Tears of Kali
Daten
Originaltitel:
Blut für die Götter
Herstellungsland: Deutschland
Erscheinungsjahr: 2004
FSK

ab 18 Jahre

Regie: Andreas Marshall
Darsteller: Adrian Topol, Anja Gebel, Mathieu Carrière, Peter Martell

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Freunden abgründiger Comic-Kultur dürfte der Name Andreas Marshall nicht gänzlich unbekannt sein, sind die Cover-Arbeiten für das "Menschenblut"-Comic-Magazin vom Verlag Schwarzer Turm des ehemaligen Malers/Illustrators mittlerweile legendär und gaben schon damals eine Kostprobe von seinem Faible für rüde Ideen kombiniert mit beeindruckendem Handwerk. Kein Wunder also, dass u.a. schon Buttgereit seine Kunst für die "Nekromantik"-Cover in Anspruch nahm...
Später arbeitete Marshall verstärkt im Filmgeschäft, u.a. als Cutter für "Soweit die Füsse tragen", drehte Industrie-Filme und Musikvideos und gab mit der "Jungmutation" "Der Kali-Prozess" ein großes Versprechen, das an die Qualität seiner Gemälde anknüpfte.

Jahre später greift Marshall die Kali-Idee wieder auf, um mit ihr sein Spielfilm-Regie-Debüt zu umrahmen. "Tears of Kali" erzählt drei unterschiedliche Episoden, die alle ihren Ursprung in eine mysteriöse indische Sekte haben. Der Film beginnt einer kurzen Einführung der "Taylor–Eriksson Group", die in den frühen Achtzigern als Kommune bzw. Selbsterfahrungsgruppe für psychisch labile Menschen diente, in denen auch gerne mal radikaler mit der Selbstfindung experimentiert wurde.
Einer Opium-Höhle gleich begleitet der Zuschauer den charismatischen Sektenführer Eriksson (toll: Peter Martell) durch ein vernebeltes "Sitzungs"-Zimmer zu einem Schützling, der ihm offenbar sehr am Herzen liegt. Wer sich mit deutschen Amateur-Filmen etwas auskennt erkennt sofort den Grund: bei dem zusammengekauerten schwitzenden Körper am Boden handelt es sich um Anja Gebel, die sich seit geraumer Zeit mehr oder weniger bekleidet durch die deutsche Low-Budget-Produktionen u.a. von Timo Rose schlägt. Doch im Gegensatz zu "Space Wolf" oder "Rigor Mortis" wird die Blondine zwar wieder nackt, diesmal aber äusserst gekonnt in Szene gesetzt. Sie dankt es mit einer Kostprobe gelungenem Schauspiel und dem kompromisslosen Einsatz einer Nagelschere. Die drogenbetäubte Frau will "der Dunkelheit entfliehen", schnippelt sich dazu rigeros die Augenlider ab und schon sind die Weichen für den weiteren Verlauf des Films gestellt. Während sich Anja in "Rigor Mortis" ebenfalls im Gesicht rumwursten liess, verlässt sich Marshall nicht nur auf den schnöden Latex-Effekt, sondern kommt deutlich subtiler und deswegen weitaus eindringlicher daher. Abgeblendet wird zwar ebenfalls nicht, dafür produzieren äusserst spannende und prima getimte Einstellungen eine bohrende Intensität, die eigentlich auch nur in der zweiten Episode des Films wieder erreicht wird. Ein *äusserst* vielversprechender Opener!

Da die Inder für alles mögliche einen Gott bzw. Göttin haben ist es nicht schwer, jede der drei recht unterschiedlichen Episoden mit einen passenden Götternamen zu betiteln...here we go:

Shakti...

Die Journalistin Tansu Yimaz recherchiert in einer Psychatrie über den Mord an das Sekten-Mitglied Samarfan. Insassin Elisabeth Steinberg provoziert durch ihre Unkooperativität die Erkenntnis, dass die Gründe für das Interesse der Reporterin an dem Mord weit über das berufliche Maß hinaus gehen...

Kammerspielartig und bedächtig strickt die Regie den Aufbau um das Schicksal der beiden Frauen. Bei einer Achterbahnfahrt folgt auf eine fursiose Talfahrt für gewöhnlich eine ruhige Strecke zum Schwung- und Luftholen - so auch hier. Die beiden Darstellerinnen spielen ordentlich und die Geschichte wird recht konventionell erzählt, sporadisch unterbrochen von kurzen Rückblenden in Form von Super8-Aufnahmen. Auch in diesem begrenzten Raum findet Marshall spannende Bilder, überspannt jedoch nie den Bogen, sondern ordnet sich der Geschichte unter, die im Verlauf der halben Stunde immer mehr Drive bekommt. Das Drama endet mit einem verzweifelten Selbstmord, der Fans vom ersten "Evil Dead" verzücken lassen dürfte und wenn im Fahrstuhl die Hölle losbricht wird der Film zwar recht plakativ, ist filmisch aber bestmöglich umgesetzt. Hier muss man auch mal ein Lob an den Kameramann loswerden, der wirklich das Maximum aus der DV-Kamera rausholt...große Klasse!
Keine Ahnung ob Marshall Argento zitieren wollte, aber ähnlich unangenehm wie schon in "Phenomena" fällt hier der Einsatz von Heavy-Metal-Mucke auf. Vielleicht wollte er alten Bekannten aus Cover-Maler-Tagen damit einen Gefallen tun, es wirkt trotzdem deplaziert und stellt im Kontext der ausgeklügelten Inszenierung einen echten Störfaktor dar.

Devi...

Robin - glatzköpfiger Hooligan - befindet sich im Resozialisierungs-Programm von Dr. Steiner - Taylor-Eriksson Group-Absolvent. Nach einer Attacke des Therapeuten auf den Skin erwacht dieser wieder im weiträumig mit Folie abgedeckten Behandlungszimmer...ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Die eindeutig beste der drei Episoden! Der Aufbau und die Charaktere werden nur kurz, dafür pointiert umrissen und man leistet sich dabei sogar humoristische Züge. Marcel Trunsch spielt den Halbstarken überaus gekonnt und verleiht ihm sogar eine sympathische Note - det berlinern klingt für niederrheinische Ohren halt immer wieder amüsant...
Nach dem Übergriff des Therapeuten ist allerdings Schluss mit Lustig! Dr. Steiner hat sich in der Sekte eine interessante Art der Hypnose angeeignet und kann damit Menschen durch eine bestimmte Massage "programmieren", so dass er dem Körper eines Patienten seinen Willen aufzwingen kann, nicht aber seinem Geist. So ist Robin ausgeliefert seine achtlos erwähnte Floskel, dass er aus seiner Haut wolle, höchst physisch mit einem Teppichmesser, bei vollem Bewusstsein und gegen seinen eigentlichen Willen in die Tat umzusetzen.
Holla! Die spannende Grundidee ist aussergewöhnlich umgesetzt und obwohl der Umstand der Selbstverstümmelung schnell in naiv-plakative Schweinerei ausarten kann, setzt Marshall wie schon im Opener nicht nur auf den schnellen Effekt, sondern vorrangig auf seine Darsteller und eine ausgefeilte Kamera-Arbeit, die das Finale der Episode zum berühmten Schlag in die Magen-Grube machen. Das Highlight! Und es dürfte den Ittenbach-Fanatikern die Tränen in die Augen treiben, was man mit guten Effekten *und* einer geschickten Inszenierung aus diesem Plot alles rausholen kann...*so* wird's gemacht!

Kali...

Zum Finale gibt's dann leider die schwächste Episode. Natürlich birgt auch diese Story um den angeblichen Wunderheiler Edgar Cornelsen (immer wieder gern gesehen: Mathieu Carrière), der eine Teilnehmerin der Sekte in einer Sitzung von einem bösen Geist befreit, der sich natürlich nicht einfach so auflösen möchte, ein hohes Niveau! Marshall nimmt sich da etwas zurück und zitiert ausgiebig "Haunted-Hill"-Haus- und asiatischen Horror, inszeniert dazu auch sehr versiert einige spannende Actionszenen - auch wenn wieder diese unsägliche Metal-Krach eingesetzt wird - aber im Grunde bleibt die Episode etwas belanglos und uninspiriert.

Da der deutsche Horrorfilm kaum Aussergewöhnliches zu bieten hat, kann man bei "Tears of Kali" im Fazit unumwunden von der einsamen Perle seiner Gattung sprechen. Handwerklich stimmt einfach alles - dicht erzählt, tolle Bilder, der Schnitt sitzt, lediglich der Sound fällt bei den beiden Metal-Einlagen aus dem Rahmen, aber das macht die Qualität des gesamten Films natürlich nicht zunichte. So recht mag man den Film gar nicht als Vergleich zum deutschen Amateur- bzw. Independent-Film herhalten, aber wenn man sieht was Ittenbach mit ähnlichem Aufwand produziert wird man sich wieder bewusst, dass guter Horror mehr ist als einen Kübel Film-Blut über Latex-Masken zu kippen. Guter Horror arbeitet mit allen Mitteln - Marshall weiss das und nutzt den Umstand weidlich. Dafür Höchstpunktzahl!

Karsten Schreurs

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