischers in Liebesdingen jedoch nicht gewachsen, stattdessen lässt er sich von diesem als Sprachrohr und Übermittler von Grüßen und Botschaften benutzen – was tut man nicht alles für Freunde? Auch nachdem der Wirt dem Fischer die Tochter vorenthält, weil er ein Habenichts ist, bleibt der Anwalt dem Fischer treu. Als der Fischer dem Freund erzählt, er wolle hinaus in die Welt, in den Kolonien Geld verdienen und als gemachter Mann zurückkehren und die Frau heiraten, verspricht dieser ihm hoch und heilig, auf die gemeinsame Freundin aufzupassen. Und alle im Ort tuscheln, dass der Anwalt und die Wirtstochter viel zu viel Zeit miteinander verbringen.

Und dann die schreckliche Nachricht: Der Fischer ist tot. Sogleich wirft sich die Tochter dem Anwalt an den Hals und sagt „Nun ist der Weg frei für uns“ – und es ist exakt die Sekunde, in der das unschuldige Glück der beiden schmilzt und existenzieller Druck an seiner Statt den Platz einnimmt. Ab diesem Zeitpunkt kippt der Film ins Grausame, denn erstens macht der vermeintliche Glücksfall natürlich niemanden wirklich froh und zweitens war der Tod des Fischers – wer hätte es gedacht – selbstverständlich eine Falschmeldung. Bald steht er wieder auf der Matte, die Frau wandert widerwillig zurück zu demjenigen, dem sie sich einst versprach und keiner wird mehr glücklich. „Sadomasochistisch“ nennt Hans Schifferle im Buch Alfred Hitchcock des Bertz-Verlags das von da an herrschende Verhältnis zwischen der dreien.

Ich liebe den Film, weil er fast ausschließlich mit Bildern erzählt und beinahe ohne Texteinblendungen auskommt. Der Fischer strahlt mit jeder überzogenen Geste einen hoffnungslos naiven Optimismus aus, dass allein deswegen schon die Fallhöhe schwindelerregend hoch ist, ebenso die Tochter, ein fröhlicher kleiner Firecracker, den jeder in seiner Nähe haben möchte und doch nicht jeder haben kann. Neben solchen, immerhin bald 100 Jahre alten Figurenzeichnungen ist The Manxman zudem ein Film, der festgefahrene Konventionen und Klassenunterschiede offenlegt.  Nicht ohne Grund endet der Film mit einer Szene, in der keifende alte Weiber das in Unehre gefallene Paar aus der Stadt jagen.

Der Film ist mir wegen seiner klaren, stimmungsvollen Bilder aber auch deshalb sehr ans Herz gewachsen, weil ich selbst einmal das Glück hatte, sieben Monate in Peel leben zu dürfen. Es ist immer noch ein pittoresker Ort, der mit seinem Zauber reale Probleme eine Zeit lang vergessen machen kann. Hätte ich damals nicht viel fotografiert, ich würde es für einen Traum halten, je dort gewesen zu sein.

Niklas: Meine vier Wochen Pratchett möchte ich mit dem Roman Weiberregiment beenden. Das Buch erschien 2003 im englischen Original als Monstrous Regiment und ist Teil der Scheibenwelt-Reihe. Ein kleines Land führt Krieg gegen alle anderen Staaten und steht kurz vor dem Zusammenbruch. Das Mädchen Polly macht sich auf, ihren Bruder den Klauen der Armee zu entreißen und verkleidet sich deswegen als Mann. Sie wird Teil einer bunten Truppe und lernt nicht nur mehr über sich selbst, sondern die wichtigste Lektion von allen: Menschen die an starre Geschlechterrollen glauben sind dämlich und Menschen die Krieg führen noch dämlicher.

Eine Anmerkung: Wie schon geschrieben, werden in diesem Buch starre Geschlechterrollen infrage gestellt, hauptsächlich, indem unsere Hauptfigur als Cis-Mann durchgeht und andere ihr (oder später ihm?) diese Rolle auch abkaufen. Ich bin leider kein Experte darin, wie das Buch heute auf transsexuelle oder non-binäre Menschen wirkt, da Teil des Witzes ist, dass man sich nur ein Paar Hosen anziehen muss, um als Mann durchzugehen. Der Witz geht aber zumindest nicht auf Kosten der Hauptfigur und ihrer Freund(innen), sondern zielt auf diejenigen, die die Macht in der Gesellschaft haben und sich daher auch leicht täuschen lassen, ergo jene Männer, die sich das Ganze ausgedacht haben. Pollys Heimat hat aber auch so viele Probleme: die Ressourcen sind knapp, Soldaten werden in der Sekunde zu Dutzenden verheizt und es gibt nichts mehr, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wozu also weiterkämpfen?

Die Antwort ist wesentlich komplexer als man denkt, denn das militärische Oberkommando kämpft nicht nur aus Prinzip weiter, sondern weil ein Ende des Kampfes auch die Aufgabe von Privilegien bedeutet, die man sich als Teil des Heeres herausnehmen kann. Denn so schrecklich und sinnlos Krieg ist, sobald man Teil der oberen Ränge ist, kann man ein angenehmes Leben führen, wie Polly feststellt, als sie den Geheimnissen einiger Individuen auf die Spur kommt. Insgesamt mag das Militär also eine sexistische und menschenverachtene Organisation sein, aber was schert es das Individuum, wenn es sich den Aufstieg verdient hat? Damit zeigt Pratchett ein vielschichtigeres Bild des Militärs auf, als man angesichts der Prämisse denken möchte. Er macht den Reiz des Militärs, Kameradschaft und flexible Aufstiegsmöglichkeiten, deutlich und macht klar, dass es immer auf  Kosten der Zivilbevölkerung geht.

Am Ende ist Krieg verdammt profitabel, wenn man nur schlau und skrupellos genug ist, eine düstere Erkenntnis, die auch nicht mit Pratchetts bissigen Humor kaschiert werden kann. Das will aber Weiberregiment auch nicht. Gut so. Es lohnt sich immer wieder daran erinnert zu werden, warum wir es lassen sollten, selbst wenn die Uniformen schick und Freundschaften im Militär real und aufrichtig sind.

 Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.