300

USA 2006, Regie: Zack Snyder, Drehbuch: Zack Snyder, Kurt Johnstad und Michael Gordon, nach der Graphic Novel von Frank Miller und Lynn Varley. Hauptdarsteller: Gerard Butler (König Leonidas), Lena Headey (Königin Gorgo), Rodrigo Santoro (Xerxes), Andrew Tiernan (Ephialtes), David Wenham (Dilios)



Plain evil or just stupid?

Oh, fuck. Worauf habe ich mich da eingelassen? Nach Don Rosas (wie immer der Disclaimer: der Blogger, nicht der Schöpfer von Onkel Dagobert: Sein Leben, seine Milliarden) Aufstachelung habe ich mir dann heute doch im heimatlichen Schauspielhaus 300 angesehen. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, den Film nicht wirklich schlecht gefunden zu haben. Was mich offensichtlich als glühenden Anhänger der NSDAP enttarnt. Aber, ich greife vor…

Mit meiner Filmprognose lag ich ja derbe daneben:

Der Film sollte eigentlich ein gutes Gegengift zu überambinitionierten Projekten wie Troja oder Alexander werden, weil hier ganz bewusst krachende Action und umwerfende Massenschlachten im Vordergrund stehen, nicht irgendein pseudo-historischer Relevanzanspruch.

Tja. Und ausgerechnet 300 ist nun öffentlich viel politischer gelesen und diskutiert worden als all die anderen Historienschinken. Xenophob. Homophob. Rassistisch. Faschistisch. Das sind die Adjektive in den Feuilletons und Blogs am häufigsten fielen. Nicht ganz zu unrecht. All das lässt sich auch schon in Frank Millers literarischer Vorlage finden. Und da hatte ich kein Problem damit. Ganz ehrlich gesagt: Es ist mir da nicht einmal so aufgefallen.

Was verschiedene Gründe haben könnte: Vielleicht liegt es daran, dass ich den Comic nicht so ausführlich gelesen habe wie Watchmen oder V for Vendetta, sondern immer mal wieder einfach weitergeblättert habe, wenn mich Millers Dialog nervte. Immerhin ging es, für mich, in 300 darum, dass Frank Miller visuell beeindruckende Schlachtgemälde wuchtig aufs Papier klatscht.

Ein anderer Grund könnte sein, dass ich Frank Millers Tendenz und Vorliebe für einen… sagen wir mal “aufgeklärten Faschismus” in genug anderen Comics gesehen habe, ihn da aber auch ausblenden konnte. Es gibt so ziemlich kein Werk von Frank Miller, das nicht faschistische Gedankenkonstrukte vorweisen kann. The Dark Knight Returns, einer meiner Lieblingscomics, endet damit, dass der Batman sich mit einer Armee in den Untergrund zurückzieht und nur auf die richtige Gelegenheit wartet um die Macht zu ergreifen. Was kein Problem darstellt: Das ist Batman, der Mann ist ja der Gute. Batman kann man trauen. Das meine ich mit “aufgeklärter Faschismus”, wenn ich das im Kontext zu Frank Miller sage.

In The Dark Knight Strikes Again sagt sich Superman von der Menschheit los und wird zu einer Art Gott, zu Nietzsches Übermenschen, der natürlich seine Rolle im Dritten Reich fand. Millers Helden sind immer Militaristen: Batman, der am Ende von The Dark Knight Strikes Again sogar sein eigenes Tötungsverbot aufhebt, denn der Zweck heiligt die Mittel. Daredevil. Robocop. Der Ronin. Dwight, Marv und Hartigan in Sin City. Martha Washington in der eponymen Serie ist eine Soldatin. Der Einsatz der Waffe, das Kriegerethos, das zeichnet Millers Helden aus. Millers Weltbild scheint in der Hinsicht dem Weltbild der Gesellschaft in Starship Troopers zu entsprechen. Da ist es nur konsequent, dass Miller sich auf den militaristischsten aller Stadtstaaten konzentriert.

Den Kriegern steht der Rest der Welt gegenüber: Korrupte Polizisten, verlogene Politiker, homosexuelle Nazis, perverse Priester, politisch überkorrekte Linke, hasserfüllte Rechte und der einfache Bürger, der zwar eine Meinung aber keine Ahnung hat. Man kann mal eine Checkliste erstellen, wieviele dieser Klischees sich in jedem beliebigen Comic von Frank Miller finden lassen. In seinen Comics verhindern diese Bremsklötze, die meist auch optisch deutlich negativ dargestellt werden (obwohl Frank Miller selber etwas frettchenhaftes an sich hat und eher dem Yellow Bastard ähnelt als Marv oder Batman), dass die vernünftigen Krieger die Welt retten können.

Diesen Faschismus und Militarismus habe ich allerdings, und vielleicht bin ich da Heuchler, beim Lesen seiner Comics an die Seite drängen und mich ganz auf die Geschichten und die Blder einlassen können. Vielleicht auch weil er den Lackmus-Test für Verrückte im Comicbereich (noch) nicht erfüllt: An die geistige Umnachtung eines Dave Sim, mit seinen religiösen Offenbarungen und frauenfeindlichen Erkenntnissen reicht er halt bisher nicht ran.

Dann wiederum, Millers Major Opus Holy Terror, Batman - das er selbst als “Propaganda” beschreibt und in dem Batman sich im Kampf mit Osama Bin Laden messen wird - ist noch nicht erschienen. Und schon die Grundidee klingt arg danach, dass Miller damit in davesim’sche Gefilde des Wahnsinns eindringen wird. Subtilität war Millers Forte noch nie, warten wir also mal ab wie in dem potentiellen Trainwreck die Araber und die al-Quaida dargestellt wird.

Kommen wir endlich zum Film 300: Der zunächst visuell genau das geboten hat, was ich erwartete. Viele Panels des Comics wurden 1:1 in den Film übernommen, was schon ziemlich beeindruckend ist. (Wobei man konsequent auf die full frontal male nudity verzichtet hat, die es im Comic auch zu finden gab. Splatter? Ja. Willige weiber mit eisenharten Nippeln? Ja. Penisse? Da sei Gott davor.) Das ganze findet in einem Universum statt, das nie versucht so zu tun als wäre es real. Die Farbgebung, die wenigen Hintergründe, selbst die Art wie die Spartiaten glänzen, das alles wirkt absolut unrealistisch. Man sieht dem Film den digitalen Overkill absolut an. Das Thermopylen-Set ähnelt eigentlich eher einer typischen Außenkulisse aus Star Trek (die Sechzigershow mit den Pappmaché-Felsen) als einem Kinohintergrund.

Und trotzdem funktioniert das. Vielleicht eben weil man hier bewusst das Künstliche an den Szenen hervorhebt und nicht wie etwa in Spider-Man oder Final Fantasy die Computereffekte die Aufgabe haben “realistisch” auszusehen. (Ich hasse es, wenn in Spider-Man II plötzlich ein CGI-Spidey einen CGI-Doc-Ock verkloppt… man sieht dass es ein Computereffekt ist und ist erstmal augenblicklich raus aus dem Film. Das gleiche Spektakel gab es auch bei der von Bud Spencer inspirierten Neo-gegen-hunderte-Smith-Einlage im zweiten Matrix-Film.) Es ist ein bisschen ironisch, aber eigentlich schuldet 300 da sehr viel dem Herrn George Lucas und den neuen Star-Wars-Filmen: Die Schauspieler müssen sich den Effekten anpassen. Nicht umgekehrt. Aber: Es funktioniert hier. Der Film wirkt da wie aus einem Guss.

Dabei schuldet der Film visuell Leni Riefenstahl mindestens ebenso viel wie modernen Videospielen. Der Riefenstahl-Faktor ist ziemlich klar ersichtlich und nicht von der Hand zu weisen: Die Spartiaten sind muskelbepackte, eingeölte, aufrechte Männer, die sich auch direkt aus Olympia in diesen Film hätten verirrt haben können.

Die Videospielästhetik hätte man wohl vor ein paar Jahren noch als Musikvideoästhetik beschrieben, aber seitdem Männer wie Mark Romanek oder Spike Jonze auch in Hollywood Erfolg haben, ist man da vorsichtiger geworden. 300 setzt auf unzählige Effekte, die ich primär mit Videospielen verbinden würde: Die Zeitlupenästhetik eines Max Payne, das blutige Metzeln durch unzählige Gegnerhorden eines God of War (man hätte übrigens die stilisierte Gemetzel aus den Zwischensequenzen problemlos in 300 schneiden können, ohne dass es aufgefallen wäre), die akrobatischen Einlagen aus Total Overdose, die Fatalities aus Mortal Kombat, das Verlangsamen und Beschleunigen der Zeit aus Viewtiful Joe und nicht zuletzt die Cinekills aus Prince of Persia: The Two Thrones. Bei einigen der Metzelpassagen, wenn Leonidas im Vorbeigehen und in einer flüssigen Bewegung ein gutes Dutzend Perser abschlachtet, hatte ich darauf gewartet, dass der Off-Sprecher gleich ein “awesome combo” oder zumindest ein “flawless victory” von sich geben würde.

Auf der Videospielebene funktioniert auch das Gemetzel: Die Perser sind keine Menschen, nicht einmal Untermenschen, sondern Kanonenfutter. Schwertfutter. Es hat schon seinen Grund, dass man deren Gesichter nie sieht. (Und wenn doch, dann sind es Horrorkreaturen mit nichts Menschlichem an sich.) Die Armee der Perser hat hier keine andere Funktion als die “awesomeness” der Spartiaten darzustellen, aber kein Mitleid oder ähnliches abzugreifen. Die werden so eingesetzt, wie die weit über 2.000 namen- und gesichtlosen Gegner, die ich in den letzten anderthalb Wochen in Scarface: The World is Yours niedergemacht habe. Die Videospielmethodik passt auch dazu, wie die Gegner auflaufen: Level 1 - Fußtruppen. Level 2 - Reiter. Level 3 - Die Unsterblichen und ihr Monster (der im Abspann total käsig Uber Immortal heißt… vgl. auch “das Ubersoldat” aus Return to Castle Wolfenstein). Level 4 - Das LotR-Killernashorn.

Soviel zum Guten: Visuell ist 300 auf jeden Fall, um mal die Achtziger zu channeln, die Wucht in Tüten. (Okay, all das hier kann man auch bereits als schlecht kritisieren. Das kommt auf den persönliche Stil an. Ich fand es passte zum Film und funktionierte hier. Auch wenn feinsinnige Filmkust ganz was anderes ist.) Jetzt kommen die problematischen Dinge.

Die Story ist, auch das fiel mir im Comic gar nicht so sehr auf, nicht nur dünn, die Story ist Nicole Ritchie. Hier wieder mal eine der beliebten Zusammenfassungen, die unser Agitpop-Mitarbeiter Friedrich Merz extra für ihren Steuererklärungs-Bierdeckel verfasst hat: “Perser wollen Griechenland erobern. Stolze Spartaner wollen das nicht. Schreien! Metzeln! Sterben! Derweil in der Heimat: Intriganter Politiker versucht den Persern zu helfen.”

Aber, okay, ich hatte hier ja storytechnisch nichts “episches” erwartet, sondern mir war klar, dass die Geschichte ein Konstrukt sein muss, das gerade stabil genug sein sollte um das zu tragen, worum es hier geht: Blutrünstiges Geschlachte! Problem Zwei ist, dass die unterernährte Story zudem unter etwas leidet, das ich auch schon in Sin City kritisiert habe: Total überzogene Dialoge. Und 300 leidet darunter weit stärker als Sin City, wo ich das locker wegstecken konnte.

Auch das war schon im Comic zu finden, fiel mir da aber nicht so auf. Was auf zwei Möglichkeiten schließen lässt: Entweder bin ich ein extrem dämlicher Comicleser, oder Comic und Film haben größere Unterschiede in der Wirkung von Bild und Dialog auf den Leser/Zuschauer als man annehmen sollte. Anyway, die Dialoge: Entweder es wird gebölkt, oder es ist pathetisch (geradezu peri-pathetisch… sehr kleiner, althistorischer Kalauer)… oder beides.

Wenn nicht gerade gemetzelt wird, dann wird… nennen wir es in Ermangelung eines besseren Wortes “philosophiert”. Wenn sich das nächste Mal ein Jugendlicher mit ein paar hundert Tequila ins Koma säuft, dann sollte man herausfinden ob er auf einer Flatrate-Party war oder nur an einem 300-Trinkspiel teilgenommen hat: “Trinke einen Kurzen für jedes Mal wo die Worte Frieden, Freiheit, Tyrannei, Sklaven, Anstand, Ruhm oder Ehre fallen.” Jesses, sowas kann der US-Präsident in einer State of the Union von sich geben, aber sowas kann man doch nicht ernsthaft so ins Kino transportieren. Selbst wenn es schon im Comic zu finden war.

300 ist nun kein sonderlich dialoglastiger Film, aber trotzdem ist fast jeder gesprochene Satz schmerzhaft. Weil 300 jedwede Ironie fehlt um zu erkennen, wie lächerlich das Kriegspalaver auf den neutralen Zuschauer wirken sollte. Im vierbändigen Lexikon Sätze die man nie ironiefrei ins Kino bringen darf füllt 300 trotzdem locker die Bände 1 bis 3. Und, sorry, immer wenn die Spartiaten zustimmend gegrunzt haben, suchte ich die Leinwand ab: Ich bin mir ganz sicher, dass irgendwo unter den 300 Spartanern Al Borland und Tim Taylor zu finden sind.

(Der beste Satz des Films (”Unsere Pfeile werden die Sonne verdunkeln.” - “Dann kämpfen wir eben im Schatten.”) ist übrigens weder auf Millers, noch auf Zack Snyders Mist gewachsen, sondern lässt sich schon in Herodots Historien VII, 226 nachlesen.)

Achja: Wenn gerade nicht gemetzelt wird, dann verliert der Film auch stark an Tempo. Besonders wenn wir zur Ehefrau von König Leonidas nach Sparta zurückschalten, die dort die Politiker davon zu überzeugen versucht, dass ganz Sparta sich zum Krieg gegen Persien rüsten solle. Das sind zwar keine echten Längen, aber der Tempoverlust in den Szenen schadet dem Film.

Fraglich ist, wie stark man das historische Argument bei 300 nutzen kann. Weder der Comic, noch der Film sind historisch (auch wenn Miller Anspruch darauf erhebt, dass der Comic historisch wäre), sondern sie nutzen ein historisches Ereignis um einen Grund zu haben ihre opulente Schlachtplatte anzubieten. Das ist hier halt die Schlacht um die Thermopylen, es könnte aber eben so gut Japans Abwehr des Mogolenheers, Mark Aurels Kampf gegen die Markomannen oder Caesars Invasion Galliens und Britanniens sein. Mit vielen Details hält sich der Film nicht auf, Spartaner und Perser werden nur so weit dargestellt, wie es nötig ist um ihnen einen Grund zu geben sich gegenseitig Körperteile abzusäbeln.

Aber gut, einige der Kritikpunkte kann man trotzdem anschneiden. Man sollte sie nur nicht unbedingt daran festmachen, dass 300 hier unhistorisch ist. Oder zumindest sollte man sie nicht ausschließlich daran festmachen. Da ist beispielsweise Leonidas Schwinger gegen die Athener, die “Knabenliebhaber” sind. Wie in den Leserbriefen des vierten 300-Hefts schon 1998 angemerkt wurde: Das ist verlogen. Jeder spartanische Krieger bekam einen Jungen zur Seite gestellt, den er ausbildete, dem er Geschenke machte und mit dem er auch den Geschlechtsakt vollzog.

Dass Miller das ignoriert passt zu seinem Gesamtwerk: Homosexuelle kommen bei Miller fast nie gut weg und päderastische Homosexualität (auch wenn sie damals normal und akzeptiert war), würde natürlich das von ihm geschaffene Bild der “echten Männer” aus Sparta ruinieren. Darum lässt sich im Film auch nicht die Stelle finden, an der ein persischer Späher die Spartaner erstmals erblickt und erstaunt feststellt, dass sie sich gerade die Haare kämmen (Herodot VII, 208). Ironisch, da der Film natürlich durch die haarlosen, geölten Muskelkloppse aus Sparta sich doch einer eher homo-erotischen Bildsprache bedient. Und nächste Woche spielen wir: 300 oder Gayporn? Ganz so leicht ist das nicht auseinander zu halten.

Und natürlich wird Xerxes hier als extrem tuntig dargestellt. (Im Kontrast zur markant-männlich homosexuellen Ausstrahlung der Griechen.) Hier bin ich aber gewillt Frank Miller und Zack Snyder den Hauch eines Zweifels einzuräumen und zu glauben, dass sie den Bling-Bling-behängten Xerxes primär so dargestellt hat, weil das ein hübscher visueller Effekt war. So wie es eben auch der Perser mit den Messerarmen ist. (Der so auch nicht im Comic zu finden war, wenn ich mich richtig erinnere. Der aber auch zeigt, wie historisch ernst dieser Film zu nehmen ist. Ein Kerl mit Messerarmen. Eat your heart out, Baraka.)

Ein anderer Kritikpunkt ist die Sache mit der Freiheit, für die die Spartiaten kämpfen. Auch das ist natürlich verlogen: Die Spartaner konnten nur deshalb ein so formidabler Kriegerstaat werden, weil sie unzählige andere Stämme unterdrückten und ein riesiges Kontigent an Sklaven hielten, die den wirtschaftlichen Rückhalt der Stadt darstellten während die Männer sich im Krieg befanden. Auch das thematisieren weder Film noch Comic. Und, zugegeben, es ist den gesamten Film hindurch nicht ein Sklave zu sehen.

Trotzdem akzeptiere ich, dass die Spartaner für die “Freiheit” kämpfen. Auf der filmischen Ebene tun sie nämlich genau das: Sie als Spartaner kämpfen für ihre Freiheit auch zukünftig andere Staaten unterdrücken zu können, statt selbst von einer fremden Macht (dem persischen Großreich) unterdrückt zu werden. Hey, die amerikanischen Kolonien haben auch für ihre Freiheit gekämpft und die Sklaverei trotzdem 1776 nicht abgeschafft. Dass die spartanischen Krieger keine bürgerrechtlichen Bedenken haben, damit kann ich leben. Alles andere erschiene mir unwahrscheinlicher. Trotzdem ist es natürlich legitim zu erwähnen, dass der Film die Sklaverei komplett außen vor lässt.

Kritisch wird es wenn man dem Film vorwirft, dass er “nie einen Zweifel daran [lässt], dass die 300 Spartaner, die hier ein beispielloses Gemetzel veranstalten, “die Guten” sind“. Da erwarte ich, dass der Zuschauer etwas mitdenkt und nicht blind alles frisst, was ihm vorgesetzt wird. Dass der Zuschauer sich eben nicht von all dem Freiheit-HRRRAAAGGHHH-Gebell komplett blenden lässt. Die Perser mögen ihre Opfer an einen Baum binden, die Spartaner bauen eine Mauer aus persischen Leichen. Und selbst wenn man ignoriert, dass Sparta eine Despotie ist: Die Spartaner töten Babies. Schmeißen sie, wie ihre historischen Vorbilder, den Berg Taygetos hinab wenn die Säuglinge deformiert oder zu schwach sind. Wer das gut findet oder akzeptiert, dem ist eh nicht mehr zu helfen.

Damit der Kontrast Sparta gegen Persien noch krasser wirkt, baut Miller zudem die Leistung der Spartaner natürlich stark auf: Die 4.900 Griechen die nicht aus Sparta kamen, aber mit den Spartiaten an den Thermopylen gekämpft haben (Herodot VII, 202-203) ignoriert Miller geflissentlich. Auch wurde man laut Herodot (VII, 213-214) nicht von einem spartanischen Krüppel verraten. Und wenn man die meisten anderen Griechen (mit Ausnahme eines guten Dutzend Arkadier) ignoriert, dann muss man natürlich auch nicht darauf eingehen, dass es Leonidas war, der die anderen Griechen wegschickte, damit sie nicht fallen. Mit Ausnahme der Thespier, die freiwillig blieben, und der Thebaner, die von Sparta abhängig waren und denen Leonidas befahl, dass sie mit ihnen zusammen sterben sollten (Herodot VII, 221-222). Soviel zur universellen Freiheit, für die Leonidas kämpft.

Dann wiederum: 300 ist optisch derart übertrieben, die Schlachtszenen sind so gestellt und die Messerarm-Persier sind so überzogen, dass es einfach falsch wäre an 300 heranzutreten mit der Erwartung, dass der Film “historisch korrekt” arbeitet. Besonders da die Hauptquelle für die Schlacht an den Thermopylen von Herodot verfasst wurde: Einem Mann der auch den Spitznamen “Vater der Lügen” weg hat und der wohl selbst die historische Realität nie einer guten Fiktion im Weg stehen ließ. Die Kritikpunkte Homophobie, Faschismus, Xenophobie kann man immer noch anschneiden wenn man möchte. Vielleicht sogar besser wenn man sich auf den Film an sich konzentrieren kann und sich nicht am Rettungsring historischer Halbwahrheiten festklammert.

Der überkandidelte Off-Sprecher, der die Geschichte erzählt, darf dabei nur sehr eingeschränkt als Belastungszeuge herhalten: Wie wir sehen ist der Mann selbst Spartaner, der gegen die Perser gekämpft hat. Als solcher ist er nicht allwissend, sondern unzuverlässig, wie das in der Buchanalyse heißen würde. Wenn der Mann die Perser also als Monster oder das persische Heer als Bestie bezeichnet, dann sollte man nicht vergessen: Er ist kein neutraler, unfehlbarer Erzähler aus der dritten Person.

Und man sollte auch nicht vergessen, dass der “unmenschliche Gegner” schon seit Jahrzehnten ein Klassiker des Hollywoodfilms ist. Seien es die Deutschen in Indiana Jones, die Japaner in Pearl Harbour, die mexikanischen Orks in The Alamo, die Sowjets in Red Dawn, die Markomannen in Gladiator oder die Briten in The Patriot. Das entschuldigt möglichen oder realen Rassismus in 300 nicht, es hilft aber die Sache ein wenig in den Kontext zu rücken. Die Frage wie rassistisch 300 ist, ist eng damit verknüpft wie stark politisch man den Film liest.

Das Leitmotiv Sparta gegen Persien sehe ich persönlich nicht als primär auf den Konflikt Westen gegen arabische Welt, oder sogar auf den Konflikt USA gegen Iran zugeschnitten (auch wenn ich verstehe warum man das so lesen kann, warum sich der Vergleich geradezu aufdrängt), sondern eher als typisches Leitmotiv Millers.

Seine maskulin-kriegerische Idealgesellschaft Sparta, mit ihrer Kameradschaft und ihrem Heldenethos, steht einem Persien gegenüber, dessen Bewohner deformiert sind, sich mit viel Flitterkram schmücken und in dessen Lagern es zugeht wie in Sodom und Gomorrah. Aber genau dieser Konflikt zwischen echten Männern (die auch mal eine Frau sein können, siehe Martha Washington oder “deadly, little Miho” in Sin City) und verweichlichten Hedonisten zeichnet fast alle Comics von Miller aus. Er hätte auch für jeden anderen Konflikt, den er als Hintergrund genommen hätte, einen Weg gefunden dieses Element einzubauen.

Der Comic-Leonidas ist sogar noch um einiges unsympathischer als der Film-Leonidas. Er bietet dem verkrüppelten Spartaner gar nicht erst an, zumindest als Sanitäter oder Leichensammler tätig zu werden, sondern schickt ihn einfach fort. Das ist halt Millers Weltbild, dass sich auch in 300 spiegelt: Krieger - yay! Politiker, Intellektuelle, Künstler, Rest der Welt - buh!

Mögen muss man das nicht, aber ein gewisses Maß an Fairness sollte man trotzdem walten lassen. Die oben verlinkte Intro-Rezi erkennt etwa auch:

Dabei ist es bezeichnend, dass der widerlichste Bösewicht der Geschichte ein liberal wirkender Kriegsgegner ist, der sich natürlich als korrupter Königinnenschänder entpuppt.

Was dann der Moment ist, wo eindeutig der Ärger über die Untertöne des Films die Überhand gewonnen hat. Denn warum der Kriegsgegner “liberal” wirkt, weiß ich nicht. Sowas habe ich im Film nicht gesehen. Und er ist nicht gegen den Krieg, weil er Pazifist oder auch nur Diplomat wäre: Er ist gegen den Krieg, weil er von Xerxes dafür bezahlt wurde, die Spartaner vom Krieg fern zu halten. Und das wird von Anfang an klar. (Wobei es wiederum für die rassistische Interpretation spricht, dass ein Junge der ein persisches Massaker überlebt, blond und blauäugig ist…)

Allerdings: In Millers bisherigen Comics kamen weder Demokraten noch Republikaner gut weg. In The Dark Knight Returns macht er sich über Ronald Reagan, immerhin die Ikone der modernen Konservativen, lustig. In The Dark Knight Strikes Again spottet er über die Bush-Administration. Miller hat eher ein Problem mit der Demokratie an sich, als mit irgendeiner Strömung in ihr: Während Politiker immer nur palavern, handeln echte Männer (wie Batman, Daredevil oder Leonidas). Und von der Bevölkerung ist auch nichts zu erwarten: Die wählen in Give Me Liberty wieder und wieder einen Mann der die USA in einen (ungerechten) Polizeistaat verwandelt hat und in The Dark Knight Strikes Again sogar gleich ein Hologramm zum Präsidenten.

Wenn man den Film als Kulturkampfmetapher liest, dann macht der letzte Aufruf zum Krieg gegen “Tyrannei und Aberglauben” Angst. Denn dann ist er so wie Ann Coulters Aufforderung “in ihrer Länder einzufallen, ihre Anführer zu töten und sie zum Christentum zu bekehren”. Und ich kann nicht sagen, dass 300 zu dumm ist, um beleidigend zu sein. Denn Rassismus und Xenophobie kommen in ihrer einfachsten Form dumm und bodenständig daher.

Und trotzdem halte ich es auch für ungerecht, den Film nur auf die Meta-Ebene zu reduzieren und ihm jede filmische Ebene komplett abzusprechen, auf der die Spartaner, all die oben genannten Probleme außen vorgelassen, eben wirklich für ihre Freiheit (andere zu unterdrücken) und gegen einen Eindringling kämpfen, der sie versklaven will.

Vielleicht sehe ich das aber auch nur so, weil ich den Film jetzt nicht total scheiße fand und darum sollte mirjetzt klar sein, welches Wimpelchen du damals getragen hättest, wenn du in den frühen 1940ern schon auf der Welt gewesen wärst.” Oder nochmal der Intro-Text, der mich daher in folgende Ecke stellt: “Ein wirklich erstaunlicher Trashfilm, der den richtigen Leuten richtig großen Spaß machen wird.” Und wer mit “die richtigen Leute” gemeint ist, ist auch klar: Militaristen. Faschisten. Islamophobe. Nazis.

Ich würde es eher mit einem anonymen Leserbrief aus den 300-Heften halten: “It’s Miller again. Gorgeous works, ugly subtext.” Der Film funktioniert für mich als das, was ich von ihm erwartet habe: Er ist eine Schlachtplatte ohne Tiefe, sieht dabei aber ungemein schick aus. Im Grunde genomme ist 300 ein glorifizierter B-Movie. Ein Film, der eher im Splatter-Regal einer abgewrackten Videothek als im Feuilleton der FAZ zuhause wäre, wenn er eben nicht das Blockbuster-Budget hätte.

Was mir gar nicht schmeckt, wenn die mangelnde Tiefe darauf zurückgeführt wird, dass der Film halt einen Comic als Vorlage hat. Da verwechseln dann wieder ein paar Experten Medium und Message. Wer einen tiefgründigen, gut recherchierten und spannend geschriebenen Comic über die Antike lesen will, dem sei übrigens Eric Shanowers wundervolles Age of Bronze ans Herz gelegt. (Ein Comic mit Literaturverzeichnis!)

Ganz abseits des Politischen: 300 wird nicht das Ende des klassischen Films sein. Diese totale Überinszenierung, die ständigen Zeitlupen und vorgespulten Bilder, das künstliche Erscheinungsbild… das funktioniert einmal oder auch zweimal, so lange es noch neuartig ist. Danach wird es langweilig und belanglos, so wie die Bullet Time in der Zeit nach The Matrix. Und dann wird das ästhetische Gemetzel nicht darüber hinwegtäuschen können, wie armselig und lachhaft die Dialoge des Films sind.

300 fehlt da genau jene Ironie, die Starship Troopers mit sich brachte. In Verhoevens Film wurden die militärischen Phrasen und die schönen Menschen im Krieg dadurch ausgehebelt, dass die Videoeinspieler (”Wollen Sie mehr wissen…”) die Militärdiktatur auf Korn nehmen und den Krieg gegen die Bugs als sinnlos entlarven. In Zack Snyders Film und in Millers Comic allerdings meinen die alles was sie sagen und schreien (primär schreien) ernst. Bierernst.

Wenn man allerdings als Zuschauer exakt den großen Kasten Ironie mitbringt, der dem Film fehlt, dann kann man hier durchaus unterhalten werden. Im gleichen Maße wie man mit dieser Notfallration Ironie wirklich seinen Spaß mit Rambo III oder Red Dawn haben kann. Das hilft auch sehr bei den Dialogen. (Nur aufpassen: Man wird im Kino böse angeguckt, wenn andauernd anfängt zu lachen oder kichern während Leonidas mit viel Gravitas irgendwelche Phrasen drechselt.)

Entpolitisiert und mit dem nötigen Abstand fand ich 300 trotzdem gut: Es ist ein hirnfreies, extrem schön anzusehendes Gemetzel, umklammert von einer äußerst lächerlich erzählten und inszenierten Geschichte. Ein Schlockbuster von epischem Ausmaß, mehr Uwe Boll als Cecil B. DeMille. Aber mein innerer Teenager, der Reptilienteil meines Gehirns, war mit dem Gemetzel sehr zufrieden und verspürt jetzt den Drang sich doch den zweiten Teil von God of War zu kaufen. Mein innerer Teenager ist halt so, auch wenn er mich damit jetzt als Proto-Nazi und Politically-Incorrect-Leser geoutet haben mag.

Der ultimative Test, wie rassistisch 300 wirklich ist, wird wohl Holy Terror, Batman sein. Die Darstellung der Amerikaner und Araber in dem Comic dürfte zeigen, wieviel dieses Films tatsächlicher Rassismus und wieviel unglücklich gewählte Ästhetik war. DC, wir warten. bw


Bewertung:

[Dieser Text erschien auch auf Björns Weblog agitpopblog.org]

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Bildquelle: warnerbros.de/300 , © Warner Bros.