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Shoplifter – Mein fast perfektes Leben

Corrina Park ist Werbetexterin. Sie schreibt Werbetexte für Kinderparfums und Fußcremes, leidet dabei aber still an der Bedeutungslosigkeit ihrer Arbeit. Ab und zu testet sie ihr Selbstbewusstsein, indem sie im Laden um die Ecke eine Kleinigkeit klaut; aber immer nur eine Kleinigkeit – und nur bei großen Ladenketten.

© Michael Cho, Egmont Graphic Novel

© Michael Cho, Egmont Graphic Novel

Ach, Corrina Park. Armes, kleines, unschuldiges Mondschaf. Wolltest du nicht mal Bücher schreiben? Was ist nur aus dir geworden? Deine Arbeit ist öde und die Freunde sind weit weg und kennen dich kaum noch. Was würden sie von dir denken, wenn sie wüssten, was du in deiner Freizeit so anstellst? Aber vielleicht ist dieses irrationale Benehmen gar nicht mehr dein freier Wille. Das sieht doch eher wie ein unbewusster Hilfeschrei aus, jetzt wo dein Lebensumfeld sich völlig im virtuellen Raum und in den Plattheiten des Business aufzulösen droht.

Mit der knapp hundertseitigen Erzählung um die traurige Corrina ist Michael Cho ein beeindruckendes Comicdebüt gelungen. Nichts von dem, was Corrina darin widerfährt, ist in irgendeiner Form überraschend oder fremd, aber gerade deshalb berührt sie den Leser. Michael Cho holt den Leser vorbildlich da ab, wo er sich auskennt: in der Konsumwelt des 21. Jahrhunderts, in der jede menschliche Empfindung medial aufbereitet ist und der Mensch – und das ist leider fast schon ein Allgemeinplatz –  selbst zum Produkt sowie zum Multiplikator von Produkten geworden ist.

Mit ihren kleinen, unvorhersehbaren Ausreißern versichert sich Corrina ihrer Menschlichkeit und sucht den Ausweg aus der hohlen, aufgeblähten Werbewelt. Das ist nicht frei von Klischees, aber dennoch pointiert erzählt und vergnüglich zu lesen. Michael Cho gibt uns immer nur genau die Menge an Information, die man benötigt, um zu verstehen, was gerade vor sich geht. Kein überflüssiges Wort, keine Redundanzen. Wie in der klassischen Kurzgeschichte gibt es den unvermittelten Einstieg und ein Minimum an Exposition. Trotzdem bekommen die Szenen stets die Länge, die sie brauchen. Die Erzählweise ist trotz aller Dichte ruhig und gefällig, und genau das ist es, was Michael Cho so hervorragend gelingt. Er hat Shoplifter perfekt durchkomponiert und versteht es, den eigentlich sehr schlichten Inhalt mit viel Poesie und Wärme zu vermitteln. Für solche Erzählungen, möchte man fast meinen, sind Comics erfunden worden. Die Geschichte von Corrina könnte in keinem anderen Erzählmedium ähnlich wirkungsvoll erzählt werden.

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© Michael Cho, Egmont Graphic Novel

Die eleganten Bilder sind konsequent einfarbig, schwarzweiß mit Pink, wobei das Pinke keine reine Schmuckfarbe ist, sondern immer auch einen Teil der Kontur trägt. Das ist schön anzusehen, hat aber keinen tieferen Sinn. Vermutlich war Michael Cho klassisches Schwarzweiß zu langweilig – und ein klein wenig verweist die eigenwillige Farbgebung auch auf Chos erklärtes Vorbild David Mazzucchelli (Batman: Year OneAsterios Polyp).

Zu guter Letzt möchte ich ausdrücklich auch die deutsche Textversion loben, die sich durchgängig gut liest und kein Verlangen weckt, den Vergleich mit dem Original zu suchen. Dem Übersetzer Christopher Bünte gelingt es, selbst Slangbegriffe so ins Deutsche zu übertragen, dass der Wortwitz erhalten bleibt und auch Anglizismen und englische Lehnwörter fügen sich absolut organisch in den deutschen Text. Da macht das Lesen Spaß.

Sehr rund erzählt: Der außergewöhnliche Stil und die Erzählung sind perfekt aufeinander abgestimmt.

Shoplifter – Mein fast perfektes Leben
Egmont Graphic Novel, 2015
Text und Zeichnungen: Michael Cho
Übersetzung: Christopher Bünte
96 Seiten, zweifarbig, Softcover
Preis: 14,99 Euro
ISBN: 978-3770455164
Leseprobe

Update, 18.08.2015: In der ersten Fassung dieses Artikels wurde ein anderer Übersetzer genannt. Dieser Fehler wurde korrigiert.

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