Freunden
abgründiger Comic-Kultur dürfte der Name Andreas Marshall nicht
gänzlich unbekannt sein, sind die Cover-Arbeiten für das "Menschenblut"-Comic-Magazin
vom Verlag Schwarzer Turm des ehemaligen Malers/Illustrators mittlerweile
legendär und gaben schon damals eine Kostprobe von seinem Faible
für rüde Ideen kombiniert mit beeindruckendem Handwerk. Kein
Wunder also, dass u.a. schon Buttgereit seine Kunst für die "Nekromantik"-Cover
in Anspruch nahm...
Später arbeitete Marshall verstärkt im Filmgeschäft, u.a.
als Cutter für "Soweit die Füsse tragen", drehte Industrie-Filme
und Musikvideos und gab mit der "Jungmutation" "Der Kali-Prozess"
ein großes Versprechen, das an die Qualität seiner Gemälde
anknüpfte.
Jahre später
greift Marshall die Kali-Idee wieder auf, um mit ihr sein Spielfilm-Regie-Debüt
zu umrahmen. "Tears of Kali" erzählt drei unterschiedliche
Episoden, die alle ihren Ursprung in eine mysteriöse indische Sekte
haben. Der Film beginnt einer kurzen Einführung der "TaylorEriksson
Group", die in den frühen Achtzigern als Kommune bzw. Selbsterfahrungsgruppe
für psychisch labile Menschen diente, in denen auch gerne mal radikaler
mit der Selbstfindung experimentiert wurde.
Einer Opium-Höhle gleich begleitet der Zuschauer den charismatischen
Sektenführer Eriksson (toll: Peter Martell) durch ein vernebeltes
"Sitzungs"-Zimmer zu einem Schützling, der ihm offenbar
sehr am Herzen liegt. Wer sich mit deutschen Amateur-Filmen etwas auskennt
erkennt sofort den Grund: bei dem zusammengekauerten schwitzenden Körper
am Boden handelt es sich um Anja Gebel, die sich seit geraumer Zeit mehr
oder weniger bekleidet durch die deutsche Low-Budget-Produktionen u.a.
von Timo Rose schlägt. Doch im Gegensatz zu "Space Wolf"
oder "Rigor Mortis" wird die Blondine zwar wieder nackt, diesmal
aber äusserst gekonnt in Szene gesetzt. Sie dankt es mit einer Kostprobe
gelungenem Schauspiel und dem kompromisslosen Einsatz einer Nagelschere.
Die drogenbetäubte Frau will "der Dunkelheit entfliehen",
schnippelt sich dazu rigeros die Augenlider ab und schon sind die Weichen
für den weiteren Verlauf des Films gestellt. Während sich Anja
in "Rigor Mortis" ebenfalls im Gesicht rumwursten liess, verlässt
sich Marshall nicht nur auf den schnöden Latex-Effekt, sondern kommt
deutlich subtiler und deswegen weitaus eindringlicher daher. Abgeblendet
wird zwar ebenfalls nicht, dafür produzieren äusserst spannende
und prima getimte Einstellungen eine bohrende Intensität, die eigentlich
auch nur in der zweiten Episode des Films wieder erreicht wird. Ein *äusserst*
vielversprechender Opener!
Da die Inder
für alles mögliche einen Gott bzw. Göttin haben ist es
nicht schwer, jede der drei recht unterschiedlichen Episoden mit einen
passenden Götternamen zu betiteln...here we go:
Shakti...
Die
Journalistin Tansu Yimaz recherchiert in einer Psychatrie über den
Mord an das Sekten-Mitglied Samarfan. Insassin Elisabeth Steinberg provoziert
durch ihre Unkooperativität die Erkenntnis, dass die Gründe
für das Interesse der Reporterin an dem Mord weit über das berufliche
Maß hinaus gehen...
Kammerspielartig
und bedächtig strickt die Regie den Aufbau um das Schicksal der beiden
Frauen. Bei einer Achterbahnfahrt folgt auf eine fursiose Talfahrt für
gewöhnlich eine ruhige Strecke zum Schwung- und Luftholen - so auch
hier. Die beiden Darstellerinnen spielen ordentlich und die Geschichte
wird recht konventionell erzählt, sporadisch unterbrochen von kurzen
Rückblenden in Form von Super8-Aufnahmen. Auch in diesem begrenzten
Raum findet Marshall spannende Bilder, überspannt jedoch nie den
Bogen, sondern ordnet sich der Geschichte unter, die im Verlauf der halben
Stunde immer mehr Drive bekommt. Das Drama endet mit einem verzweifelten
Selbstmord, der Fans vom ersten "Evil Dead" verzücken lassen
dürfte und wenn im Fahrstuhl die Hölle losbricht wird der Film
zwar recht plakativ, ist filmisch aber bestmöglich umgesetzt. Hier
muss man auch mal ein Lob an den Kameramann loswerden, der wirklich das
Maximum aus der DV-Kamera rausholt...große Klasse!
Keine Ahnung ob Marshall Argento zitieren wollte, aber ähnlich unangenehm
wie schon in "Phenomena" fällt hier der Einsatz von Heavy-Metal-Mucke
auf. Vielleicht wollte er alten Bekannten aus Cover-Maler-Tagen damit
einen Gefallen tun, es wirkt trotzdem deplaziert und stellt im Kontext
der ausgeklügelten Inszenierung einen echten Störfaktor dar.
Devi...
Robin
- glatzköpfiger Hooligan - befindet sich im Resozialisierungs-Programm
von Dr. Steiner - Taylor-Eriksson Group-Absolvent. Nach einer Attacke
des Therapeuten auf den Skin erwacht dieser wieder im weiträumig
mit Folie abgedeckten Behandlungszimmer...ein Schelm, wer Böses dabei
denkt...
Die eindeutig
beste der drei Episoden! Der Aufbau und die Charaktere werden nur kurz,
dafür pointiert umrissen und man leistet sich dabei sogar humoristische
Züge. Marcel Trunsch spielt den Halbstarken überaus gekonnt
und verleiht ihm sogar eine sympathische Note - det berlinern klingt für
niederrheinische Ohren halt immer wieder amüsant...
Nach dem Übergriff des Therapeuten ist allerdings Schluss mit Lustig!
Dr. Steiner hat sich in der Sekte eine interessante Art der Hypnose angeeignet
und kann damit Menschen durch eine bestimmte Massage "programmieren",
so dass er dem Körper eines Patienten seinen Willen aufzwingen kann,
nicht aber seinem Geist. So ist Robin ausgeliefert seine achtlos erwähnte
Floskel, dass er aus seiner Haut wolle, höchst physisch mit einem
Teppichmesser, bei vollem Bewusstsein und gegen seinen eigentlichen Willen
in die Tat umzusetzen.
Holla! Die spannende Grundidee ist aussergewöhnlich umgesetzt und
obwohl der Umstand der Selbstverstümmelung schnell in naiv-plakative
Schweinerei ausarten kann, setzt Marshall wie schon im Opener nicht nur
auf den schnellen Effekt, sondern vorrangig auf seine Darsteller und eine
ausgefeilte Kamera-Arbeit, die das Finale der Episode zum berühmten
Schlag in die Magen-Grube machen. Das Highlight! Und es dürfte den
Ittenbach-Fanatikern die Tränen in die Augen treiben, was man mit
guten Effekten *und* einer geschickten Inszenierung aus diesem Plot alles
rausholen kann...*so* wird's gemacht!
Kali...
Zum
Finale gibt's dann leider die schwächste Episode. Natürlich
birgt auch diese Story um den angeblichen Wunderheiler Edgar Cornelsen
(immer wieder gern gesehen: Mathieu Carrière), der eine Teilnehmerin
der Sekte in einer Sitzung von einem bösen Geist befreit, der sich
natürlich nicht einfach so auflösen möchte, ein hohes Niveau!
Marshall nimmt sich da etwas zurück und zitiert ausgiebig "Haunted-Hill"-Haus-
und asiatischen Horror, inszeniert dazu auch sehr versiert einige spannende
Actionszenen - auch wenn wieder diese unsägliche Metal-Krach eingesetzt
wird - aber im Grunde bleibt die Episode etwas belanglos und uninspiriert.
Da der deutsche
Horrorfilm kaum Aussergewöhnliches zu bieten hat, kann man bei "Tears
of Kali" im Fazit unumwunden von der einsamen Perle seiner Gattung
sprechen. Handwerklich stimmt einfach alles - dicht erzählt, tolle
Bilder, der Schnitt sitzt, lediglich der Sound fällt bei den beiden
Metal-Einlagen aus dem Rahmen, aber das macht die Qualität des gesamten
Films natürlich nicht zunichte. So recht mag man den Film gar nicht
als Vergleich zum deutschen Amateur- bzw. Independent-Film herhalten,
aber wenn man sieht was Ittenbach mit ähnlichem Aufwand produziert
wird man sich wieder bewusst, dass guter Horror mehr ist als einen Kübel
Film-Blut über Latex-Masken zu kippen. Guter Horror arbeitet mit
allen Mitteln - Marshall weiss das und nutzt den Umstand weidlich. Dafür
Höchstpunktzahl!
Karsten
Schreurs
|