Christian: Jedes Jahr im Herbst wende ich mich vermehrt den Lustigen Taschenbüchern zu. Ob das daran liegt, dass im Winter die Geschichten besser werden, kann ich nicht mit letzter Gewissheit sagen, aber LTB 602 vom September war auf jeden Fall außerordentlich interessant. Die darin enthaltene Langgeschichte mit einer neuen Legende des ersten Phantomias lohnt sich. Es gibt ja inzwischen eine unüberschaubare Menge von innovativen Konzepten für traditionelle Disney-Figuren aus dem italienischen Disney-Studio – eigentlich sind sie immer einen zweiten Blick wert.
Die Legenden des ersten Phantomias erkennt man sehr schnell an der in Sepia gehaltenen Kolorierung. Das strenge grafische Konzept überzeugt einerseits in seiner stilistischen Geschlossenheit, lässt aber wenig Platz für grafische Virtuosität zu, hier müssen die Stories überzeugen, was sie, mal mehr, mal weniger, tun. Immerhin, das Konzept des ersten Phantomias bleibt interessant und birgt erzählerisches Potenzial. Der vorliegende Mehrteiler um eine Zeitreise, in der es Phantomias und seine Gegenspielerin Lady Safran in das Entenhausen der Gegenwart verschlägt, zählt mit viel Witz zu den Höhepunkten der Reihe und zelebriert ausgiebig den Kulturschock zwischen Vergangenheit und Zukunft. Autor Marco Gervasio (Text und Zeichnungen) hat sichtlich Spaß daran, das Vertraute der Vergangenheit mit den abgedreht-futuristischen Aspekten unserer Gegenwart zu kontrastieren.

Jeans mit Löchern und andere Höhepunkte des Kapitalismus in „Die Legende des ersten Phantomias“. Aus LTB 602, (c) Egmont-Verlag.
Ein Hauch von Back to the Future zieht durch die Geschichte und als die turbulente Story wieder in die Vergangenheit wechselt, ist es deutlich mehr als nur ein Hauch: Durch einen kleinen Defekt im Zeitsprunggerät kommt Phantomias ein Jahr später als gewünscht in seiner Vergangenheit an und findet eine veränderte Welt vor. Sein größter Feind, Mac Moneysac, hat die absolute Herrschaft über Entenhausen an sich gerissen und spielt jetzt die Rolle des Biff bzw. Trump, so dass Phantomias in den Widerstand geht und sich sogar mit dem Polizisten zusammenraufen muss, der ihn bisher ins Gefängnis stecken wollte. Es fällt der epische Satz „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zu Verbrechen.“ (Das hätte es so mit dem Paperinik-Namensgeber Diabolik sicher nicht gegeben [Paperinik heißt Phantomias im Original], der hätte sich schamlos bereichert und mit seiner Partnerin auf den Zusammenbruch der Ordnung angestoßen. Aber Phantomias war halt schon immer ein ganz lieber Gentleman-Dieb.)
Die über 120 Seiten Phantomias im LTB 602 sind eine durchwegs vergnügliche Lektüre. Am Ende gibt es noch eine vollmundige Ankündigung von Phantomias, dass er nun einen Nachfolger installieren möchte, so dass in Entenhausen nie wieder das Unrecht Einzug halten wird – ein Brückenschlag zur ersten Phantomias-Geschichte von 1974. Mal sehen, ob da noch was kommt. Es klingt episch.

Ebd. (c) Egmont.
Auch die zweite wichtige Story des LTB 602, „Eine Lektion fürs Leben“, hält den hohen Standard. Es handelt sich um eine flott erzählte Jugenderinnerung von Onkel Dagobert aus der Zeit, als er noch regelmäßig Geld aus der Ferne an seine verbliebene Familie in Schottland schicken musste (eine Reminiszenz an Don Rosas „Sein Leben, seine Milliarden“). Immer wieder muss der umtriebige Glücksucher dabei Rückschläge einstecken, die er stets verlässlich mit Raffinesse und Energie in nachträgliche Erfolge ummünzt. Das ist gerade deswegen herausragend, weil „Eine Lektion fürs Leben“ ohne großen Klamauk auskommt und stattdessen auf eine subtile Pointe setzt, die die Story auf das Niveau einer veritablen Kurzgeschichte hebt. Vielschreiber Marco Bosco ist hier ein echtes Glanzstück gelungen. Aber auch grafisch überzeugt die Geschichte: Die Bilder sind oft poetisch in ihrer verklärenden Sicht auf die Vergangenheit, die Farbgebung im Aquarell-Look ist herausragend.

Die Jugend des Scrooge McDuck. „Eine Lektion fürs Leben“, LTB 602.
Fast Forward zu LTB 603, das mit der Story „Das Gespenst von Klondike“ gleich noch eine Story aus Onkel Dagoberts Jugendjahren enthält. Es handelt sich dabei zwar um eine Schauergeschichte aus dem Reigen der Gruselgeschichten von H.P. Loveduck, aber das gruselige Element ist dabei so subtil, dass sie fast schon zu den kanonischen Erzählungen aus der Klondike-Ära gerechnet werden kann. Onkel Dagobert schürft in der widrigen Natur des White Agony Creek nach Gold, währenddessen geht die Mär um, dass dort der Geist des Abenteurers Bill Badtouch sein Unwesen treibt. Wer von ihm berührt wird, ist den Rest seines Lebens dazu verdammt, das Leben eines Pechvogels zu erleiden. Giorgio Cavazzano liefert hier die atmosphärisch düsteren Bilder und Marco Nucci erzählt auf bewährt hohem Niveau und endet mit einer zarten Pointe, so dass auch diese Story zum poetischen Bravourstück gerät.

Life, Liberty and the pursuit of Happiness. Panelfolge aus „Das Gespenst von Klondike“, LTB 603, (c) Egmont-Verlag.
BTW: LTB-Ausnahmeerzähler Marco Nucci hatte kürzlich auch in dem Superman-Sonderband „The World“ eine lustige kleine Geschichte mit Titel „Supermans Inferno“. Clark Kent verbringt mit Lois Lane eine unbeschwerte Zeit in Florenz, als sich plötzlich die Erde auftut. Laut einer Weissagung von Dante Alighieri, erfahren wir, sollen sich 2025 die Pforten der Hölle auftun, was nun offensichtlich geschieht. Die Story ist natürlich reiner Unfug und der Ausbruch der Hölle dank Superman so schnell vorbei, wie er begonnen hat, doch immerhin lässt Dylan Dog-Zeichner Fabio Celoni den Radau mit elegantem Schwung und einer inspirierten Farbgebung ziemlich gut aussehen. Marco Nucci hat das wohl eher so im Vorbeigehen geschrieben.

Lois und Clark überm Höllenschlund in Florenz. Aus „Superman – The World“, Marco Nucci und Fabio Celoni, (c) Panini.
Ich hoffe sehr, dass im nächsten Jahr die ersten Episoden von La doppia vita di Molly Mallard den Weg nach Deutschland finden. Als ich dieses Jahr an Pfingsten in Italien war, war gerade die dritte Episode dieser Serie am Kiosk, zeitgleich mit „Donald Duck als Iron Man“ und der wunderbar gestalteten Daisy-Story „Dream Big, Daisy“. Ich war überrascht und erfreut, dass die Daisy-Story nahezu zeitgleich in Deutschland als großformatiges Hardcover erschien – Daisys große Träume. „La doppia vita …“ sieht schon wirklich sehr liebevoll aus, fast wie eine Quasi-Fortsetzung der oben erwähnten „Lektion fürs Leben“. Deswegen beende ich den heutigen LTB-Rundumschlag mit den Titelbildern meiner Urlaubsandenken vom italienischen Negozio 2025. Allein die Farben von „Molly Mallard“ und das raffinierte Spiel mit der Spiegelung – Seufz. Hoffentlich finden diese Covers auch bei uns die verdiente Aufmerksamkeit.

Flipcover-Rückseite von Zio Paperone 84, Juni 2025. (c) Panini Italia.

Gibt’s das nächstes Jahr auch auf Deutsch? Aus Zio Paperone 84. Artwork von Arancia Studio.

Von Künstlerin Giada Perisinotto erschien bei uns auch schon „Der kleine Mäuseprinz“, frei nach Antoine de Saint-Exupéry. Auch Giada überzeugt mit einem modernen Strich, der den alten Figuren eine ungewohnte Lebendigkeit einhaucht.



