"Die Liga der aussergewöhnlichen Gentlemen"
Die Comicvorlage - Die Fortsetzung - Die Produktion - Die Figuren - Links

Special zum Film von Thomas Kögel und Fritz Saalfeld

Zum Kinostart des neuen Sean Connery-Films werfen wir einen Blick auf die Comicvorlage von Kultautor Alan Moore, hinter die Kulissen des Films und auf die interessanten Figuren aus klassischen Romanen.

Die Comicvorlage:
The League Of Extraordinary Gentlemen

Man nehme ein halbes Dutzend relativ bekannter Figuren aus klassischen Abenteuerromanen, deren Copyright zum Großteil ausgelaufen ist, und forme daraus ein Heldenteam à la JLA oder Rächer. Das Ergebnis ist die "League of Extraordinary Gentlemen". Moore plünderte hierfür Werke von Jules Verne, H.G. Wells, Bram Stoker, Edgar Rice Burroughs, Sir Arthur Conan Doyle und vielen anderen. Seine Heldentruppe, bestehend aus Wilhelmina Murray, Allan Quatermain, Kapitän Nemo, Dr. Jekyll und dem unsichtbaren Hawley Griffin, arbeitet am Ende des 19. Jahrhunderts für den britischen Geheimdienst und bekommt es unter anderem mit chinesischen Superschurken und Eindringlingen vom Mars zu tun. Die erste sechsteilige "LOEG"-Miniserie war der Startschuss für Alan Moores eigenes Label ABC (America's Best Comics) und gleich ein großer Erfolg bei Kritikern und Lesern. Moore ersann nicht nur eine sehr unterhaltsame und spannende Geschichte, die von Zeichner Kevin O'Neill in schroffen, atmosphärischen Bildern kongenial umgesetzt wurde, sondern gab seinen Lesern auch eine Puzzle-Aufgabe: Finde die Referenzen! Denn nicht nur die Hauptfiguren wurden aus der (Pulp-)Literaturgeschichte ausgeborgt, Moore streute auch noch zahlreiche andere Verweise und Zitate aus den unterschiedlichsten Werken ein. Daraus entstand jedoch kein Abklatsch, sondern ein eigenständiger und einzigartiger Comic: ein weiterer Meilenstein in Alan Moores Oeuvre, das ja nicht gerade arm an Höhepunkten ist. Nicht zu vergessen ist auch die liebevolle Aufmachung der Hefte und Sammelbände, die mit zeitgenössischen Anzeigen, Prosatexten und netten Spielereien angereichert sind. Volume I, die ersten sechs Hefte, ist als Hardcover-Band und als Trade-Paperback (auch in deutscher Übersetzung bei Speed Comics) erschienen. Demnächst wird es auch noch eine Luxusvariante geben, die in einem edlen Schuber neben dem Comic auch noch das komplette Skript enthält. tk

Die Fortsetzung:
The League Of Extraordinary Gentlemen Vol. 2

Zwei Jahre nach der ersten "League"-Miniserie erschien bei America's Best Comics mit Volume II ein weiterer Sechsteiler. Diesmal spielt die Geschichte vor dem Hintergrund der Ereignisse aus H.G. Wells' "Krieg der Welten": Außerirdische Eindringlinge vom Mars landen in London und beginnen einen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit. Nachdem weder Militär noch Polizei gegen diese Übermacht etwas ausrichten kann, ist hier wieder die Liga gefragt. Während Nemo, Mr. Hyde und der Unsichtbare in London die Stellung halten, werden Mina Murray und Quatermain zu Dr. Moreau geschickt, einem Wissenschaftler, der eigenartige Tier-Menschen züchtet (auch dieser stammt aus einem Wells-Roman). Bei ihm sollen sie eine Geheimwaffe abholen, die der englische Geheimdienst gegen die Marsianer einsetzen will.
Das bewährte Team Alan Moore und Kevin O'Neill liefert wieder ein sehr stimmungsvolles Abenteuer, in dem diesmal etwas weniger Wert auf Spannung und Action gelegt wird. Im Zentrum stehen vielmehr die Entwicklung der Charaktere und ihre Beziehungen untereinander. So entwickelt sich zwischen Mina Murray und dem alten Quatermain eine leidenschaftliche Liebe, Nemo wird immer mehr zum Einzelgänger und Mr. Hyde zeigt hinter der rauhen Monsterschale ein sanftmütiges Herz. Am Ende zerfällt die Liga: ein Mitglied wird wegen Verrats von einem anderen getötet, eines fällt den Marswesen zum Opfer, ein drittes quittiert den Dienst. Von strahlenden Helden bleibt hier nicht mehr viel übrig, Moore macht alle League-Mitglieder zu gebrochenen Gestalten.
Was die Menge der literarischen Anspielungen und Verweise angeht, tauchen diese weniger im Comic auf als in den Anhängen: jedes Heft endet mit dem "New Traveller's Almanac", einem Reiseführer, der uns durch unzählige phantastische Orte der Welt führt. Hier konnte Moore jede denkbare Referenz von griechischen Sagen über den Weihnachtsmann bis zu Franz Kafka unterbringen.
Fazit: ein ebenso lesenswertes Werk wie Volume I, das zum Teil düsterer und tiefgründiger ist als die erste Geschichte, aber auch in Sachen Sex und Gewalt deutlich weiter geht. Definitiv für eine andere Zielgruppe gedacht als der Film, der sehr auf junge Popcorn-verschlingende Multiplex-Gänger ausgerichtet ist.
Die US-Heftausgabe wurde vor kurzem abgeschlossen, noch vor Weihnachten 2003 soll ein Hardcover-Sammelband erscheinen. Eine deutsche Ausgabe bei Speed ist in Vorbereitung. tk

Die Produktion
Noch während der Arbeit an der Verfilmung von Alan Moores und Eddie Campbells Comic "From Hell" begeisterte sich Produzent Don Murphy für ein weiteres Comic von Alan Moore, "The League of Extraordinary Gentlemen". Alan Moore schrieb sofort ein Treatment das bei Fox großen Zuspruch fand und James Robinson wurde als Drehbuchautor angagiert.
Robinson, selbst in der amerikanischen Comicszene als Autor von "Starman" bekannt, fühlte sich sehr geehrte, die Arbeiten von Moore zu adaptieren. "Alan hat die beneidenswerte Gabe, bereits existierende Geschichten oder Figuren neu zu erdenken und in einen völlig anderen Zusammenhang zu setzen."
Gedreht wurde der Film hauptsächlich in Praq (teilweise an den gleichen Sets wie "From Hell"), wo zahlreiche Sets aufgebaut wurden, um die Welt der Liga zu erschaffen. Viele dieser Sets fielen allerdings dem Hochwasser im Sommer 2002 zum Opfer. Besonders schlimm betroffen war hier vor allem das Set des U-Bootes von Captain Nemo, der Nautilus, in deren Lagerhalle das Wasser sieben Meter hoch stand.
Interessant sind auch die verschiedenen Techniken, die beim drehen verwendet wurde. Denn während viele Film heutzutage bei Spezial Effekten auf Computertechnik setzen, wurde bei der "Liga" auf alte Tricks wie Matte-Zeichnungen und Miniaturmodelle zurückgegriffen. Und das Monster Mr. Hyde wurde mit einer speziellen IMAX-Kamera gefilt, um ihn größer erscheinen zu lassen.
Anders als die Comicvorlage, die sowohl bei den Kritikern als auch bei den Lesern für Begeisterung sorgte, erhielt der Film wenig Lob und war an den amerikanischen Kinokassen alles andere als erfolgreich. Auch die Leute hinter der Kamera waren wohl nicht sonderlich beeindruckt von ihrem Werk. So gab Regisseur Stephen Norrington, der während den Dreharbeiten angeblich zahlreiche Auseinander- setzungen mit Sean Connery hatte, schon vor erscheinen des Films bekannt, er würde in Zukunft nicht mehr bei großen Hollywood-Produktionen Regie führen. Und auch Alan Moore ließ verlauten, er hätte keine Zeit den Film anzusehen, da er zu beschäftigt sei. fs

Die Figuren
Im Folgenden wollen wir die Figuren des Films, ihre literarischen Vorbilder und ihre Rolle in der Comicvorlage kurz vorstellen.

Allan Quatermain - Der Jäger
Obwohl bei uns vor allem aus den Filmen mit Richard Chamberlain bekannt, entstammt auch Allan Quatermain einer literarischen Vorlage: den Abenteuer- geschichten von Sir Henry Rider Haggard (zum Beispiel "King Solomon's Mines"), die ursprünglich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Heftchenform erschienen. Im League-Comic ist aus dem strahlenden Helden, der exotische Länder erforscht, ein alter opiumsüchtiger Mann geworden, der sich nur widerwillig für ihre Majestät rekrutieren lässt. Im Film dagegen ist Quatermain zwar alt, aber alles andere als greisenhaft. Sean Connery gibt den starken und heldenhaften Anführer der Liga.

Captain Nemo - Der Krieger
Der indische U-Boot-Kapitän taucht in mehreren von Jules Vernes fantastischen Romanen auf (und ab), darunter "20.000 Meilen unter dem Meer" (1869/70). Er dient zwar der englischen Krone, bleibt aber gegenüber der Kolonialmacht England und auch seinen Liga-Mitstreitern skeptisch und misstrauisch. Sein Unterseeboot, die Nautilus, wird zum schwimmenden Hauptquartier der Liga. Im Film ist Nemo ein technisches Genie, das nicht nur die Nautilus, sondern auch etliche High-Tech-Waffen und ein Automobil konstruiert hat.

Mina Harker - Der Vampir
Stammt aus dem Roman "Dracula" von Bram Stoker (1897). Im Roman ist Mina Murray die Verlobte von Jonathan Harker, die eine Romanze mit dem Grafen Dracula beginnt. Besonders bekannt ist diese Figur sicher aus Francis Ford Coppolas Dracula-Verfimung, in der sie von Winona Ryder gespielt wird. Im Comic, der im Jahr 1899 spielt, ist Mina bereits wieder von Jonathan geschieden und trägt wieder ihren Mädchennamen. In der Verfilmung heißt sie jedoch Mina Harker, ist also wohl noch mit Jonathan verheiratet. Weitere Unterschiede: während sie im Comic als Anführerin der League auftritt, gibt sie im Film diese Rolle an Quatermain/Connery ab. Ob sie wirklich ein Vampir ist, wird im Comic stets offen gelassen, im Film dagegen darf sie ihre spitzen Beisserchen zeigen.


Rodney Skinner - Der Unsichtbare
Die Figur des Unsichtbaren stammt aus H.G. Wells' Roman "The Invisible Man" (1897). Hier heißt sie Hawley Griffin und ist ein Wissenschaftler, der mit verschiedenen Mixturen experimentiert und schließlich unsichtbar wird. Er schafft es allerdings nicht, ein Gegenmittel zu finden, das den Vorgang wieder rückgängig machen kann. Aus urheberrechtlichen Gründen stand Hawley Griffin für den Film nicht zur Verfügung, deshalb erfand man Skinner, einen Dieb, der das Serum von Griffin geklaut hatte.



Dorian Gray - Der Unsterbliche
In Oscar Wildes Roman "The Picture of Dorian Gray" (1890/91) ist Dorian ein wunderschöner Jüngling, der von einem Maler porträtiert wird und dessen Wunsch in Erfüllung geht, das Porträt möge ab sofort für ihn altern. Er selbst bleibt für immer jung und schön. Das Werk wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 1970 mit Helmut Berger. Im "Liga"-Film wurde Grays ewige Jugend so interpretiert, dass er unverwundbar und unsterblich ist. Diese Figur taucht im Comic nicht auf, lediglich auf einer Gag-Seite ("Malen nach Zahlen"), die im Anhang des Sammelbands vorkommt.


Tom Sawyer - Der Spion
Tauchte erstmals in Mark Twains Debütroman "The Adventures of Tom Sawyer" (1876) auf. Die Figur wurde von Twain in mehreren Werken weiter verwendet und auch mehrfach zu Filmen, TV-Serien und sogar zu einem Musical verarbeitet. Im "Liga"-Film ist Tom Sawyer erwachsen und wird von Quatermain väterlich betreut und ausgebildet. In der Comicvorlage kommt Tom Sawyer nicht vor, hier besteht die Liga ausschließlich aus Figuren britischen Ursprungs. Die Filmemacher brauchten hier wohl noch eine amerikanische Figur für das US-Publikum.


Dr. Jekyll und Mr. Hyde - Die Bestie
Die berühmte schizophrene Figur aus dem Roman "The Strange Case of Dr. Jekyll & Mr. Hyde" von Robert Louis Stevenson (1886). Dr. Henry Jekyll ist ein schüchterner, blasser Mann, dessen schlechte Seiten sich in der monströsen Figur des Edward Hyde vereinen. Bei großer nervlicher Anspannung verwandelt sich Jekyll in das affenartige Monstrum, das nicht nur furchterregend aussieht, sondern auch äußerst blutrünstig ist. Die Geschichte, die sicher auch Stan Lee zu seinem "Hulk" inspirierte, wurde mehrmals verfilmt.


Links:
ABC-Fan-Page (sehr gute deutsche Fan-Page zu den Comics von Alan Moore)
Jess Nevins' Comic Book Annotations (Ausführliche Anmerkungen zum Comic)
die-liga-der-aussergewoehnlichen-gentlemen.de (offizielle Homepage zum Film)
SPEED Comics (offizielle Homepage von Speed Comics)
Seattle Times (US-Artikel über die Unterschiede zwischen Comic und Film)