Von der roten Maske (Masquerouge) zur eisernen Maske (Masque de Fer). 1983 war nicht abzusehen, was für ein faszinierendes Erzähluniversum aus der Serie Die 7 Leben des Falken einmal entstehen würde.
Christian: Bereits 1984 erschien der erste Band der Reihe Die 7 Leben des Falken (Szenario: Patrick Cothias, Zeichnungen von André Juillard) auch auf Deutsch in der gerade ins Leben gerufenen Edition Comic Art, dem Carlsen-Imprint für anspruchsvolle Comics für Erwachsene.

Alle Abbildungen (c) Carlsen Comics, Edition ComicArt oder Kult Editionen
Ich erinnere mich gut daran, wie ich mit zarten 12 oder 13 Jahren in der örtlichen Buchhandlung eigentlich nur Tim und Struppi-Bücher durchblättern wollte und mit ein paar Seitenblicken auch parallel erscheinende Serien wie beispielsweise Yakari oder Buddy Longway in die Hand nahm – und dann war da dieser zweite Band vom Falken: das Titelbild zeigt einen nackten Mann von hinten im Schnee, behaarte Hoden deutlich erkennbar, der von einem Rudel Hunde angegriffen wird. Ich will sowas als Kind nicht anfassen, aber dann blättert man halt doch mal rein und sieht durchaus Dinge, die man gerne lesen würde – maskierte Rächer, Pferde, Kämpfe, Action, aber halt auch viel Blut; ein Bauer wird gedemütigt, muss sich vor seinem sadistischen Lehnsherren im tiefsten Winter nackt ausziehen, wird von Hunden gehetzt – aber am faszinierendsten war, wie der Mann berserkerhaft die Hunde niederringt, dann auf seine Jäger zu rennt, von fünf Schüssen durchsiebt immer noch weiterrennt, dabei eine Erektion bekommt und im Moment des Todes (Kopfschuss) auch noch ejakuliert und immer noch weiter rennt. Wow. Ich hab meine Mutter dann lieber nicht gefragt, ob ich das Buch bekomme und wunderte mich, was die Erwachsenen für schlimme Sachen lesen. Zum Glück wurde das nie zensiert.

Gegen die Unterdrückung, für die Freiheit, …

… Orgien am Königshof.
Einige Jahre später fühlte ich mich dann doch reif genug, das zu lesen und war überrascht, wie überaus dicht und fesselnd die Story erzählt ist und wie sich die Figurenzeichnung einer eindeutigen Gut/Böse-Schematik konsequent verweigert. Erst heute – 2025 – fällt mir auf, wie modern Cothias und Juillard damals schon waren, eigentlich ihrer Zeit voraus. Das verdankt sich weniger der Drastik. Die war um die 70er/80er herum allgegenwärtig. Die Serien der Edition ComicArt hatten alle ihren Grad an Nacktheit und Brutalität – und wenn nicht, dann waren sie meist queer. (Zumindest bis mit Valerian dann langsam die Grenze zwischen „Erwachsenencomic“ und „Jugendcomic“ aufgeweicht wurde.) Was aber heute noch erstaunlich modern wirkt, ist die Komplexität der Story, die auch voraussetzt, dass der Leser nicht sämtliche Erklärungen sofort erhält, sondern auch erzählerische Leerstellen und Geheimnisse akzeptiert und auch den Mehrwert dahinter anerkennt. Den Erzählansatz kenne ich sonst eher von einem Vertigo-Autor wie beispielsweise Brian Azzarello, der sich in 100 Bullets ebenfalls als Meister des angedeuteten, teils verrätselten Erzählens erweist, dabei aber auch betont explizit werden kann. Und auch serielles Erzählen in den Streaming-Kanälen erfahre ich oft mit ganz ähnlicher Taktung, gegen Ende jeder Episode oft mit anschwellender Musik.

Warum brennt das Waldstück? Wir können es uns denken, aber gezeigt wird uns nicht, wie es dazu kam. Juillard und Cothias arbeiten viel mit Andeutungen und Auslassungen und überlassen es den Lesern, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Ich weiß noch, wie ich damals enttäuscht war vom Schluss des siebten und letzten Teils der Reihe. Einerseits werden neue Fährten gelegt und überraschende Wendungen eingeführt, aber dann endet alles mit einem letzten Degenduell und Ariane de Troil, die Heldin der Story, stirbt einen furchtbar dummen Tod – und das alles nur wegen eines dummen Missverständnisses. (Heißblütige Degenduelle haben schon immer viel Unheil gestiftet und waren selten ratsam.) Die Story endet mit den Worten des geheimnisvollen Puppenspielers Leonard Flinke Zunge:
„Das Schauspiel ist zu Ende, und ich bin traurig. Wenn ich nur ein Mensch wäre, hätte ich mir ein besseres Ende ausgedacht. Doch der Teufel ist seinem Ruf verpflichtet.“
Das nagte an mir und ich empfand es als faule Lösung eines Autor, der keinen Ausweg mehr aus seinen verzwickten Plotlinien fand. Aber gerade hier zeigt sich ein weiteres Mal ab, dass Cothias erzählerisch seiner Zeit voraus war. Denn Arianes (vermeintlicher) Tod war mitnichten das Ende der Erzählung. Das Schock-Ende war vielmehr lediglich ein Staffelfinale, das in der nächsten Serie nur wenige Zeit später seine Fortsetzung finden sollte. Heute kennt man entsprechende Schock-Finales aus Serien wie 24, wenn in Staffel 1 am Ende die Frau des Helden stirbt oder in Staffel 3 parallel zum Happy End ein Sympathieträger des Hochverrats angeklagt wird. Patrick Cothias ist nicht weniger als ein Pionier des Schockfinales. Auch in Des Königs Narr, einer der zahlreichen Fortsetzungsserien, bleibt er diesem Erzählprinzip treu, wenn gegen Ende bereits der Mann in der eisernen Maske in seinen düsteren Kerker gesperrt wird. Auch hier endet die Serie hoffnungslos aber führt sogleich in die nächste spannende Fortsetzung, Le Masque de Fer, leider noch nicht auf Deutsch. Und Patrick Cothias liefert jedes Mal.

Der Teufel ist vor allem ein unzuverlässiger Erzähler und ein Scharlatan.
Nur nicht immer zusammen mit Starzeichner André Juillard. Tatsächlich entstand die Fortsetzung „Wie eine Feder im Wind“ erst nach der ersten Fortsetzung „Brennendes Herz“ (mit Jean Paul Dethorey), in der jedoch nicht die Abenteuer der Ariane de Troil weiter gesponnen werden, sondern zunächst die Story von Germain Grandpin, einer ebenso facettenreichen Nebenfigur. Man kann dem Finix-Verlag sehr dankbar sein, dass er diese Lücke schließt, selbst wenn die Feder im Wind auch ohne Kenntnis der Reihe problemlos gelesen werden kann. Aber es ist eben immer besser, noch ein paar Geschichten mehr von Patrick Cothias haben zu können.

Die Rückkehr der Ariane zu den Lebenden. Aus „Wie eine Feder im Wind 1“.