In der Zeit vor dem ganz großen Erfolg mit Asterix haben René Goscinny und Albert Uderzo sich bekanntlich gemeinsam an diversen anderen Projekten versucht. Darunter auch der Comic Luc Junior, welcher es zwischen 1954 und 1957 auf sieben Geschichten brachte. Die vorliegende Gesamtausgabe versammelt nicht nur erstmals alle Luc Junior-Stories in einem Band, sondern legt erstmals überhaupt alle Episoden in deutscher Sprache vor.
Die Ausgabe orientiert sich gestalterisch und preislich stark an den jüngsten Gesamtausgaben von Umpah-Pah und Pitt Pistol, den weiteren Klassikern des Teams Goscinny/Uderzo. Das heißt auch, dass man sich über ein angenehm mattes und raues Papier und einen längeren redaktionellen Text mit vielen Anekdoten, Hintergründen und versteckten Details aus der Entstehungszeit freuen darf. Mehr über den fast vergessenen Luc Junior zu erfahren, ist in jeder Hinsicht spannend: Vom berühmten Asterix-Duo eigentlich eher als Auftragsarbeit angesehen, sollte der pfiffige Bürobote, der im ersten Kapitel vom Chefredakteur der (fiktiven) kleinen Tageszeitung Der Schrei gleich mal zum Reporter befördert wird, nicht viel mehr bezwecken, als für das Beilagenblatt La Libre Junior der (realen) Zeitung La Libre Belgique den Erfolg von Hergés Tintin (Tim und Struppi) zu kopieren. Nicht umsonst erinnern die Figuren und Plots von Luc Junior frappierend an Hergés Arbeit. Hier wie dort gibt es einen jungen Helden, der sich auf Abenteuerreisen begibt und von einem mürrischen Zeitgenossen und einem Hund begleitet wird. Bei Luc Junior besetzen Pressefotograf Herr Grimmig und der einer nicht näher spezifizierten Rasse angehörende Hund Albert diese Rollen.
Daneben finden sich aber in den Erzählungen von Goscinny und Uderzo bereits jene Zutaten, die sich auch in ihren anderen gemeinsamen Werken wiederfinden und die Asterix später zu seiner bis heute andauernden Popularität verhelfen sollten. Auch Asterix und Obelix sind ein unzertrennliches Duo, das in Luc Junior und Grimmig oder in Umpah-Pah und Hubert von Täne seine Vorbilder fand. Nicht zu vergessen, dass mit Idefix wiederholt ein Hund eine mehr oder weniger große Rolle spielt, eine Idee, die Hergé wie Goscinny scheinbar gleichermaßen früh für erfolgsversprechend hielten.
Es wäre aber falsch, Luc Junior nur auf die offensichtliche Ähnlichkeit zu Tintin zu reduzieren. Zwar haben selbst Goscinny und Uderzo ihren Comic nur widerwillig angetreten, im Bewusstsein, dass man die bewährte Formel möglichst identisch übernimmt, aber Luc Junior schlägt in seinen sieben Geschichten doch einen anderen Ton als seine Vorlage an. Goscinnys Wortwitz findet sich hier genauso wieder wie Uderzos Fähigkeit, einen Funny-Titel möglichst lebendig und dynamisch zu zeichnen. Insofern haben die Macher durchaus versucht, ihre ganz eigene Version des abenteuerlustigen Reporters zu Papier zu bringen. Auch wenn das Ergebnis noch nicht so brillieren kann wie die späteren Asterix-Alben, ist aus Luc Junior mehr als eine simple Auftragsarbeit, ein Tintin-Klon, geworden. Ungewöhnlich ist übrigens die Tatsache, dass es auf jeder Comicseite nur drei statt der üblichen vier Panelreihen gibt. Ein Umstand, der dem damaligen Format von La Libre Junior geschuldet ist und dafür sorgt, dass Egmont in seiner Ausgabe oben und unten einen weißen Rand stehen lassen musste.
Einen tollen Bonus liefert diese Gesamtausgabe indes mit dem Abdruck der kompletten Abenteuer von Bill Blanchart, dem Großwildjäger. Goscinny und insbesondere Albert Uderzo versuchten sich mitunter an ganz unterschiedlichen Genres und Stilen. So entstanden, ebenfalls für La Libre Junior, 1954 und 1955 ganze 24 Seiten des Comics, die hier komplett zum Abdruck kommen. Die Schwarz-Weiß-Story nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als dass sie die erste und einzige Zusammenarbeit von Goscinny und Uderzo an einem realistisch gezeichneten Comic war. Damit ist Bill Blanchart aus heutiger Sicht vor allem als Beweis für Uderzos müheloses Wechseln der Zeichenstile anzusehen, weicht er hier doch extrem von der Funny-Optik ab, für die man den Künstler gemeinhin kennt. Dass auch Blanchart in Slim Jack einen unzertrennlichen Gefährten hat, versteht sich indes fast von selbst.
Gut 60 Jahre nach Erscheinen endlich eine wohlverdiente, deutsche Gesamtausgabe; die Bill Blanchart-Seiten und die ausführlichen Hintergrundinfos sind weitere Kaufgründe
Egmont Comic Collection, 2015
Text: René Goscinny
Zeichnungen: Albert Uderzo
Übersetzung: Klaus Jöken
240 Seiten, schwarz-weiß/farbig, Hardcover
Preis: 25 Euro
ISBN: 978-3-7704-3859-4