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A Walk Through Hell 1 & 2

Comicautor Garth Ennis ist durch Serien wie Preacher und The Boys bekannt geworden. Diese düsteren Geschichten wurden ab und an mal nachdenklich, setzten aber genauso oft auf Ekelhumor und Tabubrüche. Sexuelle Perversionen, überzogene Gewalt und  eine offene Ablehnung des christlichen Glaubens wurden thematisiert und mit wechselndem Erfolg satirisch dargestellt. Die Horrorserie A Walk Through Hell, die Ennis mit Zeichner Goran Sudžuka (Ghosted, Y – The Last Man) kreierte, hat nur noch wenig mit den alten Werken des Autors gemeinsam.

Alle Abbildungen © Cross Cult

Die zwölf Hefte drehen sich um FBI-Agentin Shaw, die mit ihrem Partner McGregor ein leerstehendes Lagerhaus betritt und verschwindet. Im Gebäude wird sie mit den Konsequenzen früherer Entscheidungen konfrontiert und beginnt zu verstehen, dass das moderne Leben eine Wanderung durch die Tiefen der Hölle ist.

Der Horror von A Walk Through Hell baut nicht auf gruseligen Monstern oder blutrünstigen Splatterorgien auf. Vielmehr ist die Serie als Charakterstudie ihrer Figuren angelegt, die alle Schuld auf sich geladen haben und dabei halfen, die Welt zu einem schrecklichen Ort zu machen. Es sind komplexe Charaktere, die alle leiden müssen. Nicht unbedingt aus klassischen Gründen, wie man es zum Beispiel aus modernen Horrorfilmen kennt, in denen gehässige, sexistische und rassistische Menschen für ihre Taten von einer gerechten Welt bestraft werden. A Walk Through Hell entfernt sich von dieser konservativen Idee und präsentiert stattdessen das nihilistische Bild einer Welt, in der scheinbar anständige und gute Menschen genau soviel Schuld auf sich laden wie die schlechten. In A Walk Through Hell fragt Ennis, wie das Böse gedeihen kann, wenn die meisten Menschen nicht schlecht sind. Die Antwort ist einfach: Weil alle anderen es zulassen. Da die Serie aber explizit im Jahr 2018 spielt, bezieht sich der Kommentar auf Gesellschaft und Menschenbilder deutlich auf unsere Gegenwart. Die Geschichte könnte also in wenigen Jahren schon wieder veraltet sein, entweder weil die Umstände sich besserten oder weil es in den nächsten Jahren noch schlimmer wird.

Shaw und McGregor betreten das Herz der Dunkelheit.

Garth Ennis ist mit 49 alt genug, um zwei Generationen von Menschen miterlebt zu haben. Das ist genug Lebenszeit, um noch mit anderen Werten und Ideen über die Beschaffenheit der Welt aufgewachsen zu sein. Dementsprechend ist sein Comic auch von seiner Perspektive geprägt, was in diesem Fall dazu führt, dass die Welt von A Walk Through Hell ein amoralisches Tollhaus ist, in der Menschen aller politischen Richtungen sich gegenseitig zerfleischen. Es wäre also einfach für ihn, einen Comic über jammernde Millenials zu schreiben, die nicht wissen, wie die Welt funktioniert, aber erstaunlicherweise hält er sich mit solchen Kommentaren zurück. Hauptprotagonistin Shaw ist 40, damit also näher an seiner Generation dran und er schont sie genauso wenig, wie alle anderen Figuren. Außerdem hält er sich mit üblichen Archetypen aus seinen Geschichten zurück. Wo frühere Figuren von ihm, vor allem Antagonisten, perverse Karikaturen waren, versucht er jene in A Walk Through Hell so normal und real wie möglich darzustellen. Zwar sind sie auf ihre Art auch schon wieder Archetypen, Shaw beginnt die Geschichte zum Beispiel als knallharte Agentin, aber sie bleiben real genug, um sich realistisch zu verhalten und realistisch zu diskutieren. Denn das tun die Figuren vorrangig: sie diskutieren. A Walk Through Hell ist eigentlich nichts weiter als ein sehr langer Dialog zwischen allen Figuren. Das passt, da der Comic unter anderem die moderne Dialogkultur kommentiert.

Die Mitglieder eines SWAT-Teams verzweifeln an dem, was sie im Lagerhaus sahen…

Interessanter als die eigentliche Geschichte ist ihre Inszenierung. Zwar wird ab und an zwischen den Zeitebenen hin- und hergesprungen, aber der bedeutendste Teil der Geschichte findet zwischen Shaw und McGregor im Lagerhaus statt. A Walk Through Hell bekommt damit den Charakter eines Theaterstücks. Würde man alle Szenen außerhalb des Lagerhauses wegkürzen, würde die Geschichte immer noch funktionieren, was für die Qualität des Diskurses und der Dialoge spricht. Und wie in einer klassischen Tragödie sind die Hauptfiguren eigentlich edle Gestalten, die ihren Fall nicht abwenden können. Die Geschichte kann also kein gutes Ende finden, was wieder zum nihilistischen Thema passt. Bis auf ein paar Szenen hält sich Ennis auch mit überzogener Gewalt zurück und zeigt damit, dass der wahre Horror darin besteht, Leser*innen nichts zu zeigen. In diesem Fall wissen sie so oder so schon, von wem die eigentlichen Schrecken ausgehen.

Sudžukas Zeichnungen sind ähnlich zurückhaltend. Überdrehte Mimiken oder einen extravaganten Panel-Aufbau wird man in A Walk Through Hell nicht finden. Das funktioniert ausgezeichnet, da man sich so auf die Geschichte konzentriert, anstatt die einzelnen Panels anzustarren. Gerade weil die Bilder so zurückhaltend sind, funktionieren die wenigen krassen Momente des Comics umso besser, da so die einigermaßen realistische Inszenierung gebrochen wird.

… und möchten nicht miterleben, was danach kommt.

A Walk Through Hell ist ein sehr leiser, erstaunlich effektiver Horrorcomic, der die Menschen dazu auffordert nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Ob die Welt am Ende dadurch genauso bleibt, wie sie ist, oder sich zum Besseren hin ändern wird, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Die deutsche Ausgabe der beiden Sammelbände wurde gekonnt von Monja Reichert und Christian Heiss übersetzt. Lediglich an zwei Stellen hielt ich kurz inne. An einer Stelle wurde eine Pointe direkt übersetzt, die zwar auf Englisch Sinn ergibt, aber im Deutschen nicht so gut funktioniert. Das mit sexuellen Straftätern verbundene Wort „Predator“ mit „Jäger „zu übersetzen, empfinde auch nicht als sonderlich geschickt, da es sich schon fast wie eine Auszeichnung liest. Allerdings bietet die deutsche Sprache kein passenderes Wort für diesen Begriff. Als Bonusmaterial enthält der erste Band einen Werkstattbericht, in dem gezeigt wird, wie Sudžuka einige Seiten von Ennis‘ Skript visuell umsetzte.

Zurückhaltend erzählter, spannender Horrorcomic für das einundzwanzigste Jahrhundert

A Walk Through Hell
Cross Cult, 2019
Text: Garth Ennis
Zeichnungen: Goran Sudzuka
Farben: Ive Svorcina
Übersetzung: Monja Reichert und Christian Heiss
144/176 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: je 25,00 Euro

Band 1: Das verlassene Lagerhaus
ISBN: 978-3-959819-78-7
Leseprobe
Band 2: Die Kathedrale
ISBN: 978-3-959813-56-3

Leseprobe:

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