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Gay Manga: Endless Game

Endless Game war die erste Gengoroh-Tagame-Veröffentlichung des auf schwule Publikationen spezialisierten Berliner Verlages Bruno Gmünder. Schwule Comics, Kunst und Illustration sind dort seit Jahren eine feste Instanz im Programm. Dass man sich seit einiger Zeit nun auch dem in der internationalen Publikationslandschaft sträflich vernachlässigten Gay Manga widmet und diese Werke auch noch in großformatigen und edel aufgemachten Editionen mit reichhaltig illustrierter Klappbroschur und Fadenheftung präsentiert, kann man nur begrüßen. Angesichts der internationalen Ausrichtung des Verlags sowie seiner verlegerischen Pionierarbeit im Gay-Manga-Sektor erscheinen die Tagame-Bände dabei in englischer Übersetzung von Anne Ishii, die bei Fantagraphics auch die beachtliche Massive-Anthologie mit herausgegeben hat.

© Gengoroh Tagame/Bruno Gmünder

© Gengoroh Tagame/Bruno Gmünder

Michel: Tagame ist als Einstieg ins Thema allerdings schon eine ziemlich harte Nummer. Protagonist von Endless Game ist Student Besho Akira. Dieser hat kurz geschorene Haare, Kinnbart und den Tagame-typischen, beefigen und muskulösen Körperbau. Er ist das Gegenteil des im Boys‘-Love-Manga verbreiteten androgynen Jünglings, des bishōnen. Akira wird als Freier in einem Schwulen-Club von der Polizei aufgegabelt und muss sich nun, um einer Verhaftung zu entgehen, mit dem älteren, aber ähnlich stabil gebauten Katsuragi Kenji treffen, der ihn in ein erotisches Abhängigkeitsverhältnis verwickelt und ihm nach und nach immer härtere „Jobs“ vermittelt – vom GoGo-Tänzer in einem Schwulen-Club zu öffentlichen Sex-Shows, bis er schließlich selbst als Edelstricher in Kenjis Auftrag reiche alte Männer bedient.

Was beginnt als eine Aneinanderreihung ausgiebiger Sexszenen mit dem Tagame-typischen Verhältnis aus Dominanz und Unterwerfung, bekommt zum Ende hin dann doch noch einen bösen Dreh: Akiras unaufhaltsamer Abstieg nach seinem Zusammentreffen mit Kenji ist kein Zufall, und er ist auch längst nicht der erste, auf den dieses Schicksal gewartet hat. Und doch glaubt Akira bis zum Schluss, dass all das mit seinem Einverständnis passiert …

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© Gengoroh Tagame/Bruno Gmünder

Endless Game wirft damit zumindest ein paar spannende Fragen über das Verhältnis von freiem Willen und Begierde und der Manipulierbarkeit sexueller Minderheiten auf. Dass sich Endless Game im Gegensatz zu anderen Gay Manga dabei in verhältnismäßig authentischen Gebieten schwuler Subkultur bewegt, gibt dem Band noch eine besondere Signifikanz. Hier bleibt beim Lesen ein bitteres, unwohles Gefühl hängen; eine Nachwirkung, die man bei Pornografie üblicherweise nicht erwartet. Aber, das sollte man bedenken: Es ist und bleibt Pornografie. Expliziten Sex gibt es auf der überwiegenden Anzahl der 160 Seiten. Bruno Gmünder veröffentlicht die Geschichten unzensiert (also ohne die in Japan typischen Zensurbalken über Teilen der Geschlechtsorgane), das heißt Seite für Seite dicke Dödel und literweise Körperflüssigkeiten (inklusive Urin).

Tagames Zeichentechnik ist für sich genommen bewundernswert. Wie er die Rundungen der Muskeln auf den Körpern herausschraffiert, flüssig die Perpektiven wechselt und jeden Gesichtsausdruck emotional auf den Punkt bringt, zeigt seine langjährige Erfahrung als Profi-Mangaka. Dennoch sollte man sich im Klaren sein, dass wir hier Pornografie vor uns haben, und wer mit Tagames Körperbild und den dargestellten Sexpraktiken am Rande des Missbrauchs nichts anfangen kann, wird mit diesem Werk nicht glücklich werden.

© Gengoroh Tagame/Bruno Gmünder

© Gengoroh Tagame/Bruno Gmünder

So kann ich für mich auch nur das Fazit ziehen: Ich erkenne die zeichnerischen (und gelegentlich zwischen all dem Gepimper durchschimmernden erzählerischen) Qualitäten und kann nachvollziehen, warum Tagame so eine dicke Nummer im Gay Manga und im schwulen Comic allgemein ist. Eine interessante Erfahrung, aber mich macht das irgendwie eher nicht so an. Wer auf der Suche nach unverdünntem Porn zwischen muskulösen Kerlen ist und auf unmissverständliche Einvernehmlichkeit bei BDSM-Darstellungen verzichten kann, für den ist Tagames Werk dagegen definitiv eine Offenbarung. So einfach ist das.

Frauke: Zuerst mal vorneweg: Wer neben Sexszenen eine Story zu schätzen weiß, wird bei Endless Game nicht glücklich werden. Ja, es gibt eine Handlung, aber wie Akira mehr oder weniger sehenden Auges in eine immer größere Abhängigkeit von Kenji gerät, ist für meinen Geschmack doch etwas dünn auf der Brust. Im Gegensatz zu den Figuren selber, die allesamt ansehnlich und zeichnerisch sehr hochwertig dargestellt sind, was man aus so gut wie jeder Perspektive präsentiert bekommt – inklusive diverser Innenansichten. Ich glaube nicht, dass man dies noch expliziter darstellen kann. Auf Dauer fand ich aber die Sexszenen und den Charakter des naiven, devoten Akiras ermüdend; sein Pulver verschießt Tagame schon ziemlich am Anfang und danach gibt es gefühlt zig Wiederholungen mit einer gewissen Beliebigkeit. Ihm ist der Zwiespalt in Bezug auf seine Hauptfigur durchaus bewusst, wie sich im Nachwort herausstellt: Lässt sich Akira wirklich manipulieren oder ist er nicht doch Herr seiner Lage? Dies solle der Leser selber entscheiden, meint der Künstler. Ihm ginge es hauptsächlich um anregende Unterhaltung. Visuell ist Endless Game auf einem sehr hohem Niveau – mit mehr Story auf den Rippen und ausgearbeiteteren Figuren wüsste Tagame auch mich zu überzeugen.

Endless Game
Bruno Gmünder, 2013
Text und Zeichnungen: Gengoroh Tagame
Englische Übersetzung: Anne Ishii
160 Seiten, schwarz-weiß, Softcover mit Klappbroschur
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3867876414

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