In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Daniel: Kennt ihr das? Ihr sitzt auf dem Sofa und wollt was mit SciFi oder Superhelden auf Netflix gucken, aber eure Partnerin will lieber was „weniger Anstrengendes“? Es beginnt die endlose Suche nach dem Kompromiss. Vielleicht einen historischen Kostümfilm mit Kiera Knightly? Oder noch besser: eine Serie, die man immer gemeinsam gucken kann. Aber welche leichte Serie gefällt beiden? Die Antwort: Jane the Virgin. Die CTW-Serie folgt dem Leben der jungen Amerikanerin Jane Villanueva (Gina Rodriguez), die durch einen medizinischen Unfall künstlich befruchtet wird – und das als Jungfrau und streng katholisch erzogen. Die Serie ist eine typische Telenovela, die wiederum alle typischen Telenovelas persifliert, nur um am Ende selbst wieder eine typische Telenovela zu sein. Aber eine verdammt unterhaltsame Telenovela. Das Voice-Over ist bissig, die Texteinblendungen geben der Serie den richtigen Ton und Jaime Camil ist großartig. Der Schauspieler spielt in der Serie den naiven Telenovela-Star Rogelio de la Vega, der in der fiktiven Serie „The Passions of Santos“ Santos, den Präsident von North Ecuaduras, spielt. Klingt sehr meta, ist aber sehr lustig.
Thomas: Ich mag Comic-Anthologien recht gerne, ich stehe auf das Wundertüten-Feeling, dass sich ergibt, wenn sich völlig unterschiedliche Stile und Themen innerhalb eines Buchs oder Hefts befinden. Und es ist ein perfekter Weg, neue, unbekannte KünstlerInnen zu entdecken. Was mich oft stört, ist die allzu kurze Form. In den seltensten Fällen ist für einen einzelnen Beitrag mehr Platz als etwa zehn Seiten. Dann bekommt man entweder Fortsetzungsgeschichten in sehr kurzen Häppchen (etwa in Dark Horse Presents) oder eben kleine Kurzgeschichten – und die lassen mich oft etwas unbefriedigt zurück, weil das Erzählen in sehr knapper Form erstens nicht jedem liegt und die Stories zwangsläufig meist recht offen bleiben.
Ich halte es daher für einen der großen Pluspunkte von Island, dass die KünstlerInnen hier mehr Raum haben. Daniel hat das erste Heft dieses Magazins, das bei Image Comics erscheint, letzten Sommer schon mal vorgestellt, inzwischen gibt es fünf Ausgaben, die ich in den letzten Tagen en bloc gelesen habe. Jede Ausgabe (bis auf die dünnere #5) hat 112 Seiten, und da darf ein Beitrag dann auch mal 20, 30 Seiten oder länger sein; eine feste Seitenlänge pro Comic gibt es nicht – Raum zum Atmen, der vielen gut tut, gerade den oft sehr grafikgewaltigen Zeichnern, die an Island beteiligt sind. Mir haben alle Ausgaben sehr gut gefallen, jede enthielt Überraschendes, Unerwartetes und Neues. Emma Rios und Brandon Graham, die das Heft betreuen, lassen überwiegend befreundete Talente aus ihrem (Comic-) Umfeld ran, die dort dann weitgehend machen dürfen, was sie wollen. Einiges, aber nicht alles, hat im weitesten Sinne mit Science Fiction und Fantasy zu tun (das klassische Métal Hurlant ist eines der erklärten Vorbilder von Island), aber typische Mainstream-Genreware wird man hier nicht finden.
Den stärksten Eindruck machen bisher zwei Fortsetzungsgeschichten von noch unbestimmter Länge, nämlich „Habitat“ von Simon Roy und „Ancestor“ von Malachi Ward and Matt Sheehan. Beide könnte man ganz grob in die SciFi-Schublade stecken, beide sind aber völlig unterschiedlich und stellen etwas sehr Eigenständiges dar. Und sie stehen beispielhaft für genau die Sorte von Comics, die man auf dieser Anthologie-Insel findet: so ungewöhnlich und speziell, dass sie es als eigenständige Serien wahrscheinlich sehr schwer auf dem Markt hätten, aber andererseits auch zugänglicher und weniger avantgardistisch, als es die Comics in Anthologien aus dem Umfeld der Kunsthochschulen oft sind. Ein „middle ground“, auf dem ich mich sehr gerne aufhalte (allerlei Beispiele findet man im Tumblr Island Insights).
Christian: So kann’s gehen. Kaum hat man seine fünf Lieblingscomics 2015 veröffentlicht, liest man erst sein wahres Lieblingscomic 2015. Es ist gar nicht so einfach auszumachen, was an Dauvillier und Lizanos Die kleine Familie das besondere ist, denn die darin enthaltenen Alltagsgeschichten über die Liebe zweier Kinder zu ihrem Opa sind zunächst mal vor allem freundlich und nett. Aber die Bilder und die Geschichten stecken voller Poesie, und es macht einfach einen immensen Spaß, wie Dauvillier und Lizano in ihrem Comic das Schöne festhalten, was im wahren Leben leider oft allzu schnell wieder vorbei ist. Ich habe mich schon beim ersten Buch der beiden, Das versteckte Kind, in Dauvilliers Rundköpfe verliebt. Der Mann hat wirklich einen sehr charmanten Stil. (Erschienen ist Die kleine Familie 2015 bei Panini).