In Währenddessen geht es diesmal um den Prozess um Mike Diana.
Auf Amazon Prime gibt es eine interessante Reportage über den Underground-Comiczeichner Mike Diana zu sehen. Diana war der einzige US-Künstler, der je wegen seiner Comics ins Gefängnis musste. Man könnte sich für ihn freuen, denn es hat ihm im Nachhinein zu Berühmtheit verholfen, die er sonst nie erreicht hätte, aber wünschen sollte man einem Menschen nicht, was Diana mitgemacht hat.
Mike Dianas Comics sind extrem pervers und unappetitlich, aber dabei in einem primitiven Stil gezeichnet, so dass sich Ankläger, Staatsanwälte und Geschworene bald einig waren, dass es unmöglich Kunst sein kann. Bei Diana dreht sich alles um Sodomie, Kannibalismus, Vergewaltigen von unschuldigen Kindern und Religion. Es ist Dianas Absicht gewesen, das Schlimmste zu zeichnen und immer noch eins draufzusetzen, gleichzeitig hat er seine Geschichten nur in zusammenkopierten Winzauflagen an Interessierte verschickt, in sogenannten Minicomics oder „zines“. Eine gezielte „Seduction of the Innocent“ war hier eher nicht das Anliegen.
Aber bei allem Spaß an der Provokation: Mike Diana konnte nicht damit rechnen, dass er durch seine Comics in den Verdacht geraten würde, der Gainesville-Mörder zu sein, der zu eben diesem Zeitraum in seiner Gegend Studenten ermordete. Später, als der echte Killer gefangen wurde und Diana von diesem Vorwurf befreit war, hieß es, aber so wie Diana fangen die Serienkiller doch an: Erst kommt der Gedanke, dann der Comic, dann die Tat, und so ging der Prozess in die nächste Runde. Am Ende wurde Diana trotz Intervention des Comic Book Legal Defense Fund (CBLDF) verurteilt, erst vier Tage Gefängnis unter Schwerverbrechern, dann viele Stunden gemeinnützige Arbeit, eine empfindliche Geldstrafe, zudem durfte er sich Kindern und Jugendlichen nicht mehr nähern und es wurde ihm verboten, weiterhin Comics zu zeichnen. Zu unregelmäßigen Abständen kamen unangemeldet Polizisten vorbei, die überprüften, ob er sich auch daran hielt. Am Ende war eine Flucht von Florida nach New York der Ausweg, die Bewährungsstrafe endete erst 2020. Das Verbot, zu zeichnen, so wird im Film angedeutet, ist für manche Menschen, als würde man ihnen die Hände abhacken. Wer würde wohl nicht an den Wänden kratzen, wenn er seiner innersten Berufung nicht nachgehen darf? Jahrelang.
Woher kommt eigentlich die Drastik in Dianas Comics? Es wird angedeutet, dass Mike Diana Missbrauchserfahrungen durch katholische Priester erlebt haben könnte, Diana selbst weist diese Behauptung jedoch zurück und erwidert, selbst wenn, ginge es niemanden etwas an. Sieht man, wer ihn mit diesem vermeintlichen Zusammenhang zwischen Trauma und Verarbeitung konfrontiert, versteht man, weshalb Diana auf diese Frage ekelhaft wird. Es sind vor allem die wohlmeinenden Menschen, die ihn gerne von seinen Ideen „heilen“ würden. Menschen, die kein Problem haben mit Aussagen wie „Jesus is the answer“ und „Hell is real“, die ihn wieder zurückholen wollen in die „Gemeinschaft“. Das sind Menschen, die auch der Überzeugung anhängen, dass „anständige“ Menschen nie ein Problem mit dem Gesetz haben und es wohl immer einen Grund gebe, wenn jemand Probleme mit der Justiz habe.
Der Erste Verfassungsgrundsatz der„Freedom of speech“, so eine Dame im Film, sei von Diana schändlich missbraucht worden. Freedom of speech sei dazu da, dass zivilisierte Menschen ihre politischen Gegensätze aushandeln können, nicht um Bilder von Vergewaltigung und Religionshass in die Köpfe zu pflanzen. Wenn ich jedoch sehe, wie unversöhnlich sich die politischen Gegensätze gegenüberstehen und sich gegenseitig bezichtigen, die freie Rede zu missbrauchen und zu instrumentalisieren, so sehe ich in der Freiheit, hässliche Underground-Comics machen zu dürfen, doch eigentlich das geringste Problem für die Demokratie. Das sokratische Aushandeln gegensätzlicher Ansichten ist doch längst nur noch ein unerreichbares Leitbild.
Viele berühmte Künstler, die im Film auftreten, sagen interessante Dinge zur Zensur-Problematik, darunter Neil Gaiman, der ja schon lange ein wichtiger Vertreter des amerikanischen CBLDF ist, Peter Bagge, George A. Romero oder Stephen Bissette. Es wird erzählerisch ein Bogen gespannt von den 1950er Jahren, als eine frühe Zensurkampagne in Amerika den damals boomenden Horrorcomics ein Ende setzte und der Comics Code eingeführt wurde, über das Aufkommen der Underground Comix der 1960er Jahre bis zu den frühen 1990ern, als Diana in die Falle tappte. Interessant finde ich auch, dass die Comicszene sich keinesfalls einig war, ob Diana ihre Solidarität verdiene. Sie war über seine Comics genaus gespalten wie der Rest der Bevölkerung. Wie sollte es auch anders sein.