Miike
Takeshi ist ein Verrückter. Ein
Verrückter mit einer Kamera. WARNUNG
- dieser Film ist brutal und abartig.
Sicher,
nach jahrelangem Filmkonsum gewöhnt man sich an abgeschlagene Gliedmaßen
und kann damit leben, wenn ab und zu ein Auge ausgestochen wird. Miike Takeshi,
der Regisseur, versteht es aber perfekt, seine Gore-Szenen in einem Zusammenhang
zu präsentieren, der einem schlicht den Magen rumdreht.
Hier
werden Frauen verprügelt und vergewaltigt, Menschen mit heißem
Öl übergossen und in der Mitte durchgeschnitten. Man lacht ab
und zu, aber es ist mehr dieses Lachen, wenn man nicht glauben kann, was
man gerade gesehen hat. Das
große Thema bei ICHI ist dann auch Schmerz. Jede der Hauptfiguren
ist irgendwie irgendwann in ihrem Leben misshandelt worden.
Nach
dem völlig durchgedrehten VISITOR Q hätte ich ahnen müssen,
auf was ich mich da einlasse. Man hat bei Miike oft das Gefühl, dass
er einfach nur zeigt, *um* zu zeigen, so auch dieses Mal. Nur als Beispiel:
Eine Frau wird vergewaltigt, ein Spanner beobachte das vom Balkon der
Wohnung aus. Der Vergewaltiger kommt raus, weil er was gehört hat.
Er findet nichts. Die Kamera zeigt eine Blume, von deren Blatt Sperma
tropft, dieses bildet einen kleinen See auf dem Boden, auf dem der Schriftzug
ICHI - THE KILLER eingraviert ist.
Die brutalen
Gewaltszenen werden durch tatsächlich witzige Begebenheiten konterkariert.
Zudem wird alles meist völlig übertrieben. Blut spritzt nicht,
es sprüht. Man fühlt sich oft an abgedrehte Manga erinnert.
Am Ende bleibt ein seltsamer Nachgeschmack.
ICHI - THE
KILLER wirkt absolut verstörend, wenn man nicht weiß, auf was
man sich da einläßt. Ich weiß wirklich nicht, ob ich
das jetzt gut oder schlecht finden soll. Interessant ist es irgendwo schon,
aber ein Nachmittagsspaß ist sicher etwas anderes, und nochmal sehen
muß ich das auch nicht.
Für
alle Freunde des normalen Horrors empfehle ich AUDITION vom
selben Regisseur und mahne zur Vorsicht vor ICHI - THE KILLER.
Sascha
Thau
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Ein Yakuza-Boss
ist mit 100 Millionen Yen auf der Flucht, was seiner ehemaligen rechten
Hand - dem sado-masochistisch geprägten Kakihara - nicht ungelegen
kommt, um mit diversen ausschweifenden Folter-Eskapaden den vermeindlichen
Fluchtort aus den Mitgliedern der gegnerischen Yakuza herauszufritieren,
-stechen, -bohren, -reissen usw. Ein Unterfangen, das Kakihara reichlich
Raum für das Ausleben seiner Art von Sexualität bietet...
Ein ehemaliges Mitglied der Yakuza steckt hinter dem Verschwinden und
benutzt Ichis traumatisches Verlangen, der nur durch Gewalt sexuelle Erregung
verspüren kann, um weitere gegnerische Yakuzas zu beseitigen. Kakihara
ist voller Bewunderung bezüglich Ichis Gewalt-Orgien, und sein sehnlichster
Wunsch ist, durch Ichi den absoluten sexuellen Kick zu erleben...eine Sehnsucht,
die sich zum Finale erfüllen soll.
Mit "Ichi"
ist Miike mal wieder ganz tief abgetaucht in sein Freak-Sammelsurium und
klatscht eine herrlich entfesselte Groteske auf die Leinwand, wie man
es nur von ihm erwarten würde. Bei dem Film ist es dabei an allen
und Ecken zu spüren, dass er nicht ernst genommen werden will und
der Regisseur wohl einfach nur Lust hatte, mal wieder so richtig die Sau
rauszulassen - natürlich alles auf Kosten den guten Geschmacks, aber
nie dümmlich provozierend!
Alleine die Figur des Ichi entspricht so gar nicht seinem Tun. Unbeholfen
wie ein Teenager, der gerade seine Sexualität entdeckt und nicht weiß,
wie er damit am besten umgehen soll, wütet sich Ichi in Rage durch
menschliche Leiber - und weint dabei. Bei allen Monströsitäten
kann man nicht anders, als Ichi, der nur ein
Opfer seiner Launen bzw. der Manipulationen seines Ziehvaters darstellt, alle Sympathien aufzubringen.
Kakihara dagegen wirkt wie ein ewig Suchender nach dem (sexuellen) Glück.
Kompromisslos und unglaublich brutal in seiner Vorgehensweise, aber dabei
auch verzweifelt, zerissen und hemmungslos romantisch veranlagt. So mag
man nicht wirklich brüllend loslachen, wenn er nach einem weniger
gelungenem handgreiflichen "Vorspiel" einer Frau offenbart,
dass keine Liebe in ihren Schlägen liege. Trotz aller Karikatur:
Miike nimmt seine Figuren ernst und macht sich nicht über sie lustig.
Auch wenn der Film mit einem eher spärlich entschärfenden Humor
durchsetzt ist, spart Miike kaum eine menschliche Grausamkeit aus, findet
aber immer ein wohl dosiertes Maß zwischen bedrückendem Realismus
und cartoonhafter Übertreibung, was auch zum großen Teil am
tollen Schauspiel liegt. Eine Kehle - so befremdlich auch immer durchgeschnitten
- birgt eine panische Reaktion der Betroffenen in sich, die alles andere
als belustigend daher kommt, und man findet sich in einem interessanten
Wechselbad der Gefühle zwischen Mitleid und Irritation wieder. Miike
haut also nicht wie blöde auf die "Braindead"-Splatter-Pauke,
sondern erweist jeder Greueltat eine Art von respektvoller Distanz, um
aus derer Dramatik zu schöpfen und mit ihr zu spielen. Die Gorehounds
dürften enttäuscht sein: Jacksons Blutbad hat keinen würdigen
Nachfolger gefunden, aber wer an Heulern wie "Dead or Alive"
interessiert ist, kann auf jeden Fall einen Blick riskieren. Um mich meinem
Vorredner anzuschließen: dieser Film verlangt schon ein gewisses
Maß an Toleranz und Offenheit, um ihn goutieren zu können...kein
Film für jedermann - aber das sind ja auch meistens die Besten...
Karsten
Schreurs
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