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Währenddessen … (KW 1)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: In Garth Ennis‘ Fury-Comic von 2002 gibt es einen verbrecherischen Colonel, der Nick Fury in ein unmoralisches Angebot unterbreitet: Gemeinsam in einem beliebigen Inselstaat einen Krieg zu provozieren und die Großmächte hineinzuziehen, um wieder das zu tun, was sie am besten können – Krieg spielen. Mich hat dieses unmoralische Angebot schon beim ersten Lesen vor mehr als zehn Jahren an Dürrenmatts Der Richter und sein Henker erinnert, in dem es um eine Wette geht, die ähnlich nihilistisch geartet ist: Der Verbrecher Gastmann wettet mit dem Polizisten Bärlach, dass er jedes Verbrechen begehen könne, ohne dass es ihm nachgewiesen werden könne. Nun ist Der Richter und sein Henker eines der Hassbücher meiner Gymnasialzeit gewesen, aber nun habe ich es noch mal gelesen und ziemlich gut gefunden. Die Parallelen zu Ennis brutalem Kriegscomic halten sich, wie zu erwarten war, in Grenzen, dennoch ist es eine ziemlich raffinierte Krimistory, die die Erwartungen ans Genre gleichzeitig bedient und unterläuft. Dürrenmatt hat eine geschliffene Sprache und einen Wortwitz, was dem bockigen 14-jährigen, der ich damals war, leider nur schwer zu vermitteln war. Über große Strecken hinweg liest sich Der Richter und sein Henker wie eine witzige Provinzposse, auch wenn Dürrenmatts Cleverness, mit der er den Plot konstruiert hat, manchmal etwas forciert wirkt. Aber natürlich ist das Clevere Sinn und Zweck der ganzen Übung – und Dürrenmatts formalem Konzept haben wir immerhin auch die schönste Passage des Buchs zu verdanken, in der das kriminelle Geschehen mit mathematischen Überlegungen gedeutet wird. Grandiose Hirnwichserei natürlich, aber wunderschön gemacht.

Ähnlich wenig Respekt hatte ich seinerzeit vor dem Film zum Buch, den wir mit unserer Klasse natürlich auch noch ansehen mussten. Aber eben habe ich recherchiert: Italienisch-deutsche Koproduktion, Regie Maximilian Schell, vor allem aber ist die Musik des Films von Ennio Morricone – der Film ist ja schon deshalb für mich ein Must-have. Aber damals, in den späten 80ern, war 70er-Jahre Euro-Kunstkino noch nicht so meins, damals mochte ich eher Aliens und den Terminator. Ich würde ja gerne mal in eine Zeitmaschine steigen und dem kleinen ignoranten Lackel, der ich damals war, mal ordentlich die Ohren lang ziehen. Mit ein bisschen guten Willen hätte das schon damals eine Bereicherung für mich sein können.

Nachtrag: Inzwischen habe ich den Film gesehen und fand ihn großartig, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass es irgendeinen 14-jährigen auf der Welt gibt, der den Film schön findet – dafür ist das einfach zu sehr 70er. Wo der Film den Humor der Vorlage 1:1 zu übertragen versucht, wirkt er ein bisschen bemüht, aber er gewinnt enorm durch seine poetischen Bilder und durch die Zuspitzung an mehreren Stellen: So ist Gastmann im Gegensatz zur Vorlage als Serienkiller charakterisiert, außerdem sind die Figuren seit der Romanvorlage aus den 50ern viel freizügiger geworden, was der Adaption gut steht. Am schönsten ist aber der Gastauftritt von Friedrich Dürrenmatt als Schriftsteller, der die angedeutete surreale Atmosphäre des Films noch einmal verstärkt. Im Film geht es in mehrfacher Hinsicht darum, dass die Akteure versuchen, Gott zu spielen, was mit dem Auftritt Dürrenmatts in seiner doppelten Funktion als Verfasser der Vorlage und gleichzeitig Akteur im Stück seine Entsprechung findet. Stephen King hat das im sechsten Teil seiner Dark Tower-Saga, in der er sich ebenfalls höchstpersönlich eine wichtige Rolle zuschreibt, nicht besser hinbekommen. Fast könnte man meinen, Dürrenmatt war seiner Zeit voraus.

Die 2011 erschienene DVD des Films ist aufwendig restauriert und enthält neben dem Film auch sehr interessantes Bonusmaterial. Eine Comicadaption gibt es auch. Ob diese irgendwelche interessanten Akzente setzen kann, ist mir allerdings nicht bekannt.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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