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Währenddessen… (KW 3)

What’s following the grave? Es gibt einige Filme, die sich – mal mehr, mal weniger ernsthaft – mit dieser Fragestellung auseinandersetzen. Christian stellt interessante Vertreter vor.

Ich kann dem Film ja einiges abgewinnen.

Christian: What Dreams May Come mit Robin Williams ist für mich, da der Film meine Grundüberzeugungen angreift, ein zweifelhaftes Vergnügen. Ein glückliches Ehepaar wird darin vom Unglück heimgesucht: erst sterben beide Kinder bei einem Autounfall, später verunglückt auch der von Robin Williams gespielte Ehemann Chris tödlich, so dass zuletzt die zurückgebliebene Annie (Annabella Sciorra), die schon jahrelang nur durch Chris noch Halt im Leben fand, vor dem Nichts steht. Sie nimmt sich das Leben.

Ein großer Teil des Films handelt von Chris‘ Erlebnissen im Jenseits und ist eine verkitschte Wunschprojektion, dass alle Träume, die man im Leben hatte, sich erst im Jenseits vollends erfüllen. Irgendwo ist Gott im Himmel, man sieht ihn nicht, aber er ist gut, und wenn du Lust auf Wiedergeburt hast, dann kannst du gerne ein neues Leben auf Erden haben. Im Jenseits drehen sich die Verhältnisse um: nicht die physische Welt ist real, sondern schon immer die Welt der Gedanken und Vorstellungen.

Wehe aber, wenn deine Vorstellungen düster und hoffnungslos sind, deine Träume verloren gegangen sind und du selbst Hand an dich legst und dir das Leben nimmst, denn Selbstmörder finden den Weg ins Paradies nicht. Das aber, so erzählt uns eine von Cuba Gooding Jr. dargestellte Engelsfigur, hat überhaupt nichts mit ewiger Verdammnis zu tun (was nicht stimmt: der Begriff „Verdammnis“ wird lediglich mit esoterischem Geschwurbel kaschiert). Diese armen Seelen kreisen auf ewig in ihrem Schmerz in sich selbst und sind für die Hoffnung für immer verloren. Robin Williams geht trotzdem das Wagnis ein. Er verlässt den Himmel und begibt sich auf die Reise in eine Höllenlandschaft wie von Dante und Doré, um seine Frau eben doch zu retten. Solche Geschichten sind natürlich problematisch: als ob Selbstmörder nicht schon im Leben genug Leid erfahren würden, kriegen sie auch noch im Jenseits keinen Frieden. Das ist nichts als üble Ideologie, dass man sich selbst helfen muss, weil dir ja dann von Gott geholfen ist. Und andersrum hilft Gott nicht, wenn du dir selbst nicht hilfst.

„All is well in Heaven and Hell“ – eine Zeile aus: „Oh Mary“, Kula Shaker 2016

Ich kann dem Film trotzdem einiges abgewinnen: ich mag es, wie der Film herausarbeitet, dass der Himmel für Chris doch auch die Hölle sein muss, so lange Chris von der Ungerechtigkeit von Annies Schicksal weiß. Als symbolische Zuspitzung von sehr elementaren Gefühlen hat die Geschichte durchaus ihren Reiz, und visuell haftet den CGI-Bildern von 1998 noch stark der Reiz des Neuen an. Die Bilder wirken noch nicht so abgegriffen. Und What Dreams may come erzählt eine ganz ähnliche Geschichte wie Alan Moores Swamp Thing-Storyline „Love and Death“ von 1983, in der Abigail Arcane von ihrem dämonischen Onkel Anton in die Hölle verbannt wird und das Swamp Thing ebenfalls die Tore der Hölle überwinden muss, um die Seele seiner Freundin zu retten. Das Finale von What Dreams may come dagegen findet in einer Hellblazer-Story von Mike Carey seine Entsprechung, als John Constantines Schwester Cheryl sich aus Liebe dafür entscheidet, die Ewigkeit an der Seite ihres in die Hölle verdammten Ehemannes zu verbringen.

Klare Topografie auch im Jenseits. Panels aus Swamp Thing 66, Rick Veitch, DC-Comics 1987).

Gute und tragische Liebesgeschichten vertragen eben auch eine dick aufgetragene Himmel und Hölle-Symbolik sehr gut. Dann geht es um das Absolute ohne Sicherheitsnetz. So etwas funktioniert aber nur in den besten Comic-Erzählungen. Neben Alan Moores und Mike Careys wuchtigen Fantasy-Epen gibt es auch Unmengen an Durchschnittsware, wo man mit der Aura der letzten Orte nichts anzufangen weiß und sie lediglich als Erweiterung der Schauplätze nutzt. Schon Rick Veitch, Alan Moores Nachfolger, hat das Besondere an Himmel und Hölle ignoriert und seine Figuren Swamp Thing und Abigail dort ein und ausgehen lassen, als wären es entlegene Parks mit eingeschränktem Zugang. In einem Swamp Thing-Heft stürzt ein Flugzeug ab, aber die Insassen fliegen als Geister weiter durch die Luft und verstehen nicht, was jetzt geschehen soll – bis das Swamp Thing vorbeifliegt und ihnen den Weg ins Paradies weist.

Aber wo bleibt die tragische Dimension und die Trauer, wenn man so sicher sein kann, dass doch alle sich im Himmel wiedersehen? Wo bleibt Hoffnung, wenn die Hölle droht und ein himmlischer Verwalter macht was er will? Oder noch schlimmer, der himmlische Verwalter ein Naturgesetz ist – wie soll das überhaupt funktionieren?

Martyrs

Pascal Laugiers Film Martyrs geht einen anderen Weg. Ein unbequemer Film, viele halten ihn für den blutigsten Film aller Zeiten, einen Film, der viel zu weit geht etc. – aber vielleicht sollte man doch mal die Kirche im Dorf lassen und anerkennen, dass Drastik ja nun kein neues Stilmittel ist. Gerade wer mit Vertigo-Comics sozialisiert ist, ist mit extremen Werken wie Face (Milligan/Fegredo), immer wieder Hellblazer, und natürlich A History of Violence (John Wagner, Vince Locke) durchaus schon mit ähnlichen Scheußlichkeiten konfrontiert worden. Nicht umsonst ist ja Vince Locke auch der regelmäßige Cover-Artist der Band Cannibal Corpse. Ich selbst war bei David Cronenbergs Verfilmung von A History of Violence stets wechselweise erleichtert, dann wieder enttäuscht, dass Cronenberg vom Ausgangsmaterial abgewichen ist. Aber so konnte man den Film wenigstens unbedenklich konsumieren.

Pascal Laugier dagegen kennt da keine Zurückhaltung – und wozu auch: Im Gegensatz zum sehr handfesten History of Violence ist Martyrs doch eher ein abstrakter Arthaus-Film und deutlich philosophischer. Es ist aber das Nachspielen/Nachstellen expliziter Grausamkeit, das immer noch so unbequem wirkt, dass mancher, wie schon damals in den 1980ern, wohl immer noch am liebsten selbst das Originalmaterial verbrennen möchte. Das wollte man bei Jörg Buttgereits Nekromantik 2 ja tatsächlich. Man muss nicht unbedingt annehmen, dass Politiker/Zensoren/Jugendschützer heute „aufgeklärter“ sind.

Ich hingegen würde sehr gerne einige Bilder vom 7. Oktober aus meinem Gedächtnis löschen, die ich auf X gesehen habe. Leider geht gerade das nicht. Gut möglich, dass bei anderen Menschen bereits ein extremer Kinofilm ähnliches Unbehagen auslöst. Ich mag diese Grausamkeiten ja auch nicht, aber man sollte doch die ernsthafte Auseinandersetzung anerkennen, die Laugiers Film ja zweifelsohne ist. Gemäß Laugiers Aussagen im Zusatzmaterial der BluRay (zensierte Fassung, wie ich später erfuhr), fand Hauptadarstellerin Morjana Alaoui es sehr erfreulich, mal nicht die typische Muslimin vom Dienst spielen zu müssen. Mainstreamtauglicher sind aber natürlich Filme wie Constantine, in dem auch wieder die unsägliche Prämisse thematisiert wird, dass ein Mensch, der Selbstmord begeht, auf ewig zur Hölle fährt. Dem gegenüber finde ich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem, was Hölle bedeuten kann, angemessen. Martyrs verlässt die Komfortzone und ist dabei durchaus unterhaltsam und klug – ganz im Gegensatz zu Constantine. Der ärgert mich bloß.

Was aber unterscheidet Martyrs sowohl von What Dreams may Come, als auch vom DC-Comic-Pandämonium? Am Ende sieht die bis an die Grenzen gequälte Hauptfigur, was jenseits des Todes liegt, und sie flüstert der Chefin der Sekte, die sie aus diesem Grund heraus so lange gequält hat, ins Ohr, was sie gesehen hat. Danach gibt es für die Dame der Organisation nicht mehr viel zu tun. Als sie danach gefragt wird, was sie denn nun erfahren hat, sagt sie,

„Können Sie sich vorstellen, was nach dem Tod mit uns passiert?
Können Sie?

Zweifeln Sie!“

Dann steckt sie sich eine Pistole in den Mund und drückt ab.

Aber warum hat sie das getan? Der Film bleibt vage und interpretationsoffen an dieser Stelle.

The Woman Who Didn’t Come Back

Anstelle einer ausformulierten Interpretation, die dem Film ja auch nur sein letztes Mysterium entreißt, bringe ich an dieser Stelle noch die Autorin Rachel Pollack ins Feld (man kennt sie vom DC-Vertigo-Imprint), deren Geschichte „The Woman Who Didn’t Come Back“ mir in gewisser Weise den Schlüssel zu Martyrs beschert hat. In dieser surrealen Geschichte geht es darum, dass Frauen, nachdem sie verstorben sind, neun Tage lang rituell von den übriggebliebenen Frauen betrauert werden. Dann aber kehren sie von den Toten zurück und bringen sich erneut in die Gesellschaft ein. Fragt man aber die Zurückgekehrten, was diese „drüben“ erlebt haben, so kommt nie eine Antwort, sondern immer nur der Verweis darauf, es handle sich um ein Geheimnis und sie dürften nichts davon erzählen.

Eines Tages aber erzählt die eben zurückgekehrte Marjorje, was sie auf der anderen Seite gesehen und erlebt hat: ein rätselhaftes rotes Zimmer, tanzende Menschen, die einander in den Armen liegen, noch einiges mehr, alles gar nicht so  anders als die Welt, in die sie doch immer wieder gerne zurückkehrten. Nachdem aber Marjorje das Geheimnis gelüftet hat, widerfährt ihr ein Unglück und sie stirbt erneut. Natürlich sollte auch nun wieder der neuntägige Trauerzyklus beginnen, aber der Zauber des Unerklärten ist unwiderbringlich gestört. Keine der Frauen bringt die alte Energie mehr auf und die Rituale sind ohne Kraft. Die Einheit ist zerbrochen, am Ende kehrt Marjorje nicht mehr zurück. Und auch nach ihr ist keine Frau, die starb, je wieder zurückgekehrt.

Welchen Wert aber hatte nun das in die Welt gebrachte Wissen? Sowohl Rachel Pollacks Geschichte als auch Martyrs illustrieren auf kraftvolle Weise, dass ein Mensch ohne Mysterium offensichtlich nicht mehr besonders gut leben kann. Oder anders gesagt: Gute Stories offenbaren ihre besten Geheimnisse nicht. Nur so bleibt die Flamme am brennen.

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