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Manara – Klick! 1

„Gegen unsern Willen“ ist ein feministischer Buchklassiker von 1975. Darin stellt Susan Brownmiller die These auf, bei Vergewaltigung handele es sich nicht primär um Sexualität, sondern um Gewalt und ein Instrument zur sozialen Kontrolle. Manara hat mit Klick! nur wenige Jahre später (unfreiwillig) den passenden Comic zur These geliefert, der zwar nicht direkt von Vergewaltigung handelt, dessen zentrales Motiv aber die völlige Macht und Kontrolle über den Körper der Frau ist. Mit „knisternder Erotik“ (Werbung auf der Splitter-Website) hat das wenig zu tun.

Der Gynäkologe Dr. Fez will sich an der attraktiven Claudia rächen, die ihm eine Abfuhr nach der anderen erteilt. Da kommt ihm sehr zupass, dass ein befreundeter Wissenschaftler gerade ein Mittel gegen Impotenz erfunden hat: einen Apparat, der aus einem Empfänger und einem Sender besteht. Der Empfänger wird in der Peripherie des Gehirns eingepflanzt, er dient dazu, dass man das Gehirn mittels Fernsteuerung sexuell stimulieren kann. Fez will das Gerät jedoch nicht für seine Impotenz nutzen, stattdessen entführt er Claudia und pflanzt es der Armen in einer heimlichen Nacht-und-Nebel-Operation ein. Von nun an kann er sie nach Lust und Laune demütigen, denn sobald er sich in Claudias Nähe befindet und die Fernsteuerung bedient (natürlich oberste Stufe), lässt diese sofort sämtlich Hemmungen fallen und will sofort Sex – oder eigentlich will sie ja nicht, aber kann nicht anders, räkelt sich in aller Öffentlichkeit auf dem Teppich eines Modegeschäfts und wirft sich an den ersten arglosen Kunden: „Hol ihn raus … nein nein nein … los … steck ihn mir in den Mund … oh Gott … nein“. Als der Spuk dann vorbei ist, will sie von alledem nichts mehr wissen: „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist … Oh Gott, was für eine Schande.“

Wenn Claudia und ihr Mann ins Kino gehen …

Am folgenden Abend geht sie mit ihrem Ehemann ins Kino, als es schon wieder losgeht: Claudia wird auf Knopfdruck geil, wirft sich aber nicht an ihren Mann, sondern an den Hengst neben ihr, sie braucht offensichtlich einen richtigen Kerl. So kann das nicht weitergehen, sagt ihr Mann und schickt Claudia auf Kur, nicht ohne ihr auch noch einen Privatdetektiv zur Seite zu stellen, der sie auf Schritt und Tritt beobachtet. Als Fez selbst hier noch seinen Einfluss ausspielt (wie macht er das eigentlich?), schmeißt sie sich sofort an den gutaussehenden Detektiv, der das jedoch voll professionell an sich abperlen lässt, sie unbefriedigt stehen lässt und sich stoisch aufs Übelste beschimpfen lässt: „Du hast doch nichts in der Hose, du Schwein!“ Leider begeht er den Fehler, Claudia kurz allein zu lassen, denn der Detektiv hat noch einen Hund dabei. Das hätte besser nicht passieren sollen …

Auf dem Niveau geht es weiter, was durchaus Situationskomik hat und von Manara mit gutem Gespür für pointiertes Timing in Szene gesetzt ist. Bis zum turbulenten Ende geschehen noch eine ganze Menge entsetzlich peinlicher und demütigender Szenen. Mit etwas verquerem Humor lässt sich die haarsträubende Story als Komödie verstehen, in der das Sujet der Mindgames, sonst eigentlich eher dem Thriller-Genre zugehörig, ins Pornografische gewendet ist. Wir kennen das sonst eher von den Dr.-Mabuse-Geschichten, Filmen wie Die Hard 3 oder oder auch 24 mit Kiefer Sutherland – alles Storys, in denen Akteure zu Handlungen gegen ihren Willen gezwungen werden. (Jack Bauer musste in Season 3 von 24 gar seinen Boss mit Genickschuss exekutieren, um einen Erpresser wenigstens vorübergehend so weit zu beschwichtigen, dass er kein Todesvirus auf die Menschheit loslässt. Hier wird wirklich die Würde jeder Figur missachtet.)

Der Detektiv bleibt eis

Und so überschlagen sich die Ereignisse in Klick! von einer abstrusen Situation zur nächsten, bis sich gegen Ende herausstellt, dass Fez‘ Fernsteuerung tatsächlich nur ein leerer Kubus ohne Inhalt ist. Eine völlig hirnrissige Pointe, die in Widerspruch zur ganzen Story steht – ach, wer erwartet schon Logik von Pornos. Aber trotzdem: Hat Claudia am Ende das alles doch gewollt und sollen wir die Fernsteuerung allen Ernstes als Werkzeug zur sexuellen Befreiung umdeuten, die freisetzt, was die Frau insgeheim schon immer wollte? Das wirft schon Fragen auf.

Aber Manara war halt 1982 auch noch jung. Völlig entfesselt hat er neben Zoophilie auch noch Inzest und sexuelle Handlungen an einem Minderjährigen angedeutet, was er längst zurückgezogen hat und nie wieder veröffentlicht sehen will. Die vorliegende Ausgabe von Klick! ist selbstredend unbedenklich und beschränkt sich auf das böse Spiel mit Claudia. Natürlich ist auch das, was Claudia widerfährt, ebenso unmoralisch wie verboten, aber so ist das ja auch mit Raub und Mord, was wir tagein tagaus mit völliger Selbstverständlichkeit konsumieren. Die Frage nach Kunstfreiheit und Tabus bleibt damit so ungeklärt wie eh und je und die „strafrechtliche Relevanz“ in Film, Kunst und Comic bleibt eben doch schlussendlich eine willkürlich gezogene Linie. Natürlich hat Manara keinen Bock, wegen leichtfertiger Darstellungen von damals heute in Teufels Küche zu kommen und offensichtlich hat er auch eingesehen, dass Inzest und Missbrauch tatsächlich nie lustig sind. Claudias turbulente Abenteuer sind es aber dann irgendwie halt doch.

Angesichts heutiger frauenfeindlicher Tendenzen und neuer Phänomene wie der Manosphere  tendiere ich dazu, Klick! von 1982 eine gewisse Unbedarftheit und Unschuld aufgrund anderer Zeitumstände zuzuschreiben. Dem widerspricht, dass Klick! schon damals von Feminist*innen als ausgesprochen misogyn wahrgenommen wurde, die nostalgische Perspektive mag also durchaus unangebracht sein und Susan Brownmillers Buch „Gegen unsern Willen“ hatte sicher 1975 bereits die gleiche Dringlichkeit wie heute.

Wie einst Ingrid Steeger …

Abgesehen davon zeichnete Manara in den 80ern eine klare Linie, die der von Moebius immer wieder verblüffend ähnlich sieht. Sein genialer Strich leidet lediglich etwas unter der digitalen Farbgebung, die für sich betrachtet gar nicht schlecht aussieht. Der wahre feuchte Traum wäre trotzdem eine Ausgabe von Klick! in Schwarzweiß.

Knisternde Erotik? Eher ein kleines Meisterwerk des Schmutz und Schund.*

Manara: Klick! 1
Verlag, Erscheinungsjahr
Text und Zeichnungen: Milo Manara
Übersetzung: Michael Leimer
64 Seiten, Farbe, Hardcover, mit beigefügtem Druck
Preis: 22 Euro
ISBN: 978-3689500528
Leseprobe

* Eine Bewertung mach Punkten erspare ich mir ausnahmsweise. 

 

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