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Der Zorn des Poseidon

Poseidon, Gott und Gebieter über die Weltmeere, hat die Schnauze voll. Dereinst musste er Odysseus seines Weges ziehen lassen, das rächt sich nun. Gewässer vermüllen, Opfergaben bleiben aus. Was ist seit damals nur passiert? Mit vielen Fragezeichen im Kopf begibt sich Poseidon ins heutige Wisconsin, erkundet Nachtclubs und Spaßbäder. Eine verkommene menschliche Gesellschaft also, in die sich seine Götterkollegen längst eingefunden zu haben scheinen.

© avant-verlag, Anders Nilsen

© avant-verlag, Anders Nilsen

Die Story über den erzürnten Poseidon bleibt in Anders Nilsens Buch nicht die einzige befremdliche Kollision eines einst mächtigen Gottes mit unserer modernen Zivilisation. Dabei handelt es sich nämlich um eine Ansammlung kurzer Parabeln – Gedankenspiele, wenn man so will -, die philosophisch-religiöse, bildhafte Auseinandersetzungen darstellen. Da wacht Athena, die Göttin der Weisheit, morgens in ihrer Wohnung mit einem Kater auf, Prometheus sinniert rückblickend über den Diebstahl des Feuers und Gott (der im christlichen Sinne) hat Stress mit seinem Assistenten Gabriel oder liegt deprimiert im Bett, weil er zuvor wie ein beleidigtes Kind die Sintflut über seine Schöpfung ergossen hat.

Die dazu verfassten Texte des Amerikaners Anders Nilsen, der auch schon in seinem Werk Große Fragen (Atrium Verlag) globale Menschheitsfragen verhandelt hat, sind amüsant, zynisch, urkomisch. Doch alles in allem schwingt bei ihnen ein ernster Kern mit, der die Bedeutung von Religion, Glaube und Mythologie aus heutiger Sichtweise satirisch und kritisch hinterfragt. Antworten gibt es eigentlich keine, aber die aufgeworfenen Fragen sind durchaus interessant. Die Konfrontation der archaischen Welt mit der Zivilisation des 21. Jahrhunderts ist an dieser Stelle ein bewusstes Stilmittel, um die Beziehung der vermeintlich omnipotenten Götter zu der sich selbstständig weiterentwickelnden Menschheit zu veranschaulichen.

© Drawn & Quartely, Anders Nilsen

© Drawn & Quartely, Anders Nilsen

Ungewöhnlich an diesem Unterfangen ist die grafische Ebene des Bandes. So hat Anders Nilsen zur Illustration seiner Texte eine zeichnerische Form gewählt, die sehr auf Distanz zum Leser ausgerichtet ist: Ganzseitige Schattenrissbilder. Auf jeder Seite prangt ein weiteres Motiv, das lediglich aus schwarzflächige Formen besteht und das man nur anhand der äußeren Konturen erkennen kann. Keine Gesichter, keine Details. Dieser radikale Stil erweckt den Eindruck statischer Momentaufnahmen, die wie Monumente dem Betrachter entgegenstarren. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass die Bilder konsequent von den darunter befindlichen Texten getrennt sind und die Zeichnungen untereinander auch zumeist relativ wenig Bezug zueinander aufweisen. Im Grunde handelt es sich bei Der Zorn des Poseidon also um eine Sammlung illustrierter Kurzgeschichten und weniger um einen Comic. Eher selten gibt es zwischen zwei Grafiken eine im großzügigen Maßstab erkennbare Verbindung, die auf eine Bewegung oder eine unmittelbare narrative Sequenz hinweist.

Doch lässt man die Frage nach der Kategorisierung dieses Werkes als Comic oder Nicht-Comic mal außen vor, so lässt sich in jedem Fall festhalten, dass Nilsen hier ein kluges Spiel mit Wörten und Bildern gelungen ist. Und eines, das gleichermaßen unterhält und zum Nachdenken anregt. Für die deutsche Ausgabe (das Original erschien beim kanadischen Verlag Drawn & Quarterly) wurden übrigens die Texte vom Autor selbst überarbeitet und eine exklusive Bonus-Story  angefertigt.

Interessantes Experiment rund um die Themen Glaube, Religion und Menschheit

7von10Der Zorn des Poseidon
Avant-Verlag, 2015
Text/Zeichnungen: Anders Nilsen
Übersetzung: Mathias Emanuel Hartmann
96 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 24,95 Euro
ISBN: 978-3-945034-29-3
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