American Splendor

USA 2003, Regie und Drehbuch: Shari Springer Berman & Robert Pulcini, Hauptdarsteller: Paul Giamatti (Harvey Pekar), Hope Davis (Joyce Brabner), James Urbaniak (Robert Crumb), Judah Friedlander (Toby Radloff), James McCaffrey (Fred), Madylin Sweeten (Danielle), Robert Pulcini (Bob The Director), Harvey Pekar, Joyce Brabner, Toby Radloff, Danielle Batone

Der Undergroundcomiczeichner Harvey Pekar erzählt von seinem Leben, wie er seine Frau gefunden hat, zum Stammgast bei David Letterman wurde und die Krebsbehandlung durchstand.

"American Splendor auf DVD
"American Splendor" als UK-Import auf DVD

Inhalt:
Harvey Pekar ist File Clerk in einem Krankenhaus in Cleveland und nicht sehr glücklich mit seinem Job. Als er in den Siebzigern gesundheitliche Probleme mit seiner Stimme bekommt, verlässt ihn auch noch seine zweite Frau.
Auf einem Flohmarkt lernte Harvey Jahre zuvor über einen Bekannten den Comiczeichner Robert Crumb kennen und durch ihre gemeinsame Leidenschaft für Comics und Platten wurden beide gute Freunde, bis Crumb aus Cleveland zog und in seiner neuen Heimat ein großer Comicstar wurde. Als Crumb Harvey nun mal wieder in Cleveland besucht, zeigt Harvey ihm einige Entwürfe für ein autobiografisches Comicheft. Sehr angetan von Harveys Entwürfen bittet Crumb darum, den Comic zeichnen zu dürfen und bald darauf erscheint die erste Ausgabe von Harveys eigener Comicreihe "American Splendor".
Joyce Brabner gehört ein Comicladen in Delaware, und als ihr Kollege das letzte Exemplar ihrer Lieblingsserie "American Splendor" verkauft, schreibt Joyce Harvey, um ein neues Exemplar zu erhalten, da sie die lange Wartezeit beim Vertrieb nicht abwarten möchte. Zwischen Harvey und Joyce entwickelt sich zunächst eine Brieffreundschaft, dann telefonieren sie häufig miteinander und er lädt sie zu sich nach Cleveland ein, wo sie nach wenigen gemeinsamen Stunden beschließen zu heiraten. Schon bald nach der Hochzeit ist Harvey immer unzufriedener damit, dass Joyce sich für nichts zu begeistern scheint und den ganzen Tag im Bett verbringt. Inzwischen erlangt "American Splendor" immer mehr Ruhm (auch wenn Harvey weit davon entfernt ist, seinen Job im Krankenhaus dafür aufgeben zu können), und Harvey wird sogar in die Sendung von David Letterman eingeladen, wo er mit seiner grimmigen Art so gut ankommt, dass er schnell zum Stammgast wird. Obwohl er sich darüber im Klaren ist, dass sich dort alle über ihn lustig machen, besucht er die Sendung immer wieder, um sein Comic zu bewerben.
Mit der Zeit kommt Joyce auf die Idee, einen politischen Comic zu machen und reist zu Recherchen nach Jerusalem. Während Joyce weg ist, wird Harvey ohne sie wieder sehr depressiv, und bei einem erneuten Auftritt bei Letterman legt er sich mit dem Showmaster an und sorgt für einen kleinen Skandal.
Als Joyce zurück ist, fällt ihr eine kleine Beule an Harveys Unterleib auf, die Harvey während ihrer Abwesenheit auch schon entdeckte, aber eher verdrängte. Im Krankenhaus stellt sich die Beule als Krebstumor heraus. Um die Chemotherapie für Harvey erträglicher zu machen schlägt Joyce vor, aus seinen Erlebnissen wieder ein Comic zu machen und lädt für die Zeit seiner Behandlung den Zeichner Fred und dessen Tochter Danielle, mit der sich Joyce sehr gut versteht, zu sich ein. Nach einigen Monaten hat Harvey die qualvolle Therapie dann auch tatsächlich überstanden, und der Comicband "Our Cancer Year" erscheint. Inzwischen hat sich Danielle so bei Harvey und Joyce eingelebt, dass sie sie von nun an als ihre eigene Tochter aufziehen. Zu guter Letzt wird Harvey dann, nach all den Jahren als File Clerk, pensioniert.

Erwähnenswert:
Bei dem Film über Robert Crumb, den Harvey erwähnt, handelt es sich um den Dokumentarfilm "Crumb" von 1994.


1. Kommentar:
Der Film ist in der ersten Hälfte etwas träge und fast ein bisschen melancholisch, bis Harvey Joyce kennenlernt und es in einigen wenigen Filmminuten plötzlich einen Lacher nach dem anderen gibt (und genau aus diesen paar Minuten wurde der Trailer zusammengeschnitten, so dass ich eher eine Komödie erwartete). Und als Joyce nach Jerusalem fährt, ist alles ganz schnell wieder düster. Auch der Schluss des Films, mit Aufnahmen von der Abschiedsfeier zum Ruhestand des echten Harvey wirkt etwas seltsam und lässt einen richtigen Abschluss fehlen. Insgesamt ist dieser Film sowieso irgendwie nicht so ganz eindeutig. Er wechselt ständig zwischen dem gespielten und dem echten Harvey, wobei auch letzterer teilweise zu spielen scheint. Man war sich wohl nicht so ganz einig, ob man die American-Splendor-Comics verfilmen, eine Dokumentation mit Interviews über Harvey Pekar machen oder einen Film über die American Splendor-Verfilmung selbst drehen wollte. So richtig geklappt hat das alles nicht (besonders die Szenen aus der letzten Kategorie, die allesamt mit ein Paar Requisiten vor einem weißen Hintergrund spielen, wirken meiner Meinung nach viel zu konstruiert und völlig fehl am Platz). Und ich finde Comicoptik in Filmen immer äußerst problematisch. Bei Comicverfilmungen neigen Filmemacher dazu, Comicstilmittel wie Panel, Sprech- und Denkblasen und so weiter zu verwenden, ohne sich darüber im klaren zu sein, dass diese Dinge im Comic eine bestimmte Funktion haben, die im Film aber von ganz anderen Sachen erfüllt werden. So wirkt das oftmals etwas gezwungen und deplaziert (das beste Beispiel sind wohl "Tank Girl" und "Hulk"). In diesem Film klappt es zwar meistens relativ gut, aber manchmal eben auch nicht immer (beispielsweise die Szene, in der Harvey an der Kasse hinter einer alten jüdischen Dame wartet. Da taucht dann in einer Denkblase eine Animation von Harveys Comickonterfei auf.) Dass der Film trotz all seiner Probleme ganz gut geworden ist, ist wohl vor allem Hauptdarsteller Paul Giamatti zu verdanken, der eine wirklich gute Leistung abliefert und Harveys bedrückendes Leben und seine deprimierte Einstellung sehr gut darstellt. Auch wirklich toll sind die Figuren im Film, vor allem weil sie halt alle etwas seltsam sind. Zum Beispiel Harveys Kollege Toby, der ein bekennender Nerd ist (und sogar mal seine eigene MTV-Sendung hatte) und natürlich Joyce, die im Film für viel Humor sorgt und deren Gespür für Psychosen man fast als Superkraft bezeichnen könnte. Trotzdem, nachdem dieser Film so mit Preisen überschüttet wurde (Gewinner beim Sundance Filmfestival 2003, International Critic's Award in Cannes), hatte ich irgendwie mehr erwartet. fs

Bewertung:


2. Kommentar:
It’s Halloween and it’s trick or treat time. Und da stehen sie aufgereiht: Superman, Batman, Robin, Green Lantern und…. Harvey Pekar.
„Harvey Pekar… it doesn't sound like a superhero to me.“
Das gequälte Gesicht des kleinen Jungen gibt Auskunft:
„I’m no superhero lady, I’m just a kid from the neighbourhood, alright?”
Dann wird ihm das Ganze zu blöd, und er geht von dannen. „Why does everybody have to be so STUPID“ sagt Harvey vor sich hin, während er gesenkten Kopfes die Strasse entlang läuft.

Diese Einführungsszene ist nicht nur hinreißend inszeniert, sie erfüllt auch ihre Funktion auf ganz hervorragende Weise. Denn darum wird sich der ganze Film drehen. American Splendor handelt vom amerikanischen Leben im Abseits, von einer schrägen Existenz, die sich vorgefertigten Lebensläufen erwehrt. Der darauf folgende Title-Trailer macht uns damit vertraut, dass es sich hier darüber hinaus um eine interessante Auseinandersetzung mit dem Medium Comic innerhalb des Mediums Film handeln könnte, eben auch mal jenseits von plakativen Superhelden-Nacherzählungen. Während dort die Herkunft des umgesetzten Stoffes für Nicht-Kenner oft lediglich am Copyright-Hinweis ablesbar ist, führen uns die Regisseure Berman und Pulcini auf einfach geniale Weise in ihr vielschichtiges Zwittermedium ein. Die Kamera fährt in Comiclesart Seiten ab, und in den Panels sieht man Harvey, den Schauspieler, durch die Heimat des echten Harvey, Cleveland (of Swing-State Ohio fame), laufen, während Harvey, der Comicheld, bereits an seiner filmischen Umsetzung herummäkelt. Gezeichnet, gefilmt und aus dem Gefilmten über ein Foto-Standbild wieder in die Zeichenebene übergeführt. Identity Crisis? You bet.

Die Panelebene wird verlassen, wir tauchen in die Filmebene ein. Während er also durch die kaputten Straßenkulissen läuft und miesepetrig dreinschaut, taucht eine krächzende Off-Stimme auf und führt ihn ein, den Loser-Harvey, der immer nur Shit-Jobs und ein Shit-Leben im Allgemeinen hat(te). Wir werden davor gewarnt, hier irgendwelche eskapistische Fantasieerzählungen zu erwarten - und boom!
Plötzlich sind wir in einem Nachvertonungs-studio. Es war also Harveys Originalstimme, und wir sehen ihn mit aufgesetzten Kopfhörern den Off-Text einsprechen. Im Hintergrund sieht man den angeblichen Tonmann, dazwischen werden veraltete Aufnahmegeräte und Kompressoren geschnitten, teilweise im Bluescreen-verfahren als Ebenen eingebaut. Filmhandwerk, nostalgisch, symbolisch. Ein konstruiertes Studio, ebenso stilisiert wie Comics die Realität stilisieren, wie Filme den Comic stilisieren. Aus dem Off (und wieder ein Off) hört man Regieanweisungen, und es wird ein Drink reingereicht, zur Erfrischung bevor es weitergeht mit American Splendor, dem Film, dem Comic, dem Dokumentarfilm. Genre Crisis? You bet.

Allein diese ersten fünf Minuten verdienen alle Innovationspreise, die es für Film geben kann. Dass im Anschluss noch ein absolut hinreißend gespieltes und inszeniertes amerikanisches Biographie-Drama folgt, mit einem hinreißenden Jazz-Score und hinreißenden Brüchen, Ideen, Dialogen und mit viel Irrsinn…. Ich schätze, das macht dann ein Meisterwerk aus. Ein Meisterwerk, das sich, ganz im Sinne seines Stoffes, unkonventionell-verschroben am Mainstream vorbeimogelt und sich in seiner Nische einnistet. Wo diese nun letztendlich beheimatet ist, liegt dann im Auge des Betrachters. Ebenso, inwieweit man davon berührt wird.
Ach, gäb’s doch nur mehr von solchen Filmen. Cristian Straub

Bewertung:


Links:
Amazon.de: American Splendor (die Comicvorlage von Pekar bei Amazon)
Amazon.de: Our Cancer Year (Pekars Comic "Our Cancer Year" bei Amazon)
American Splendor movie.com (die offizielle US-Homepage zum Film)
Harvey Pekar.com (die offizielle, englische Homepage von Harvey Pekar)