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 300
USA 2006, Regie: Zack Snyder, Drehbuch: Zack Snyder, Kurt Johnstad und Michael Gordon, nach der Graphic Novel von Frank Miller und Lynn Varley. Hauptdarsteller: Gerard Butler (König Leonidas), Lena Headey (Königin Gorgo), Rodrigo Santoro (Xerxes), Andrew Tiernan (Ephialtes), David Wenham (Dilios)
"This is not Madness. This is America!"
Seit dem 5. April läuft in den deutschen Kinos die nächste Comicverfilmung von Frank Miller. Wie bereits in der Adaption von Millers Comicvorlage Sin City scheint auch in dem neuen Streifen, Zack Snyders (Dawn of the Dead) 300, das Hauptaugenmerk auf der ungewöhnlichen Ästhetik zu liegen, die die Zuschauer begeistern soll. Während der Neo-Noir-Film die Kritiker sowohl von der Vorlage als auch von Robert Rodriguez’ Umsetzung überzeugte, so muss 300 gerade wegen seiner zwei unterschiedlichen aber dennoch ineinandergreifenden Plots hervorgehoben werden. Hinter dem Special-Effects-Schlachtenepos, das seine Zuschauer ohne jede Frage unterhält, kommt eine politische Komponente hervor, welche die Kriegstreiberei Amerikas hinterfragt.
In 300, der 1998/89 in Amerika von dem Verlag Dark Horse Comics als Fünfteiler veröffentlicht wurde, greift Miller den Stoff von Dichtern wie Herodot und Simonides von Koes auf. Obwohl deren Darstellung der Perserkriege zwar nicht eindeutig von Historikern bestätigt wird, geht der Status dieser Erzählungen über den einer Sage hinaus. Wie Miller selbst erklärt, entstand die Begeisterung für den Stoff, nachdem er 1962 Rudolph Matés Film The 300 Spartans gesehen hatte. Schauplatz der Handlung ist die Mittelmeerküste Griechenlands um 480 v.Chr. zur Zeit der Perserkriege. Der Antagonist ist Xerxes (Rodrigo Santoro), Gottkönig der Perser, der auf seinem Feldzug nach Europa durch Griechenland ziehen will. Sein Widersacher ist der Anführer der Spartaner, König Leonidas (Gerard Butler). Die Schlacht zwischen den beiden Gegnern wird an den Thermopylen („Hot Gates“), einem Küstenpass, der ins Landesinnere von Griechenland führt, ausgetragen. Während die Heerscharen der Perser in die Tausende gehen, beschreiben Herodot, Miller und Regisseur Zack Snyder die Taten einer Gruppe von 300 Spartanern, die sich den Persern entgegenstellen. Dabei legen Comic und Film weniger Wert auf historische Genauigkeit.
Spricht man von einer neuen Ästhetik des Kinos, so müssen ausgewählte Szenen im Film wie z.B. die Ankunft der Spartaner an den Thermopylen, näher beleuchtet werden. Die 300 Spartaner sind ausschließlich mit einem Lendenschurz und rotem Umhang bekleidet. Zu ihrer Ausrüstung zählen Lanze und Schwert, ein Helm und ein runder Bronzeschild. Die Kampftruppe trifft nach einem Gewaltmarsch an der strategisch günstigsten Position, den Thermopylen, ein. Der Zuschauer wird konfrontiert mit 300 Männern, die mit spartanischer Ausrüstung einer Übermacht von persischen Kriegsschiffen gegenüberstehen. Doch anstatt vor Angst zu erzittern, werden Brustmuskeln angespannt und dem Kampf entgegengefiebert. Diese Energie bekommt der Kinobesucher in Form eines Metal-Konzerts präsentiert: Während Teile der persischen Flotte im aufkommenden Sturm hin- und herwogen und letztendlich zerbersten, stehen die heldenhaften Spartaner mit wehenden Mähnen auf der Klippe und ergötzen sich an dem Anblick. Die Sequenz wird begleitet von der Musik Tyler Bates', der bereits für das Remake des Splatterfilms Dawn of the Dead den Soundtrack produzierte. Diese Szene stellt das Vorspiel für eine ganze Reihe von Kampfhandlungen dar, für die Snyder und sein Visual-Effects-Spezialist Chris Watts (The Corpse Bride) in ihre Trickkisten greifen.
Mit dem Eintreffen der Kontrahenten gewinnt der Film an Geschwindigkeit. Ultimaten werden gestellt, um sofort wieder verworfen zu werden, so dass die Schlacht, auf welche die Trailer in aller Länge vorbereitet haben, beginnen kann. Dabei kommt es zu Enthauptungen und jeglichen Arten von Körperteilabtrennungen. Natürlich spielt hier die bereits erwähnte Ästhetik eine entscheidende Rolle: Dabei lenkt Snyder seine Zuschauer mittels Zeitlupen und Zeitraffungen durch die Schlacht. Während Millers Comic lange Zeit wegen seiner Erzählstruktur – hier sei als ein Beispiel nur seine Vorliebe für Splashpages zu nennen – nicht verfilmbar schien, dienen Snyders wohlgewählte Special Effects dazu, aus 300 mehr zu machen als ein simples Schlachtengetümmel à la Braveheart. Mit einer Liebe zum Detail werden brutalste Sequenzen am Computer nachbearbeitet. Wie bereits in Guillermo del Toros Film Pans Labyrinth zu sehen war, ändert sich die Gewaltdarstellung im heutigen Film. Eben durch die Wahl der Effekte wird der Kampf im Film auf einen Stellenwert gehoben, den Kritiker für bedenklich halten. Das Publikum ist gewillt, sich durch die harsche Art der Gewaltdarstellung von dem so entstehenden Realismus mitreißen zu lassen. Oft scheint man im Getümmel zu vergessen, wer hier eigentlich gegen wen kämpft.
Auf der einen Seite steht Leonidas, der König von Sparta, dem 300 seiner treusten Männer in eine aussichtlose Schlacht folgen. Ausgehend von den Dialogen der Figuren untereinander wird schnell deutlich, dass die Rechtfertigung für ein solches Himmelfahrtskommando in der Überzeugung der Spartaner begründet liegt: Begriffe wie Ehre, Pflicht und Freiheit tauchen gehäuft auf. Im Film werden all diese Konzepte in einer einzigen Figur – stellvertretend für 300 – personifiziert. So lässt sich von Leonidas als Allegorie sprechen. Im Gegensatz zum Symbol „bedeutet“ die Allegorie nicht das Gemeinte, sondern „ist“ es selbst, sinnlich sichtbar in die Körperwelt versetzt. Leonidas repräsentiert also nicht bloß die Freiheit, er ist die Freiheit.
Sein Rivale Xerxes wird als die entgegengesetzte Trope dargestellt, als Symbol. Der im Film fast drei Meter messende Gottkönig der Perser trifft auf die fleischgewordene Achse des Guten, Leonidas. Während der Spartaner als Allegorie die ihm zugeschriebenen Werte nicht nur verkörpert, sondern lebt, stellt sein Gegenüber sie nur dar. Allein die Ankunft auf seinem Thron entlarvt Xerxes als Sinnbild für alles Fremde, Unbekannte und Groteske. Die Symbolhaftigkeit wird – wie auf der Gegenseite – durch seine Untergebenden verstärkt. Mit einer Peitsche treibt er seine nur aus Sklaven bestehende Armee an. So kämpfen für Xerxes trollähnliche Wesen und eine Leibgarde maskierter „Immortals“ (Untersterblicher), an deren Menschlichkeit sich zweifeln lässt. Auch in Xerxes’ Harem setzt sich diese Darstellung des Fremden fort. Dort wird Sex als Form der Andersartigkeit gezeigt: neben entstellten Haremsdamen wird dort gleichgeschlechtlicher Sex angedeutet, und selbst das Geschlecht von Xerxes lässt sich nicht eindeutig definieren. Durch diese Darstellung wird ein Feindbild aufgebaut, das hinsichtlich aktueller politischer Debatten sehr prekär ist. Es handelt sich bei den Persern aber nicht um die Darstellung von Islamisten, sondern vielmehr nur um die perfide Vorstellung von einem übermächtigen, unmenschlichen Feind, der bekämpft werden muss, koste es was es wolle.
Obwohl auf dem Schlachtfeld, wo sich Allegorie und Symbol als Gegner gegenüberstehen, die Grenzen klar getrennt sind, hinterfragen Miller und Snyder diese scheinbare Schwarzweißmalerei durch die Rolle der Königin von Sparta, Gorgo (Lena Heady), und des missgebildeten Ephialtes (Andrew Tienan). Erst durch diese beiden Figuren bricht der Film mit einfacheren Darstellungsmustern. Während der Kampf an den Thermopylen wogt, wird durch eine Parallelmontage die politische Situation in Leonidas’ Heimat dargestellt. Seine Frau Gorgo versucht vor Spartas Senat für ihren Mann und für den Krieg zu kämpfen. Im Gegensatz zu der Szene in Xerxes’ Harem wird hier weibliche Sexualität als genauso heldenhaft eingestuft wie die Beteiligung an der Schlacht selbst. Gorgo trifft auf Korruption und wird von ihrem Gegenspieler als Idealistin beschimpft, die mit den Gelüsten der Männer spielt. Obwohl Snyder hier das Bild der Frau positiv skizziert, ist die Rolle von Gorgo dennoch die des Kriegsfalken, der sich dem Ideal der Freiheit verschrieben hat. Betrachtet man die Art und Weise, wie sie vor dem Senat argumentiert, werden Parallelen zur amerikanischen Außenpolitik deutlich.
Solche Vergleiche mit Amerikas Kriegsenthusiasmus sind nicht unabgebracht, wenn man bedenkt, wie Miller und Snyder ihre pervertierte Version Amerikas aufbauen. Im Kodex der Spartaner steht geschrieben: „Alle Menschen sind nicht gleich geschaffen.“ („All men are not created equal”) Dieses Zitat kann als direkte Kritik an der amerikanischen Verfassung gelesen werden, die ja genau das Gegenteil postuliert, sich aber innen- und außenpolitisch nicht an die eigenen Vorgaben zu halten scheint. Sinnbild für diesen Konflikt stellt der deformierte Soldat Ephialtes dar, der um eine Audienz bei Leonidas bittet, um seine Dienste als Krieger anzubieten. Dieser straft ihn aber mit Hohn und beweist Ephialtes seine Untauglichkeit. Es ist nicht mehr der Glaube an Gleichberechtigung, sondern das System des „Survival of the fittest“, das hier regiert.
Hinter dem Heldenepos, auf den Trailer und Medienberichte uns im Vorfeld vorbereitet haben, sollten wir die Freiräume der Zeitlupen nutzen, um uns zu überlegen, was uns wie in 300 erzählt wird. Wenn ich am Ende des Films Dilios – dem Erzähler der Geschichte – zuhöre, dann kann ich nicht anders, als an Rumsfeld und Cheney zu denken, die ihre Truppen auf einen vermeintlichen Feind mit Nuklearwaffen einschwören und dadurch ihre Polemik rechtfertigen. Bereits in anderen Comics wie The Dark Knight Returns hat Frank Miller Amerika seine eigenen Abgründe bildlich vorgeführt. Die Filmadaption von 300 schlägt unter dem Deckmantel der neuen Ästhetik genau in die gleiche Kerbe. Vielleicht wird man in der Fülle von Comicadaptionen, die dieses Jahr noch anstehen (von Spiderman 3 bis Transformers), auch diese Werke nicht nur als reine Adaptionen lesen, sondern sich etwas mehr Zeit zur Besprechung dieser Filme nehmen. dw
Bewertung:     
Links:
Zweite Meinung: Rezension von Björn Wederhake in der CMDB
Offizielle deutschsprachige Website zum Film
300 in der Wikipedia
Bildquelle: warnerbros.de/300 , © Warner Bros.
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