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Der Trinker

Hans Fallada ist auf Comeback-Tournee! Der 1947 verstorbene Schriftsteller kam 2011 zurück in die Buchhandlungen, 2016 wird er die Leinwände erobern, und der Berliner Comic-Virtuose Jakob Hinrichs hat ihm 2015 ein Denkmal geschaffen, indem er Falladas autobiografischen Roman Der Trinker fulminant ins Bild gesetzt hat. Ein rauschhaftes Lese-Erlebnis.

© Jakob HInrichs/Metrolit

Alle Abbildungen: © Jakob HInrichs/Metrolit

Erwin Sommer ist der „Trinker“, glückloser Inhaber eines großen Handelsunternehmens, das seine besten Tage hinter, umso schwierigere Zeiten aber vor sich hat. Sommer ist ebenso wenig ein erfolgreicher Geschäfts- wie ein guter Ehemann, aber in beiden Rollen sind es eher die kleinen Niederlagen, die ihn aus der Bahn werfen: Ein lukrativer Vertragsabschluss geht ihm durch die Lappen, woraufhin seine Bank ihm keinen Kredit mehr gewährt, zugleich kann er seiner Frau aus Scham und Stolz davon nicht erzählen. So gering der Anlass auch erscheint, der das Gleichgewicht ins Wanken bringt, so verheerend sind die Folgen: „Wie konnte denn das passieren?“ ist die Leitfrage der Handlung, denn stets ergibt sich eins aus dem anderen. Aus einem geselligen Weinkonsumenten wird der Trinker Sommer, der in der bunten Comicwelt von Hinrichs ein tröstliches Zuhause sucht und es in einer Bar findet. Alle Versuche seiner Frau, seinen allmählichen Abstieg vom erfolglosen Geschäftsmann zum Lügner, zum Dieb und schließlich zum Trinker aufzuhalten, scheitern. Die Krise kulminiert in einem Streit, in dessen Verlauf sich ein Schuss aus einer Waffe löst. Sommer erscheint als gewaltbereiter und gefährlicher Irrer, er wird im Gefängnis landen, von dem aus er rückblickend seine Alkoholikerkarriere resümiert.

Der Trinker ist Falladas, der eigentlich Rudolf Ditzen heißt, postumes Zeugnis seiner eigenen Lebenskrisen: Seine Alkohol- und Morphiumeskapaden führen bereits in den 1920ern zu einer Gefängnisstrafe. Sein Welterfolg Kleiner Mann, was nun? (1932) beschert ihm zwar literarische Anerkennung und bürgerliche Sicherheit, bewahrt ihn aber nicht vor weiteren Zusammenbrüchen und persönlichen Schicksalsschlägen. Seine Ehe mit Anna Issel wird 1944 geschieden, kurz darauf geraten die ehemaligen Eheleute aneinander – und aus einer Waffe löst sich ein Schuss. Hier treffen die beiden Geschichten aufeinander: die des Schriftstellers Hans Fallada und die der Romanfigur Erwin Sommer. Und genau diese Verknüpfung, die Fallada in seinem Manuskript, das erst Jahre nach dessen Tod veröffentlicht wurde, bereits anlegte, führt der Comickünstler Jakob Hinrichs nun weiter aus. Auf eine werktreue Literaturadaption kommt es ihm offenbar nicht an, denn sein Trinker erzählt nur die ‚halbe Geschichte‘: Erzählte Fallada gleichermaßen von dem Trinker Erwin Sommer in Freiheit wie auch von dessen Hafterlebnissen, konzentriert Hinrichs sich ganz auf den ersten Teil. Eine gute Entscheidung, weil Falladas Manuskript in diesen Passagen sehr an Stringenz verliert und die einzelnen Episoden allzu beliebig aneinandergereiht sind. Darüber hinaus hat Hinrichs andere Texte Falladas in seine freie Adaption montiert, etwa die Kurzprosa „Sachlicher Bericht über das Glück, ein Morphinist zu sein“ (S. 71–83).

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Literaturadapteure stehen vor der schwierigen Wahl, das Vorbild entweder fest in ihre Arme zu schließen, und damit Gefahr zu laufen, kein Kunstwerk mit Eigenwert zu schaffen, sondern bloß einen ‚Classic Illustrated‘, der aus dem Schatten des Originals nicht heraussticht. Oder sie entscheiden sich dafür, der Adaption großzügige Freiheiten zu gewähren, eine lange literarische Leine, und dann haben sie die Chance, im Original angelegte Aspekte ins Rampenlicht zu stellen.

Keine Frage, Hinrichs hat sich für den zweiten Weg entschieden: Er verändert den Wortlaut, wo es ihm angemessen scheint, er montiert verschiedene Texte Falladas miteinander und schließlich parallelisiert er immer wieder das Leben der Figuren mit der Biografie des Autors: Hans Fallada wird zu Erwin Sommer, und bisweilen verwechseln die Figuren einander, wenn Erwin als „Hans“ angesprochen wird: „Hans? Hans? Ha! Ich bin Erwin Sommer, Inhaber eines Landesproduktengeschäftes en gros …“ (S. 127). Gilt es für Studierende der Literaturwissenschaft als törichter Fehler, Figur und Autor gleichzusetzen, macht Hinrichs die Verwechselbarkeit zum Programm, indem er Episoden integriert, die mit dem Trinker nichts zu tun haben, sondern aus dem Leben Falladas stammen: etwa das Duell mit dessen Jugendfreund Hanns Dietrich von Necker (S. 137–141) oder die Abschlussszene in der Berliner Charité (S. 163–168). Ganz konsequent ist Hinrichs, wenn das Namensschild am Hause Erwin Sommers nicht dessen Namen trägt, stattdessen aber: „Rudolf Ditzen“ (S. 134).

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So wechselt der Comic von einer Literaturadaption hinüber ins Genre der Comicbiografie mit erheblichen künstlerischen Freiheiten. Natürlich. Auch zeichnerisch, denn die schrillen Farben passen nur bedingt zu Hans Fallada, dem Autor des einfachen Mannes und Meister der leisen Töne. Bei Hinrichs Umsetzung von Arthur Schnitzlers Traumnovelle (2012) war dieser bildgewaltige Stil eine starke Entscheidung, hier ist er ein starker Kontrast zu der schlichten Prosa Falladas – und vielleicht nicht die beste Entscheidung, weil die expressive Farbgebung ihren Rausch-Charakter verliert, weil die Dosis von Anfang an zu hoch ist. Die trist und dunkel gehaltenen Gefängnisszenen zeigen, wie effektvoll eine dezentere Gestaltung sein kann.

Mit diesem Comic-Comeback Falladas ist Jakob Hinrichs eine Literaturadaption gelungen, die sich nicht um Werktreue schert – und daran tut sie gut. Ihre Eigenständigkeit macht sie zu mehr als zu einer bloßen Adaption: zu einer spielerischen Interpretation von Falladas Leben und einem Comic, dessen Qualitäten über das Original hinausgehen.

Eigenständige Neuinterpretation, die davon profitiert, dass sie sich viele Freiheiten nimmt.

Der Trinker
Walde + Graf bei Metrolit, 2015
Text: Jakob Hinrichs, nach Hans Fallada
Zeichnungen: Jakob Hinrichs
175 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 25,- Euro
ISBN: 978-3-7632-6834-4
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