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Amazonia 1

Dank Splitter ist Leo derzeit in den Comicläden kaum zu übersehen: 2016 und 2017 sind jeweils 13 seiner Alben ins Deutsche übertragen oder neu aufgelegt worden. Das mutet inflationär an, ist aber in der Sache erfreulich. Mit Amazonia eröffnet Splitter den dritten Zyklus der Kenya-Story.

alle Bilder © Splitter-Verlag

Im Mittelpunkt der Handlung steht zunächst keine Figur, sondern ein Objekt: Ein geheimnisvolles Foto, das im Amazonas-Regenwald aufgenommen wurde, zeigt eine Gruppe von Ureinwohnern zusammen mit einem menschenähnlichen Wesen, das den Figuren Rätsel aufgibt, obwohl der Leser schon weiß: Dies muss ein Alien sein. Nachdem das Foto mehrfach den Besitzer gewechselt hat, sind dem Leser alle Figuren bekannt gemacht: Die MI-6-Agentin Katherine Jones, bereits die Heldin in Kenya und Namibia, wird zwecks Aufklärung vor Ort geschickt, wo bereits eine deutsche Opern-Diva mitsamt faschistischer Entourage auf sie warten. Auch Hank Grabble, Pilot in Kenya, ist wieder an Bord. Sie alle interessieren sich für das Alien, das so klischeehaft außerirdisch ist, dass es verwundert – wo Leo sich sonst (Aldebaran, Betelgeuze) solche Mühe gibt, fremde Lebensformen mit größtmöglicher Phantasie ins Bild zu setzen.

Amazonia, dessen beide ersten Bände in Frankreich bei Dargaud erschienen sind, bildet den Abschluss der Kenya-Trilogie, die bislang aus den Serien Kenya (fünf Alben, 2001–08) und Namibia (vier Alben, 2010–13) besteht. Finden diese Geschichten allesamt auf der Erde statt und drehen sich um außerirdische Wesen, die unseren Planeten bevölkern, spielt der andere und weitaus erfolgreichere Leo-Kosmos im Weltall: Aldebaran (fünf Alben, 1994–98), Betelgeuze (fünf Alben, 2000–05) und Ferne Welten (fünf Alben, 2009–12) sind Leos Klassiker, in denen es um die Kolonisation anderer Welten geht. Sie bilden die drei Zyklen des Aldebaran-Universums.

Die Stärke dieses Comics sind nicht die soliden Zeichnungen Marchals, nicht der plot mit seinen wenig überraschenden Wendungen, nicht die Figuren mit wenig psychologischem Tiefgang oder die Dialoge, über deren Hintersinn noch niemand vor dem Einschlafen nachdenken musste. Sein Talent ist das Entwerfen fremder Welten und Wesen, wie man sie am besten in den Aldebaran-Zyklen beobachten kann: Deren Verhalten, deren Physiognomie, ihre Fähigkeiten machen die Alben interessant. Diese Fähigkeit kommt in Amazonia bislang noch nicht zur Geltung, aber es handelt sich ja auch erst um den Auftakt der Story. Etwas skeptisch stimmt die Beobachtung, dass der Einstieg über ein mysteriöses Foto nichts weiter ist als eine Kopie des Namibia-Plots, in dem allerdings kein Alien auf dem Foto zu finden ist, sondern Hermann Göring.

Leo-Fans werden in diesem Jahr noch tief in die Tasche greifen müssen, um ihre Sammlung zu komplettieren. Viele andere werden an diesem Band vielleicht vorübergehen. Auf mich üben die Comics von Leo, trotz der stereotypen Figuren und der grafisch beständig-unbeeindruckenden Optik, dennoch stets eine Sogwirkung aus: Vielleicht ist dies das Schicksal der X-Files-Generation, der Mulder und Scully abhanden gekommen sind. Leo ist ein Meister des Erwartbaren, aber auch dies ist eine Kunst, und in dieser Erwartungserfüllung ist er eben – lobenswerterweise – sehr beständig.

Leo – Meister des Erwartbaren

Amazonia 1 7von10
Splitter, 2017
Text: Leo & Rodolphe
Zeichnungen: Marchal
Farben: Sébastien Bouet
Übersetzung: Tanja Krämling
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3958395503
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