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![]() V wie Vendetta
Dass sich das Medium Comic als Quelle für Hollywoodfilme ausgezeichnet eignet wissen Kinozuschauer und Fernseher auf der ganzen Welt. Es scheint überflüssig, die künstlerischen Gewinne oder Verluste zwischen den beiden populären Medien zu reflektieren. Wenn aber der Film dazu beiträgt, die zeitgeschichtlich operierende Gesellschaftskritik des Comics zu tilgen, stellt sich die Frage, in welcher Relation sie zueinander stehen.
Die Filmgeschichte will, dass Regisseur James McTeigue Mitte der 90er Jahre als Assistent bei der Produktion der "Matrix"-Trilogie arbeitete, als ihm die Drehbuchautoren Andy und Larry Wachowski den Comic "V for Vendetta" von Alan Moore und David Lloyd zum Lesen gaben. Sie waren Fans des Stoffes und arbeiteten an einem Skript. McTeigue wollte einen Debütfilm. Wieso es bis 2005 gedauert hat, bis der Streifen produziert war, ist unklar. Wahrscheinlich waren die Wachowskis und McTeigue ununterbrochen bei "Matrix" am machen.
"V for Vendetta" ist eine Comicserie, die von Alan Moore und David Lloyd 1981 begonnen wurde. Wegen Streitigkeiten mit DC Comics verzögerte sich die Produktion erheblich und so wurde sie erst 1989 vollständig veröffentlicht.
Das Faule am neuen Kinofilm ist, dass die Drehbuchautoren Wachowski Bros. ("Matrix") die Relevanz des Stoffes für unsere Gegenwart nach einer dummen zeitlichen Logik von Mitte der Neunziger - das ist der Punkt an dem sie begannen zu schreiben - ungefähr zwanzig Jahre in die Zukunft versetzen. Das ist eine Logik, die der inhaltlichen Vereinfachung dient, aber die Zuschauer für dumm verkauft, weil sie sonst wohl nicht auf den Stoff anspringen würden. Die politisch relevante Geschichte des Neokonservatismus ab Anfang der 80er Jahre wird damit vergessen gemacht. Der Stoff wird "zeitlos" aktuell und kann mit allgemeinen Begriffen wie "Terrorismus", "Gesellschaft" und "Regierung" aufgeladen werden. Vielleicht sollte ich der Fairness halber damit anfangen, dass ich meine Vorurteile gegenüber der V for Vendetta-Verfilmung eingestehe. Alan Moores Comicvorlage ist für mich nicht nur einer der besten Comics, die Moore je geschrieben hat (und bei der generell hohen Qualität von Moores Werken bedeutet das schon einiges), sondern einer der besten Comics im Generellen. Punkt. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Moores Comics in der Vergangenheit doch eher - na, sagen wir mal - mäßig umgesetzt worden sind (League of Extraordinary Gentlemen, irgendwer?), war ich nicht eben davon überzeugt, dass ich diesen Film mögen würde.
Dass die Wachowskis hier kreativen Einfluss hatten, machte die Sache auch nicht gerade besser. Ich gehörte zu jenem Segment der Bevölkerung, das die Wachowskis nach Matrix: Reloaded verteidigt hat und darauf hinwies, dass die Jungs sicher alles im dritten Teil aufklären würden. Nun, mit Matrix: Revolutions haben es die Wachowskis geschafft, mich und die anderen Mitglieder dieses Teils der Bevölkerung effektiv als Deppen zu entlarven. Nach Matrix: Revolutions habe ich so ziemlich jeden Glauben an die Fähigkeit der Wachowskis als Autoren verloren. Und als dann aus der Pre-Production Gerüchte aufkamen, dass zentrale Elemente des Filmes geändert würden (V würde seine Maske abnehmen, England würde ein von den Nazis besetzter Staat sein), da wurde mir in der Tat bang und bänger. Dacht' ich an Vendetta in der Nacht und so...
Von dieser Warte aus betrachtet ist V for Vendetta sicher die bisher gelungenste Adaption eines Alan-Moore-Comics. In vielerlei Hinsicht orientiert sich der Film sehr dicht am Comic. Dichter als ich das für möglich gehalten hätte. Und dafür sollte man ihm, und das will ich hier auch tun, Respekt zollen. V for Vendetta ist, rein filmisch betrachtet, nicht schlecht oder unansehnlich. Ich würde sogar sagen, dass ich den Film weitestgehend unterhaltsam und gut gemacht fand.
Your mileage, however, may vary. Es kommt auch darauf an, wie sehr man mit dem Wachowski-Stil klar kommt. Auch wenn die Gebrüder hier nicht Regie führten, so ist ihr Einfluss auf Vendetta doch klar erkennbar. V for Vendetta ist vom Aufbau her vielleicht am ehesten mit Matrix: Reloaded zu vergleichen. Die Actionszenen sind meist kurz und weit auseinander liegend, dazwischen wird in erster Linie geredet. Der Film ist sehr wortlastig. Dieses Ungleichgewicht zwischen Handeln und Reden, der Wachowski-Touch des Todes, könnte einige Zuschauer abschrecken. Wer also von seinen Comicverfilmungen zünftige Action statt inhaltsschwangerer Dialoge erwartet, der ist mit Sin City besser bedient.
Und der Film hat auch ein paar eindeutige Schwächen. Wie auch schon bei Sin City hat man das Problem, dass einige Dialoge sich verdammt gut lesen lassen, aber in gesprochener Form plötzlich klischeebeladen und ineffektiv wirken. Hier wurde Vs blumige Sprache ohnehin schon stark eingeschränkt, wobei man trotzdem versuchte einige seiner Eigenheiten beizubehalten. Vs Affinität für V-Wörter zeigt sich gleich in seinem ersten Monolog, in dem geVaut wird, als gäbe es kein Morgen. Allerdings passiert es so, dass ein in geschriebener Form sogar koheränter und sinnvoller Monolog plötzlich ziemlich schwer verständlich wird. Das war auch den Filmemachern bewusst, die Ivey darum gleich antworten lassen: "Are you like a crazy person?" Einer der wenige sicheren Lacher des gesamten Films.
Und dennoch hat mich der Film durchaus unterhalten. Ich würde ihn nicht an der Genrespitze einordnen, aber auch nicht im Schlussbereich. Alles in allem war ich sehr positiv von V for Vendetta überrascht, der Film hat mehr aus dem Comic herausgeholt, als ich vorher - besonders nach Alan Moores Gegenkampagne in den letzten Wochen - geglaubt hätte. Aber da war trotzdem dieser nagende Zweifel in meinem Hinterkopf. Irgendwas hatte bei mir, trotz dieser Faktoren, nicht so recht geklickt.
Ein nagender Zweifel, den ich zunächst darauf schob, dass das vermutlich der Teil von mir war, der den Film von vornherein nicht mögen wollte und jetzt frustriert in meinem Oberstübchen herumspukt. Was sogar sein mag. Als ich dann allerdings später noch einmal über V for Vendetta nachdachte, wurde mir bewusst, was mich störte. Ich fand die Politik, die im Film vertreten wurde, schwach und undurchdacht. Und ich möchte im folgenden darlegen, warum ich diese Gedanken vertrete und warum ich glaube, dass das nicht nur einfach trotziger Widerstand gegen jede Veränderung an sich ist, sondern die Geschichte tatsächlich schwächt.
Warnung: Das hier ist ab jetzt keine normale Rezension von V for Vendetta, sondern soll auch als Diskussionsgrundlage für die politischen Themen in dem Film dienen. Als solches habe ich von hier ab kein Problem damit mit Spoilern für Film und Comic um mich zu werfen. Also, noch weniger ein Problem damit als sonst schon. Dies ist die erste und letzte Warnung. Wer nicht gespoilert werden will, der sollte jetzt aufhören zu lesen.
Fangen wir zunächst mit einer kleinen Änderung an: Die Hintergrundgeschichte wurde modernisiert. Das ist an sich nichts Schlimmes. Der Film ist sehr zeitgenössisch und wird möglicherweise schon nach dem Ende der Bush-Administration als veraltet gelten und eindeutig die Zeit reflektieren, in der er entstanden ist, aber das ist nicht zwangsläufig schlecht. Immerhin sind V for Vendetta oder Moores anderes Großwerk aus den Achtzigern, Watchmen, auch ganz klar vom Kalten Krieg beeinflusst und somit auf eine Zeit fixiert, was ihnen ihre Relevanz selbst 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung in keiner Hinsicht nimmt. Es ergibt in der Tat Sinn, dass sich Regisseur James McTeigue und die Wachowskis dazu entschieden haben, den Hintergrund eines begrenzten Atomkrieges in Europa, der nur mit den klaren Machblöcken NATO und Warschauer Pakt funktioniert hätte, gegen Terrorismus mit einem amorphen Hintergrund und biologischen Waffen zu ersetzen.
Dass der Film dabei wirklich zeitgenössisch wirkt, liegt auch daran, dass man sich hier der Bildsprache bedient, die sich regelmäßig in der medialen Aufarbeitung von Terrorismus finden lässt. Wenn Leichensäcke aus einer U-Bahn-Station getragen werden, dann sind das Bilder, die sich vielleicht schon mit dem Sarin-Attentat auf die Tokioter U-Bahn Mitte der Neunziger ins öffentliche Gedächtnis eingebrannt haben (dazu ist als Lektüre übrigens Haruki Murakamis Buch Untergrundkrieg zu empfehlen), die aber spätestens seit den Bombenanschlägen in Lodon am 7. Juli des vergangenen Jahres fest verankert sind. Wenn man dann noch die Erwähnung der aktuellen Schreckensvision "Vogelgrippe" einbaut, dann wirkt der Film automatisch sehr up to date.
Daran ist erstmal nichts auszusetzen. Die Art, mit der das in V for Vendetta geschehen ist, ist dann aber doch ein wenig plump. Der Film versteht sich, zumindest interpretiere ich ihn so, als eine Polemik gegen das Amerika, das sich nach dem 11. September der Welt präsentiert hat. Primär geht es hier also um die Bush-Administration. Auch das ist nicht zu kritisieren, denn es ist nicht von einem amerikanischen Mainstreampublikum des Jahres 2006 zu erwarten, dass es Anspielungen auf eine Thatcher-Regierung im Großbritannien des Jahres 1983 oder 1984 versteht, wie sie im Comic vorkamen. Und es bliebe zu fragen, welche Relevanz so ein Film fast neun Jahre nach der letzten konservativen Regierung im Vereinigten Königreich hätte.
Es ist hier allerdings die Art, mit der die Bush-Kritik geschieht, mit der ich ein Problem habe. Wir haben hier also ein Vereinigtes Königreich, das von einer Gruppe radikal-fundamentalistischer Christen beherrscht wird und dass seine Bevölkerung mit Hilfe von Mr. Prothero, der STIMME, verdummt und unter Kontrolle hält. Mr. Protheros Propagandasendung hat im Film den Sprung vom Radio ins Fernsehen geschafft. Was durchaus sinnvoll erscheint, so lange FOX News der populärste Nachrichtensender der USA ist. Mr. Prothero ist hier eine dünn-verkleidete Karikatur von konservativen Lautsprechern wie Rush Limbaugh, Ann Coulter oder - er dürfte als Hauptvorlage gedient haben - Bill O'Reiley. Allerdings fühlt sich das alles sehr unbritisch an. Man hat das Gefühl, als wenn man hier einfach die USA der Gegenwart etwas radikal weitergedacht hat und das ganze Gelöt dann nach England transportiert hätte. Auch wenn ich verstehe, dass ein amerikanischer Film sich amerikanischer Themen annimmt, ich hätte es durchaus interessant gefunden, wenn hier auch tagesaktuelle britische Politik in irgendeiner Form eingebunden worden wäre.
Wenn das Britischste an einem Film eine kleine Benny-Hill-Einlage in einer fiktiven Fernsehsendung ist, der Film aber trotzdem in England spielen soll, dann hat man zumindest in dieser Hinsicht ein Problem. Besonders, wenn man gleichzeitig ein anderes, jetzt schon in England real spürbares, Element ignoriert: Die Videoüberwachung. In den meisten englischen Städten ist es heute unmöglich von einem Ende der Innenstadt zum anderen zu gehen, ohne dass man dabei konstant auf Video gebannt wird. Die Verbindung dieser "totalen Überwachung" in Zusammenhang mit neuartiger Gesichtserkennungssoftware bereitet Datenschützern schlaflose Nächte. Im Film lässt sich davon nichts finden. Da fährt der Staat zwar mit Abhörgeräten durch die Straßen und belauscht seine Bürger, gleichzeitig können kleine Mädchen aber relativ unbehelligt Graffitis an Häuserwände sprühen? Eher unwahrscheinlich.
Aber das ist eigentlich eine Kleinigkeit, wie gesagt. Der Film hat, trotz seiner 132 Minuten Länge, nicht die Zeit, um sich in einer ausführlichen, gemächlich vorgetragenen Kritik an den Regierungen Bush und Blair zu ergehen. Also sei es ihm mal nachgesehen, dass seine Repräsentation der aktuellen politischen Verhältnisse eher holzhammerhaft und ungelenk ist. Es gibt aber ein anderes Element, bei dem dann mein tatsächliches Problem mit dem Film beginnt: Der Abwesenheit von Anarchie in jeder Form.
V, in Moores Comic, war ein politischer Anarchist, also jemand der den Theorien von Bakunin oder Kropotkin folgte. Das ist eine politische Position, mit der man übereinstimmen kann, aber nicht muss. Moore selbst hat in einem Interview mit Heidi McDonald gesagt, dass er bewußt die beiden extremen Pole des politischen Spektrums, Anarchie und Faschismus, gewählt hat. Gleichzeitig, und das war einer der Gründe für Moores Weigerung mit dem Film assoziiert zu werden, wird in der Zelluloidversion des Stoffes jeder Kommentar der auf ein anarchistisches Weltbild hindeutet, aussortiert. In Moores Worten, der Film, ersetzt diese Anarchie durch die Debatte "zeitgenössischer amerikanischer Neo-Koservatismus gegen zeitgenössischer amerikanischer Liberalismus". Das war so in dem Skript, das man Moore zusandte, das ist auch so im fertigen Endprodukt.
Solange V an eine radikale politische Philosophie gebunden ist, ist er diskutabel. Man muss V in Moores Comic nicht als Helden empfinden. Es fällt nicht schwer, wohl gemerkt, immerhin kämpft er gegen ein System, das ethnische Säuberungen betreibt und Konzentrationslager unterhält, aber er bleibt ein moralisch fragwürdiger Charakter. Das wird besonders am Ende des Comics deutlich. V, als Anarchist, fordert die Bevölkerung auf, dass sie sich kein System aufzwingen lassen soll, sondern für sich selbst entscheiden müsse. Er zerstört das bisherige System, damit aus den Ruinen seine Idee einer perfekten, anarchistischen Gesellschaft erwachsen kann. Dabei ist er durchaus doppelzüngig.
Aber im Film, bei konstantem Verzicht auf die Erwähnung von Anarchie, wird dieses moralisch fragwürdige Element verwässert. Der Fim-V ist nicht mehr gegen jede Form von Regierung, er ist gegen die aktuelle, faschistische Regierung. Er will nicht Ordnung ohne Regeln, sondern Regeln die vom Volk ausgehen. Wo der Film-V sagt, dass Regierungen vor ihrem Volk Angst haben sollten, und nicht umgekehrt, da würde der Comic-V widersprechen: "Nein, es sollte gar keine Regierungen geben!"
Der Film-V ist so gesehen ein waschechter Demokrat. Und das macht es schwer gegen seine Position und Taten zu argumentieren. Das zeigt sich auch daran, dass der Großteil der Kritik von denen kommt, die sich hier angegriffen fühlen: Erzkonservative und fundamentalistische Christen. Für den Rest ist es leicht Vs Ideen zuzustimmen. Immerhin, was tut er denn: Er bekämpft ein faschistisches Regime und gibt dem König Volk seine Stimmgewalt zurück. Freedom, liberty and the American way. V ist hier schon relativ eindeutig der Gute, bevor er etwa ein TV-Studio in die Luft sprengt, lässt er eine große Zeitbombe zurück und genug Zeit auf dem Counter, damit das TV-Studio geräumt werden kann.
Hier stimmt die Aussage, dass der Terrorist des Einen, der Freiheitskämpfer des Anderen ist. Der Film-V repräsentiert nicht den Terror einer Al-Quaida, IRA oder ETA, er repräsentiert die Art Terrorismus, der sich General Washington im Unabhängigkeitskrieg gegen den britischen Absolutismus bediente. Und wenn er am Ende den Menschen dabei hilft, die Straßen wieder für sich selbst zu gewinnen, dann braucht man nicht lange darüber diskutieren ob seine Taten nun gerechtfertigt waren oder nicht. V stürzt den Faschismus, bringt aber dabei nicht absolutes Chaos mit sich, wie sein Comic-Konterpart. Kein vernünftiger Mensch würde ernsthaft diskutieren, dass Vs Taten im Film falsch sind.
Und dabei zeigt gerade das Ende, wie wenig der Film dieses inheränte Problem selbst verstanden hat. Nochmal: Nachdem V in der Comicversion die Regierung stürzte, bricht Chaos und Panik aus. Anarchy in the U.K., um dieses unvermeidliche Klischee hier mal anzubringen. Im Film sieht das Ende anders aus. Da verlassen hunderte oder tausende Menschen in London ihre Wohnung um im V-Kostüm in Richtung Parlament aufzubrechen (und ich ignoriere hier den Faktor, dass der Staatsfeind Nummer 1 in der Lage ist sein Kostüm per staatlichem Paketdienst an tausende Haushalte in London zu senden, ohne dass das irgendjemand rechtzeitig bemerkt... scheint ein sehr zahnloser Faschismus zu sein). Man marschiert friedlich. Still. Unbewaffnet. So marschiert die Bevölkerung einer Armee entgegen, die möglicherweise den Schießbefehl erhalten und ein Massaker anrichten könnte. Aber diese Leute praktizieren Ghandis passiven Widerstand. Das hier ist eine orangene Revolution. Eine Massenversion von jener Szene, in der der namenlose Chinese mit den Einkaufstüten sich den anrückenden Panzern vor dem Tian-An-Men-Platz in den Weg stellt. Niemand wird verletzt.
Das ist ein schönes Bild, das zeigt, dass der Film Demokratie, nicht Anarchie zelebriert. Bis man mal darüber nachdenkt: Tausende Menschen folgen den Worten einer charismatischen Persönlichkeit (V) und machen sich sein Symbol (die Guy-Fawkes-Maske) zu eigen. So weit, so gut. Bis man sich klar wird: Das ist nicht Demokratie, das ist Faschismus. Dass alle die gleiche Maske tragen unterstreicht diesen Aspekt noch. Die Leute haben nicht gelernt für sich selbst zu denken oder für sich selbst zu handeln. V schickt ihnen eine Einladung (die Kostüme) und die Bevölkerung nimmt dankend an. Was wenn die charismatische Persönlichkeit nun nicht der demokratische V wäre, sondern - und man verzeihe mir hier den Nazivergleich - Adolf Hitler und sein Zeichen das Hakenkreuz. Dann würde sofort klar, wo das Problem mit diesem Happy End liegt. Das große Glück der Bevölkerung ist, dass V einer der Guten ist. Aber das macht ihre lemminghaftigkeit hier nicht weniger diskutabel. Fight Club war da konsequenter, stellt sich dort doch heraus, dass die "Anarchie" unter dem charismatischen Anführer Tyler Durden tatsächlich direkt in den Faschismus mündet.
Ohnehin, über das Volk sollte man diskutieren. Alan Moore tut dies in seinem Comic, wenn V in seiner Fernsehansprache verkündet:
In der Filmversion erwähnt V zwar, dass die Bequemlichkeit der Bevölkerung ein Problem ist, aber dabei lässt er es dann auch schon bewenden. V ist nicht hier um der Bevölkerung einen Vorwurf zu machen, er ist hier um sie zu erwecken und zu befreien. Das finde ich persönlich problematisch. Ich war froh, dass sich die Idee, dass der Faschismus im Film dadurch enstanden sei, dass die Nazis den Krieg gewonnen haben, als Ente erwies. Denn in dem Moment wäre ein zentrales Element von Moores Kernidee verschwunden: Die Idee, dass Faschismus immer und überall entstehen kann und nicht an bestimmte Gruppen gebunden ist. Die Nazi-Idee hätte das Ganze so aussehen lassen, als wenn England nur durch Fremdeingriff faschistisch werden könnte. Als wenn einige Länder von innen heraus immun wären und nur durch andere Länder mit Faschismus infiziert werden könnten. Und diese Idee lehne ich ab.
Bei Licht betrachtet ist aber die Lösung des V for Vendetta-Films nicht zwangsläufig besser. Zwar hat man hier, wie im Comic, in einer Zeit äußerster Not (im Comic der erwähnte Atomkrieg, hier der erwähnte Terrorismus) eine radikale Regierung legitimiert, was "verständlich" ist, aber anders als im Comic ist die radikale Regierung hier durch Manipulation an die Macht gekommen. Sie selbst hat Bioterrorismus in ihrem eigenen Land praktiziert, dann ein paar Sündenböcke gesucht und als Terroristen denunziert und anschließend in aller Seelenruhe die Wahlen gewonnen und sich mehr und mehr Rechte gesichert. Die Bevölkerung ist hier also nur bedingt schuldfähig, wurde sie doch arglistig betrogen und hätte sich sonst sicher nicht freiwillig zum Faschismus bekehren lassen. Dass diese "Rechtfertigung" äußerst dürftig ist, ist klar. Sie existiert im Film nichtsdestotrotz.
Aber schauen wir uns mal an, was nach dem Wahlsieg der Norsefire-Partei im filmischen England geschah: Wir haben also eine Situation, in der der bloße Besitz eines Korans schon mit dem Tode geahnt werden kann. Wir haben eine Situation, in der die Muslime und die Homosexuellen alle mit der Zeit verschwunden sind. Wir haben eine Situation, in der, wie wir in einigen Szenen sehen, die Bevölkerung sehr wohl weiß, dass sie von ihrer Regierung angelogen und mit Propaganda gefüttert wird. Und trotzdem soll ich glauben, dass die Bevölkerung keine Ahnung davon hat, was mit den Andersgläubigen und den Homosexuellen geschieht? Nicht mal zwangsläufig im konkreten Sinne, aber zumindest ein abstraktes Wissen darüber, dass es nichts Gutes sein kann?
Um mal das Lieblingswort der Filmemacher zu wählen, das oft eingestreut wird, um den Film englischer wirken zu lassen: Bollocks! Totaler Blödsinn.
Vielleicht liegt es an meiner schulischen Erziehung, aber wenn ich aus all den Geschichtsbüchern, den Filmen und den Zeitungsartikeln über das Dritte Reich eines gelernt habe, dann dass zwei Argumente keine Argumente sind: "Wir haben nur Befehle ausgeführt" und "Das konnte ja niemand wissen". Hier ist es das Gleiche. Die Bevölkerung konnte sehr wohl wissen, was da vor sich geht. Ein großer Teil der Bevölkerung muss es zumindest geahnt haben. Wenn man diese Bevölkerung dann zu Opfern stilisiert, die von einer bösen Regierungsoberschicht belogen wurden, dann macht man es sich und der Bevölkerung zu leicht. Ich verstehe zwar, dass ein Hollywoodfilm seinem Publikum nicht zu viel unangenehme Wahrheit an den Kopf werfen will, besonders wenn es seine Botschaft ist, dass die Zuschauer wieder mehr Demokratie wagen sollten, aber in dieser Form ist das äußerst unehrlich.
Und es ist, für meinen Geschmack, ein wenig zu paranoid. V for Vendetta ist so vollgepackt mit Anspielungen auf den Krieg gegen den Terror und das Bush-Amerika, dass wir das Paket entweder ganz oder gar nicht akzeptieren. Ich plädiere hier für ganz. Die faschistoide Regierung hat ihre Gesetzgebung darauf gefußt, dass sie nach einem Akt des Terrorismus konsequent handeln muss um die Bevölkerung zu schützen. Mit der selben Argumentation rechtfertigt das konservative Amerika Guantanamo Bay und Abu Ghreib, den Patriot Act und das Abhören von Telefongesprächen durch die NSA. Nur: Im Film besteht keine reale Gefahr. Es gibt keine Terroristen, aller Terror geht vom Staat selber aus.
Wenn es keine reale Gefahr gibt, dann gibt es noch weniger über das man in Anbetracht von Vs Taten diskutieren müsste. Wenn es keinen realen Terrorismus gibt, dann sind all die Maßnahmen der Faschisten natürlich unsinnig, böse und sollten von V gestoppt werden. Nur, übertragen auf die reale Situation passt das Bild nur noch bedingt. Natürlich gibt es die Theorien, dass die Anschläge auf das Pentagon, das World Trade Center und den Nahverkehr in Barcelona und Lodon von den jeweiligen Regierungen selber ausgeführt wurden, um ihre Politik zu legitimieren. Überzeugende Beweise habe ich dafür aber noch nicht gesehen. Und nach dem, was wir wegen dänischen Mohammed-Karikaturen gesehen haben, ist es schwer zu argumentieren, dass die Gefahr des extremistischen Islamismus nur eingebildet, aber nicht real wäre. Wenn es diese Gefahr tatsächlich nicht gäbe, dann wäre die Aussage von V for Vendetta sehr richtig. Aber die Welt in der wir leben ist nunmal so kompliziert, dass der breite Strich, mit dem die Wachowskis und McTeigue hier malen, nicht passt. In der realen Welt muss eine Balance zwischen begründeten Sicherheitsinteressen und Schutz vor der Konzentration von Macht in einer Hand gewahrt werden. Auch das ignoriert der Film.
In vielen anderen Belangen ist mir V for Vendetta dann ebenfalls zu unsubtil. Das geht schon mit dem obersten Faschisten, Mr. Sutler, los. Nun war schon Alan Moores Faschistenchef Mr. Susan in vielerlei Hinsicht eher eine schwache Karikatur denn eine reale Persönlichkeit. Aber der Name Sutler ist halt doch bezeichned für die politische Linie des Films. V for Vendetta möchte subtil und intelligent sein, kommt aber in diesem Feld zu oft als undurchdacht, simplistisch oder holzhämmernd rüber. Alan Moores Mr. Susan + Adolf Hitler = Mr. Sutler. Subtiler politscher Humor sieht anders aus.
Auch ließ Alan Moore Guy Fawkes nie so gut wegkommen, wie dies der Film konsequent tut. Im Comic wird Guy Fawkes kaum erwähnt. Um nochmals das Alan-Moore-Interview zu bemühen: "Und [die Filmemacher] blasen das Guy-Fawkes-Ding viel zu sehr auf. Guy Fawkes war kein Freiheitskämpfer, er war ein religiöser Fanatiker." V trägt zwar im Comic die Guy-Fawkes-Maske, aber er repräsentiert nur die grundsätzliche Idee von Guy Fawkes, dass man einen Regierungswechsel durch Gewalt erzwingen kann, nicht Fawkes religiösen oder philosophischen Hintergrund. Im Film allerdings wird der Fall so präsentiert, als wäre V ein moderner Guy Fawkes, als hätten beide für das Selbe gestanden. Da wird dann plötzlich Guy Fawkes in den selben Kontext gerückt wie V. Ein Mann, der sich, allen Umständen zum Trotz, gegen die Diktatur und für die Freiheit ausgesprochen hat. Das Fawkes sich nur eine andere Form der Diktatur wünschte, wird geflissentlich verschwiegen, weil es nicht in den politischen Kontext des Filmes passt. Die Tatsache bleibt aber trotzdem: Guy Fawkes war kein Georg Elser. Was der Film hier zeigt ist Geschichtsklitterung.
Dass Evey am Ende des Films erwähnt, dass sie sich an den Mann V erinnern wird, den sie geliebt hat, während alle anderen sich an die Idee V erinnern, stößt mir auch leicht säuerlich auf. Einmal, weil V im Comic kein wirklicher Mensch ist. Er hat sich selbst entmenschlicht, so dass am Ende nur noch die Ideologie besteht. V ist der personifizierte Anarchismus. Darum ist es, obwohl es spaßig sein mag, müßig zu mutmaßen, wer V unter seiner Maske war. Es ist nicht von Belang. Wenn Evey sich nun in V verliebt und am Ende, anders als im Comic, nicht seinen Mantel und seine Guy-Fawkes-Maske selber trägt, dann verändert das den Fokus. Wenn Evey im Comic die Maske aufsetzt, dann hört in diesem Moment Evey Hammond auf zu existieren. Nur die Idee der Anarchie existiert jetzt noch (wobei der erste V den destruktiven Part der Anarchie verkörperte, während dieser zweite V nun die Auferstehung aus den Ruinen verkörpert).
Letzten Endes, so Evey, gab man der Bevölkerung Hoffnung. Ich wage zu bezweifeln, dass das reicht. Die Bevölkerung im Film hat mir zu keinem Zeitpunkt gezeigt, dass sie in der Lage ist ihr eigenes Schicksal zu kontrollieren. Sie verfällt einem starken Mann (Sutler) und ignoriert danach all die Ungerechtigkeiten, die unter der neuen faschistischen Regierung entstehen. Irgendwann hat sie dann genug von Sutlers Staat und folgen nun einem neuen starken Mann (V) und dessen Ideologie. Aber zu keinem Zeitpunkt im Film denkt die Bevölkerung wirklich für sich selbst oder handelt aktiv, um einen Wechsel herbeizuführen (mit der Ausnahme des schwulen TV-Moderators Gordon). Mir ist nicht klar, wie darauf eine bessere Zukunft basieren sollte. Wenn V fort ist, dann wird sich die Bevölkerung sofort dem nächsten charismatischen Führer an den Hals werfen.
Fazit:
Aber als Film, der sich nun einmal auch als politischer Kommentar versteht, muss sich V for Vendetta auch Fragen in dieser Hinsicht gefallen lassen. Und da scheitert er dann eben doch. Seine politische Linie ist verwässert, zahnlos und an vielen Stellen undurchdacht oder inkonsequent.
V for Vendetta ist weder wirklich bissige Gegenwartskritik noch ist der Film so radikal oder aufrüttelnd, wie er sich gibt. Und subversiv ist V for Vendetta schon gar nicht. Wenn es die Kommentatoren aus dem konservativen Spektrum nicht gäbe, dann würde der Film auch keine große Debatte über Inhalte oder Ideologien auslösen, denn von beidem lässt sich, wenn man genau hinsieht, erstaunlich wenig hier finden. Es sei denn die Aussage "Diktatur ist schlecht, Eigenständigkeit ist besser" gilt inzwischen als radikale Theorie.
In dieser Hinsicht dürfte der V for Vendetta-Film zwar Fans von Mr. Moore dann doch durchaus ansprechen. Gemeint ist hiermit allerdings Michael, nicht Alan.
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