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Kamingespräch: Wie geht’s dem deutschen Comic? – Leserreaktionen

Unser Kamingespräch über den Zustand der deutschen Comicszene hat zu einigen interessanten Rückmeldungen geführt. Das hat uns sehr gefreut! Zum Teil handelt es sich um substanzielle Ergänzungen, die wir hier noch einmal ins Blickfeld rücken wollen.

 

Ich werde die Beiträge unkommentiert lassen, möchte aber darauf hinweisen, dass unser Kamingespräch auch von den teilweise zugespitzten, sehr persönlichen und spontanen Beiträgen lebt. Nur was rausgelassen wird, kann diskutiert werden. Meinen Dank an alle Leser, die sich im Nachhinein konstruktiv äußern. 

Rückmeldungen auf Twitter:

Beginnen wir mit Twitter. Angeregt durch unsere Fragestellung und unser lebendiges Gespräch hat Sarah Burrini (Das Leben ist kein Ponyhof) eine kleine Diskussion auf Twitter losgetreten. Ich liste hier nur die unmissverständlichen Beiträge, die zumindest ein kleines Stimmungsbild abgeben:

Sarah Burrini: Was müsste bei Euch passieren, damit Ihr mehr deutsche Comics lest? Wenn Ihrs nicht schon tut. (Ich rüste mich schon mal für die Antworten).

Lisa Demonhead: Weniger Geschichte von 1933 bis 1989, dafür mehr rein fiktive Storys (Fantasy, SciFi etc.) wär nice. Malcolm Max macht das gut.

© Splitter Verlag

© Ingo Römling/Splitter Verlag

Lisa Demonhead: Dazu sei gesagt: Ich finde die Aufarbeitung des NS und des kalten Kriegs wichtig, aber es gibt zu wenig nebenher.

Sarah Burrini: Ich versteh schon. Diversität, anstatt immer nur ein paar ausgewählte Stoffe.:)

Nessa: Beispiel: Ich liebe den Schimmelreiter von Storm, aber bei der GN konnte ich oft nicht erkennen, was überhaupt dargestellt war.

Dieter W: Ich lese einen Comic, wenn mein Interesse geweckt wurde. Ich lese zu wenig Comics, um das an die Herkunft des Autors zu binden.

Max Vaehling: Vieles passiert ja schon. Ich mag gutes Schreiben, Geschichten, die ’nen Schluss haben & die Stärken des Mediums ausspielen…

Den kompletten, allerdings recht unübersichtlichen Twitter-Konversationsstrang findet man hier.

 

Comicgate im Dreimalalles-Jahresrückblick:

Auch Christian Maiwald hat uns im Jahresrückblick seines Blogs dreimalalles.info erwähnt: „Da werden interessante Standpunkte vorgebracht, sich widersprochen und Argumente abgewägt. Lesenswert.“

Aber vielleicht ist es sinnvoller, sich dieses Zitat im Gesamtzusammenhang anzusehen:

Die mediale Aufmerksamkeit hat sich in den letzten Jahren enorm auf Graphic Novels konzentriert, das stimmt. Und immer noch öffnen sich neue Medien – von Zeitungen bis zum Fernsehen – den Comics. Natürlich wird da selten auf Weltniveau geschrieben und hier und da tapsig formuliert, aber immerhin finden Comics statt und erreichen potentielle LeserInnen. Daran muss man ansetzen. Denn darum geht es: weiter machen. Beziehungsweise überhaupt: machen.

Ich finde es nachvollziehbar, dass es Einigen nicht zusagt, wie Graphic Novels zuletzt im Aufwind waren. Ja, unter den Titeln war auch enormer Schrott. Und nicht alle guten Comics anderer Couleur haben die große Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient gehabt hätten. Das kann man beklagen, durch dauerhafte Wiederholung wird aber nichts verändert. Im Kamingespräch auf comicgate.de werden interessante Standpunkte vorgebracht, sich widersprochen und Argumente abgewägt. Lesenswert. Es blitzt aber bei den Kritikern hier und da genau die Ernsthaftigkeit durch, die als Problem der Graphic Novels attestiert wird. Lieber nörgelt man und beklagt, als dass man sich überlegt, wie genau im eigenen Wirkungsradius eine Veränderung zu bewerkstelligen sein könnte. Vielleicht ist es das Schicksal vieler Comic-Kritiker, mit den ewigen Hinweisen auf die sich nicht ändernden Zustände (ernste Graphic Novels, „Kulturwertigkeitsscheiß“, etc.) den so kritikwürdigen bestehenden Zustand zementieren zu müssen. Aus der Schleife kommt man auch nicht durch kurzatmige Wiederholung dieser Punkte auf Social Media-Plattformen, gerade dort findet auch keine Diskussion statt, sondern höchstens ein Austausch von Stichworten.

 

Comicgate-Leserkommentare:

Zwei kritische Kommentare erreichten uns direkt über die Kommentar-Funktion am Ende unserer Texte. Wolle Strzyz (Organisator der „Faszination Comic“ bei der Frankfurter Buchmesse) ärgerte sich über mehrere Aussagen über die historische Entwicklung der deutschen Comicszene. Da war es ihm wichtig, einige Positionen geradezurücken.

 

Liebe Leute von Comicgate, lieber Michel Decomain,
so gut ich es finde, dass ihr ein Thema wie die Entwicklung (oder auch mangelhafte Entwicklung) der deutschsprachigen Comicszene diskutiert, hat mich eine Sache an eurem Gespräch doch sehr gestört. Nämlich der Beitrag von Michel Decomain.

Zunächst einmal ist da die viel zu allgemeine Aussage über „die Linke“, die Mitschuld an der ganzen Misere sei. Wer soll denn „die Linke“ sein? Die ganzen K-Gruppen, die nach China geschielt haben und die moskautreue DKP verachtet haben? Oder die DKPisten, die wiederum die Ostblockstaaten als einzig wahre Verfechter der reinen Lehre angesehen haben? Oder doch eher die Undogmatischen um Dutschke, Cohn-Bendit und Fischer, die mit beiden Strömungen nichts anfangen konnten? M.a.W., „die Linke“ gab es nie.

Vollends zweifelhaft finde ich dann aber die Aussage, dass die Comicverbrennungen der 50er (und übrigens auch noch der 60er) von „den Linken“ initiiert worden seien, um damit dem „kapitalistischen Schund“ ein Ende zu bereiten. Das ist eine sehr steile These! Der Grund für die Comicverbrennungen zu jener Zeit war schlichtweg (und das war ja auch nie ein Geheimnis), Kindern und Jugendlichen das Comiclesen abzugewöhnen und zum „guten Buch“ hinzuführen. Das hatte in keinster Weise etwas mit Kapitalismus zu tun. „Gute Bücher waren zu dem Zeitpunkt vor allem „Hanni und Nanni“ u. ä. Werke, nicht gerade Bücher, die „die Linke“ bevorzugte.

Und zu guter letzt noch die Behauptung, es hätte bis in die 70er Jahre hinein bei uns nur Stoff à la Wäscher gegeben und keine Undergroundszene. Lieber Michel Decomain, was ist denn dann mit Seyfried? Mit Volker Reiche? Mit Alfred von Meysenburg? Oder auch mit Raymond Martin, der 1969U-Comix auf den Markt brachte? Natürlich gab es auch in Deutschland eine Undergroundszene. Aber genauso natürlich war die ökonomisch nicht eben erfolgreich und medial in den – vor allem konservativen – Medien kein Thema. Underground eben! Auch ein Robert Crumb hat seine erstenZAPs noch selbst zusammengeheftet und an der Ecke Haight-Ashbury verhökert.

Zum Schluss noch eine Bemerkung, ich wäre in diesem ganzen Zusammenhang sehr vorsichtig mit Begriffen wie „Kulturfaschismus“.

Liebe Grüße, Wolle Strzyz

© Canicola

© Paul Paetzel/Canicola

Eine zweite kritische Anmerkung kam von Sascha Hommer. Daniel Wüllner bemerkte im Gespräch, er „ … habe gestaunt als Insekt von Sascha Hommer erschienen ist. Dass jemand aus der Schule Feuchtenberger anfängt zu fabulieren, eine Analogie über unsere Gesellschaft schreibt und aufzeichnet. Ich war wirklich beeindruckt. Ich dachte: Jetzt geht es los mit dem deutschen Comic!“

Darauf Hommer in seinem Leserkommentar:

Man könnte sich ja zum Beispiel mal die „deutsche“ Ausgabe der italienischen Comicanthologie Canicola ansehen – lauter junge ZeichnerInnen, die fabulieren was das Zeug hält und sich nicht um Konventionen scheren: http://www.canicola.net/rivista/canicola-12-germania/ In Wahrheit IST es „los gegangen“ mit dem deutschen Comic, nur dass diese Werke, weil sie sich auch in ihren Ästhetiken und Erzählbögen nicht dem klassischen Comic verpflichten, zum Beispiel bei Comicgate fast gar keine Rolle spielen.

 

Die Diskussion im Comicforum

Auch im Comicforum kam eine recht anregende Diskussion zustande, an der sich auch einige Comicgate-Redaktionsmitglieder beteiligt haben. Da die Diskussion naturgemäß etwas ausufernd ist, habe ich die meiner Meinung nach wichtigsten Denkanstöße zusammengefasst. Aber natürlich lohnt es sich, die ganze Diskussion zu lesen:

Myaca:

Die Diskussion ist interessant und ergibt einen schönen Überblick über die deutsche Comicszene, allerdings tut man sich in Deutschland mit Zahlen schwer, genauer mit Verkaufs- und Umsatzzahlen. Es wird theoretisch auf alles einen Blick geworfen aber um das Geld einen großen Bogen gemacht. Wieviele Comics werden verkauft und wieviel wird umgesetzt? Wurde dieses Jahr mehr umgesetzt als letztes Jahr? Ich denke, dass dies keine unwesende Variable für die Zustandsbeschreibung der deutschen Comicszene ist.

Helmut meint in Bezugnahme auf eine frühere Diskussion im Forum:

Nicht erwähnt [wird] in der Diskussion, welche Rolle es spielen könnte, dass zumindest ein Teil der deutschen Comicschaffenden selbst die Möglichkeiten ihres Mediums unterschätzt oder nicht begreift. […] Vielleicht würde der eine oder andere deutsche Comicschaffende auch davon profitieren, (a) mehr in Richtung Manga zu schielen (diese dogmatischen Grenzziehungen hab ich eh nicht begriffen) und (b) mehr in Richtung Film, und (c) sich einfach mal trauen, Sachen auszuprobieren, statt an den ewig gleichen altbackenen Vorbildern dialoglastigen Erzählens hängenzubleiben?
[…]
Sogar im Künstlerbereich selbst spürt man das: Interesse konzentriert sich dorthin, wo auf Bekanntes aufgesetzt wird (Romanadaption, (Auto-)Biographie, Geschichte – hurraaah!). Kaum jemand hierzulande traut offenbar sich selbst oder einem Typen aus der deutschen Nachbarschaft ernsthaft Kreativleistung zu, da hält man sich lieber an Altbewährtes, da weiß man, was man hat.

Kai Schwarz (Programmleiter Carlsen Manga):

Sehr interessantes Gespräch!
 Was mir auffällt (ist aber nicht wertend gemeint): deutschsprachige Manga wurden in der Runde nicht diskutiert, obwohl gerade diese von den Autor(inn)en und Zeichner(inn)en oft als Genre-Unterhaltung (Romance, Boys Love, Thriller, Fantasy, Science Fiction…) geschaffen werden. Zumindest was Comics in den buchhändlerischen Märkten – jenseits Pressevertrieb also – betrifft, dürften Manga-Eigenproduktionen noch am ehesten ein Mainstream-Publikum jenseits von Graphic Novel & Co. sowie Knubbelnasen bekannter Stars wie Ralf König erreichen…

© Helge Vogt/Carlsen

© Helge Vogt/Carlsen0

Martin Jurgeit (COMIX-Herausgeber):

Auch in Frankreich/Belgien oder den USA ist die Situation nicht so viel besser als bei uns – alles nur auf einem „etwas“ erträglicheren Level. Gravierend besser ist die Situation nur in Japan, wo von Top-Bänden immer noch zwei oder drei Millionen Exemplare REGELMÄSSIG verkauft werden. Von manchen Serien können so kumuliert an die 15 oder sogar 20 Millionen Exemplare pro Jahr verkauft werden!

Es fällt aber auf, dass es sich hierbei beinahe ausschließlich um Shōnen-Serien handelt, die möglichst breit vom Zielpublikum aufgestellt sind (Action/Abenteuer/Comedy-Mix) und oft parallel in diversen Medien bzw. Kunstformen (Manga, Anime, Computerspiel) präsent sind. Inhaltlich entsprechen diese Stoffe auf Europa übertragen am ehesten den klassischen Semi-Funnies wie Tim und Struppi, Asterix oder Spirou und Fantasio.

 Nur leider gibt es (derzeit) kaum deutsche Genre-Comics, die konsequent in diese Richtung steuern. Aber da, wo das dann doch in Ansätzen mal ausprobiert wird wie bei Alisik, da ist dann auch gleich ein wirklicher Erfolg zu verzeichnen, was zu denken geben sollte. Es ist auch kein Zufall, dass der Alisik-Autor aus dem Mosaik-Umfeld stammt …

Helmut:

[…] Klar kann eine Produktionspipeline nach Marvel-Vorbild handwerkliche Qualität und Durchsatz besser optimieren – aber den Vorteil des intuitiven Arbeitens und all der spontanen Ideen, die in einen Autorencomic noch einfließen können, den gibt sie dafür auf.
Ich denke, die deutsche Comicszene als Ganzes könnte viel gewinnen, wenn sie vom Versuch ablassen würde, vermeintlichen, in dieser Form möglicherweise gar nicht existierenden „internationalen Qualitätskriterien“ in vorauseilendem Gehorsam hinterherzuhecheln […]

Huckybear:

Ich finde was wirklich eigenes und neues hatte damals Cross Cult mit seinen eigenen dt. Verlagsformat im HC damals trotz aller Bedenkenträger mit Sin City, Hellboy losgetreten-
Kleiner als US, Größer als Manga, kein Album.

Kann z.B. so etwas einfaches wie nur ein eigenes Format deshalb nicht auch eine ureigene Tradition anfangs begründen oder müssen wir uns immer unseren Vorbildern anhand Ihrer Vorgaben anpassen?

Martin Jurgeit, bezugnehmend auf Huckybear::

Das kleinere, praktische Format ist sicherlich auch ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Graphic Novels (versucht mal lediglich 300 Seiten Lesestoff als Splitter-Alben auf eine Bahnfahrt im Rucksack mitzunehmen). Und das kleinere Format hat sogar in Deutschland große Tradition.

 Schon Ralf König, Brösel, aber auch der frühe Moers wurden alle so seit den 1980er mit großem Erfolg veröffentlicht. Für deutsche Eigenproduktionen war das für viele Jahre quasi eine Art Standardformat bei vielen Verlagen – gerade auch solchen, die breit im Buchmarkt vertreten waren.

Das komplette Gespräch findet man hier im Comicforum.

Und natürlich kann gerne noch weiter diskutiert werden!

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