Gerade in den deutschen Kinos gestartet: Willkommen in Siegheilkirchen, ein Animationsfilm nach Motiven von Manfred Deix.
Thomas: Rotzbub – so sollte der Film zunächst heißen (und in Österreich, wo er schon im Frühjahr ins Kino kam, hieß er auch so). Fürs deutsche Publikum wurde daraus Willkommen in Siegheilkirchen. So heißt das kleine österreichische Dorf, in dem die Geschichte spielt. Der „Rotzbub“ des Originaltitels ist ein Junge, der in der Nachkriegszeit als Sohn von Wirtsleuten aufwächst und jeden Abend in deren Gasthaus das typische Ensemble einer ländlichen Komödie erlebt: den besoffenen Polizisten, den bigotten Pfarrer, ein paar Altnazis, den feisten Bürgermeister. Der Nachkriegsmuff ist mit Händen zu greifen, und der namenlose Rotzbub leidet sehr darunter. Als Ausweg dient ihm zum einen sein Zeichentalent, zum anderen die ersten Anzeichen einer neuen, offeneren Welt – in Gestalt eines freundlichen, Rockmusikbegeisterten Kneipenwirts und einer am Dorfrand campierenden Roma-Familie, deren Tochter den Rotzbub in jeder Hinsicht fasziniert.
Modelliert ist die Geschichte nach der Jugend des Karikaturisten Manfred Deix (1949-2016), der vor allem in den 1980er und 1990er Jahren über Österreich hinaus bekannt wurde für seine meist ganzseitigen Aquarellbilder, die extrem detailliert und plastisch gemalt waren und dabei sehr böse und bissig das Spießertum der Gesellschaft angriffen. Die typische Deix-Figur ist hässlich, meist dick, selbstgerecht und ein bisschen deppert. Der Standard schrieb in einem Nachruf: „Man mag lachen oder weinen bei diesem Anblick. Grausen tut es einen eigentlich immer.“
Die Arbeit am Film begann noch kurz vor Deix‘ Tod, im Abspann wird er als Art Director aufgeführt. Und tatsächlich: Es ist erstaunlich gut gelungen, seinen unverkennbaren Stil in die 3D-Animation zu überführen und so den Deix’schen Figurenkosmos auf die Leinwand zu bringen. Auf Standfotos wirkt das noch besser als im fertigen Film, denn die Bewegungen wirken dann doch ein bisschen puppenhaft und wenig organisch – eine deutsch-österreichische Trickfilmproduktion ist halt leider kein Pixar. Aber wenn der Inhalt überzeugt, verzeiht man so einem Film auch technische Unzulänglichkeiten.
Willkommen in Siegheilkirchen kann allerdings nur in Ansätzen überzeugen. Auf der Plus-Seite zu verbuchen sind der Charme und die Empathie, die der Film seiner Hauptfigur entgegenbringt: Wir bleiben immer ganz nah an der Perspektive des Rotzbuben, leiden mit ihm mit und triumphieren mit ihm, wenn er – so viel Spoiler sei erlaubt – mithilfe seines künstlerischen Talents den fremdenfeindlichen Spießbürgern eine Lehre erteilt. Was weniger gut gelungen ist: Die Schärfe und Bosheit, mit der Deix gegen die Gesellschaft anzeichnete, ist hier zu einer gemütlich-netten Satire geworden, die man sich schmerzfrei ansehen kann. Zum Teil liegt das daran, dass der Film recht weit in der Vergangenheit spielt. Die Autoritäten, gegen die hier rebelliert wird, sind längst gestorben und – so könnte man als Zuschauer denken – zum Glück sind die spießig-dumpfen Jahre der Nachkriegszeit lange vorbei. Dass es auch heute noch genug Zielscheiben für Deix’sche Angriffe geben würde, ob auf dem Dorf oder in den Regierungsetagen von Wien und anderswo, wird im Film nicht thematisiert. Er bleibt allzu sehr in der Vergangenheit hängen und wirkt damit trotz moderner Tricktechnik irgendwie altbacken. Dazu kommt ein sehr derber, manchmal dumpfer Humor, mit Furzwitzen, fliegenden Fäkalien und auch nicht frei von Sexismus. Das ist zwar durchaus im Geiste von Deix, dem das Derbe wahrlich nicht fremd war, aber dessen große Zeit liegt eben nun auch schon wieder einige Jahre zurück. So wirkt „Der Deix-Film“ (wie er im Untertitel heißt) ein bisschen aus der Zeit gefallen und kommt ein paar Jahre zu spät.
Regisseur Marcus H. Rosenmüller gilt seit seinem Debüt-Erfolg Wer früher stirbt ist länger tot als Spezialist für leichte, aber nicht blöde Unterhaltung mit alpenländischem Einschlag. Andere Filmemacher begründen ganze Karrieren auf Strickmustern, die einmal gut funktioniert haben, aber Rosenmüller probiert auch immer mal Neues aus (z.B. Musikerdokus oder ein Biopic über den Fußballtorwart Trautmann). Das Ergebnis ist bei ihm meistens sympathisch, aber am Ende doch ein bisschen bieder und konventionell, viel weniger rebellisch oder widerborstig, als es erscheinen möchte.
Das gilt nun auch für Willkommen in Siegheilkirchen, Rosenmüllers ersten Ausflug in den Animationsfilm (als Unterstützung hat er sich Co-Regisseur Santiago López Jover geholt, der aus der Animationsbranche kommt). Bonuspunkte gibt es für die konsequent österreichisch gefärbten Dialoge – zum Glück hat man hier auf eine Vertonung auf Hochdeutsch, die dem Film einen Großteil seines Charmes geraubt hätte, verzichtet. Unterm Strich also eine schöne Verbeugung vor dem großen Manfred Deix – seine Fans werden hier sicher auf ihre Kosten kommen. Ein neues Publikum, das mit Deix und seinem Schaffen nicht vertraut ist, wird man mit der doch recht simpel gestrickten Geschichte und dem derb-altmodischen Humor aber kaum erreichen. Schade, denn abendfüllende Trickfilme, die sich nicht in erster Linie an Kinder richten, sind in der hiesigen Filmlandschaft ja eine absolute Seltenheit und werden es wohl weiter bleiben.