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Teufelsmaul

Teufelsmaul ist eine weitere Zusammenarbeit des französischen Zeichners François Boucq mit dem amerikanischen Schriftsteller Jerome Charyn, die im Jahr 1990 erstmals erschien. Beide haben zusammen schon den faszinierenden und surrealen Band Die Frau des Magiers (1986) sowie Little Tulip (2014) geschaffen. Vor allem Die Frau des Magiers überraschte in dem Œuvre der beiden, da dieser Comic mit seiner traumhaften Atmosphäre, die schnell in einen Alptraum kippen konnte, doch recht ungewöhnlich aufgezogen war. Boucq arbeitet zwar manchmal auch im Grenzbereich der Fantasy, hat aber eher ein Händchen für realistische Stoffe (wie man etwa bei Bouncer gut beobachten kann, wo ihm immer wieder schöne Bilder in einer brutalen Saga einfallen). Charyn hingegen ist ein Krimiautor, dessen Bronx-Tetralogie frischen Wind in den Thriller brachte und teilweise auch als Comic adaptiert wurde, wie etwa Marilyn the Wild. Oft verweigert sich Charyn den gängigen dramaturgischen Mustern, wie etwa im Roman Blue Eyes, und lässt damit den Leser einerseits im Regen stehen, macht ihn aber andererseits immer neugierig, was da wohl noch kommen mag.

Alle Abbildungen: © Splitter Verlag

Alle Abbildungen: © Splitter Verlag

Angesichts der thematischen Bandbreite der beiden Künstler, die sowohl formal als auch inhaltlich immer zu überraschen vermögen, stellt sich natürlich erst einmal die Frage, was man von Teufelsmaul zu erwarten hat. Mit dem bekanntesten Werk des Duos, Die Frau des Magiers, das kürzlich erst von Splitter neu aufgelegt wurde, hat Teufelsmaul thematisch nichts gemeinsam. Es ist nämlich vor allem ein Spionagethriller.

Juri kommt während des Kalten Kriegs in der Ukraine zur Welt und ist von Geburt an mit einer Hasenscharte versehen, was ihm nicht nur den Spitznamen „Teufelsmaul“ einbringt, sondern auch Hänseleien und Demütigungen. Er hat keine Eltern, keine Vergangenheit und keine sonderlich ausgeprägte Identität, als er vom KGB aus einem Waisenhaus geholt wird, um zu einem Geheimagenten ausgebildet zu werden. Juri soll als Schläfer in die USA einreisen, um dort Spionage gegen den Klassenfeind zu betreiben.

Das klingt nach einem gängigen Spionagethriller und man erwartet eine Erzählung im Geiste von John Le Carré, in dem der Einzelne im Räderwerk von Politik und Geheimdiensten zerrieben wird. So falsch liegt man da nicht, da es in der Tat auf der Inhaltsebene vorrangig darum geht. Überraschend ist dann aber schon die lange Exposition. Erst auf Seite 47 gelangt Juri in die USA, also nach einem Seitenumfang, nach dem andere Geschichten schon beendet sind. Vorher erfährt man von seiner Kindheit, Jugend und Ausbildung. Doch warum? Soll hier die Gesellschaft der sowjetisch beherrschten Ukraine angeprangert werden? Das nicht gerade, denn auch die USA kommen nicht sonderlich gut weg. Auch ist der Charakter von Juri dadurch zwar gut umrissen, aber das eigentliche Thema ist ein anderes, und auch die Spionage rückt ziemlich in den Hintergrund.

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Was mag denn nun das Spannende an Teufelsmaul sein, wenn es kein Thriller im engen Sinne ist und der Plot an sich nicht im Vordergrund steht? Es ist die Frage nach der Identität und was einen Menschen aufrecht hält. Bildet man sich selbst seine Identität, oder ist man das Produkt anderer? Ein Wesen, geprägt vom Staat und seinen Idealen? Insofern ist es nicht überraschend, dass die Erzählung zu den Zeiten des Kalten Krieges angesiedelt ist. Die Bürger wurden in der Konfrontation der Ideologien erzogen, sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA. Der Glaube an eine politische Idee wurde zu einer Identität. Das ist die These, die hier zu Grunde liegt, und die Aussage fällt sehr düster aus. Denn Charyn und Boucq dekonstruieren die Ideologie an sich. Nicht nur diejenige des historischen Verlierers, des Kommunismus – auch das vermeintliche Paradies der USA wird hier nur von einer sehr hässlichen Seite gezeigt. Diese Szenen spielen in einem Slum, die Menschen dort sind geprägt von Armut, Alkohol, lockeren Sitten und Gewalt. Ironischerweise spiegelt das die kommunistische Propaganda wider, welche die Schattenseiten des Kapitalismus immer wieder betonte.

Doch was bildet nun die eigene Identität aus, abgesehen von persönlichen Erfahrungen? Was gibt einem Halt, wenn alle Ideologien hohl und verkommen sind? Die Liebe entpuppt sich hier entgegen aller Erwartung als trügerisch, sie macht einen nur verletzlich. Stattdessen ist es hier die Religion, welcher Art auch immer, die zählt, was angesichts unseres säkularen Zeitalters schon fast reaktionär daherkommt. Den Institutionen an sich wird hier jedoch deutlich misstraut, also preist man auch nicht die Kirche als Heilung an. An dieser Stelle müssen dann wieder einmal die Indianer herhalten, die als wahrhaftig gelten, weil sie im Einklang mit der Welt sind, während Ideologien und institutionalisierte Religionen diese Welt nach ihrem Willen formen wollen. Insofern sind die mystischen Einflüsse, die Charyn und Boucq in ihre Erzählung weben, durchaus sinnvoll und vor allem hervorragend umgesetzt.

Teilweise sehr überraschender und düsterer Thriller, dessen mystische Aspekte Geschmackssache sein dürften.

Teufelsmaul
Splitter Verlag, 2016
Text: Jerome Charyn
Zeichnungen: François Boucq
Übersetzung: Gerd Benz
128 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-228-1
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