Androiden träumen von elektrischen Schafen? Von wegen! Literarisch-ambitionierte Roboter träumen von diesem Comic. Der letzte Band der Androiden-Reihe ist deren Höhepunkt.
Kielko ist der Haushalts- und Gouvernantenandroide der Familie Morgan. Mr. Morgan (aka „Schatz“) und Mrs. Morgan (aka „Schatz“) führen eine leidenschaftliche Ehe-Beziehung und vereinbaren ihr berufliches Vollzeit- und Pendlerdasein ideal mit Kindeserziehung und gesellschaftlichem Leben. Natürlich hat dieser Glanz auch seine Schattenseiten (gottseidank!): Mr. Morgan genügen die körperlichen Schauwerte seiner Ehefrau nicht und sucht erotische Erfüllung in den Armen diverser Frauen, die er als Kunsthändler so kennen lernt.
Während Grady (aka „Mr. Morgan“ aka „Schatz“) sich so durchs Leben schläft, ist Kielko zum Zuschauen verdammt. Hat er anfangs noch von seiner Aufladestation aus freien Blick auf das Ehebett der Morgans, wird ihnen das schnell unheimlich: Sieht Kielko beim Aufladen eigentlich zu? Das Auge, dies haben die Morgans richtig verstanden, ist nicht nur in diesem Comic zentrales Instrument des selbstständigen Lernens: Nicht umsonst ist das Licht ein Zentralsymbol der Aufklärung. Kielko beobachtet die Familie, der er dienen soll, und immer öfter nehmen auch wir Leser dessen Perspektive ein und lernen, dass Kielko überhaupt einen Blick hat, eine Perspektive – und natürlich auch blinde Flecken. Wir übrigens auch, denn nur so funktioniert der Twist am Ende.
Kielko ist neugierig, und er strebt, dies wird allmählich klar, danach menschlicher zu werden. Das ist ein alter Androidentraum, den wir bereits aus Pluto von Naruko Urasawa oder Jeff Lemires Descender kennen. Dass Viska diesen Prozess auch durch die Perspektivgestaltung sichtbar macht, ist ein Zeichen hervorragender Handwerkskunst. Wir sehen die Welt auch durch Kielkos Augen, und dass diese nicht gut aussieht, ist zuallererst die Schuld der Menschen. Dass die Schuld nachher auch in der Hand der Maschinen liegt, macht diese nicht zu Robotern, sondern eben zu Menschen. Ausgerechnet Kielko, die Maschine, wird am Ende zur menschlichsten Figur.
Nachdem die Androiden-Anthologieserie bei Splitter nun beendet ist, fällt eine Bewertung der vier Bände leichter: Abgesehen vom dritten, reichlich missratenen Band von Sylvain Cordurié und Emmanuel Nhieu haben die anderen Bände überwiegend gut funktioniert. Im Rückblick hat sich der Auftaktband passabel geschlagen, hat der zweite Band erzählerisch (nicht zeichnerisch) ein wenig draufgelegt, und der Abschlussband macht die Schmach des dritten Bandes wieder einigermaßen vergessen. Kielkos Tränen ist ein sehr gelungener Comic-Beitrag zum Thema „Künstliche Intelligenz“.
Künstliche Intelligenz vs. menschliche Dummheit
Splitter, 2018
Text: Jean-Charles Gaudin
Zeichnungen: Viska
Übersetzung: Swantje Baumgart
56 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 15,80 Euro
ISBN: 978-3958395718
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