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Die Welt am Draht, das sind Kommentare, Informationen, Gedanken und natürlich News rund um die Welt der Comics und darüber hinaus.

09.05.2009

Nicht jugendgefährdend
(Die! oder wir muss nicht auf den Index)

Mit der ersten Ausgabe seiner "Proletariats-Comiczeitung" Die! oder wir (siehe Welt am Draht vom 28.2. und taz vom 30.3.) hatte Karl Nagel eine Menge Ärger bekommen. Das Presse-Grosso wollte das Blatt nicht ausliefern, die KriPo Bremen ermittelt wegen Gewaltverherrlichung - und es gab einen Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Dort lief am Donnerstag eine Verhandlung, bei der Verleger Karl Nagel selbst anwesend war. Sie endete mit einem "Freispruch": DOW kommt nicht auf den Index.

Nagel berichtet auf seiner Website:
Die Leute von der Bundesprüfstelle machten einen netten und teilweise auch durchaus humorvollen Eindruck und wissen es zu goutieren, wenn man in voller Rüstung, aber mit offenen Visier vor Ort antritt und radikal für seine Sache kämpft!
Trotzdem wird das erste Heft von Die! oder wir auch das letzte gewesen sein. Denn Karl Nagel, Verleger, Autor und Erfinder von DOW, will aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weitermachen, wie er bereits vor der Verhandlung angekündigt hatte. Schade, denn die 99-Cent-Zeitung war in mehrfacher Hinsicht ein interessantes Experiment.
Kann sein, daß ich die restlichen DOW-Materialien vielleicht noch als Download-Version veröffentliche oder ein schönes Buch damit mache. Mal sehen. Erst mal einen lockeren Sommer genießen, gesund werden und viel Musik machen. Da komme ich wenigstens aus der Bude und kann die Sau rauslassen.
Wir wünschen Gute Besserung und sind uns ziemlich, dass Karl Nagel früher oder später in irgendeiner Form wieder im Comicbereich auftauchen wird.

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posted by Thomas um 11:22 | Permalink


28.02.2009

Provokation gelungen, Patient tot?
(Die! oder wir nicht am Kiosk und kaum im Comicladen)

10.000 Exemplare Druckauflage! Mit Stolz verkündete Karl Nagel letzte Woche in seinem Blog, dass die erste Ausgabe seines "Schundmagazins" Die! oder wir (wir berichteten), soeben aus der Druckerei gekommen sei. Für nur 99 Cent sollte die im Tabloidformat gedruckte Comiczeitung bundesweit an Bahnhofskiosken aufliegen. Doch daraus wird nichts. Einer der Pressegrossisten, die die Verteilung an die Kioske besorgt, hat vorsichtshalber einen Anwalt befragt, ob das Heft unbedenklich ist. Dieser riet jedoch zur Vorsicht: "Aufgrund der dargestellten Gewaltexzesse und sich hieraus ergebenden schweren Jugendbeeinträchtigung ist das Objekt nach unserer Auffassung nicht für einen freien Vertrieb geeignet." (so zitiert Nagel aus dem Anwaltsschreiben) Und deshalb entschieden sich die allermeisten Verkaufsstellen, das Heft nicht auszulegen.

Für die angenommene "Jugendbeeinträchtigung" (was für ein Wort!) hat wohl in erster Linie das Cover von Die! oder wir #1 gesorgt, das nicht gerade diplomatisch daherkommt. Der Leser blickt in den Lauf einer Pistole, die jedoch nicht auf ihn gerichtet ist, sondern auf einen Lehrer, wie man in der verspiegelten Sonnenbrille des Schützen sehen kann. Dort steht ein Lehrer mit erhobenen Händen vor einer Tafel mit der Aufschrift "Ich bin ein Scheiß-Lehrer". Dass er diesen Satz offenbar in Spiegelschrift geschrieben hat, versuchen wir mal zu ignorieren. In der Geschichte, die zur Coverabbildung gehört, sind gröbere Gewaltdarstellungen vorsorglich mit ironischen Zensurbalken überdeckt, trotzdem geht es recht blutig zu. Die Story dreht sich um einen Amoklauf an einer Schule, dem etliche Lehrer zum Opfer fallen. Schon möglich, dass sensible Jugendschützer so etwas anstößig finden.

Wohlgemerkt: Die! oder wir ist weder verboten noch indiziert, es kann im Prinzip völlig legal verkauft werden. Der zitierte Anwaltsbrief ist lediglich eine Einschätzung, die besagt, dass es durchaus zu Indizierungen der BPjM oder gar zu einer Beschlagnahme nach §131 des Strafgesetzbuchs kommen könnte, wenn eine entsprechende Instanz sich zu einem Eingriff veranlasst sieht. Diesen möglichen Ärger wollen die meisten Verkaufsstellen vorsorglich vermeiden und verkaufen das Heft nicht. Andere wiederum haben diese Bedenken nicht: Der Hannoveraner Comicladen "Phantastische Zeiten" legt das Heft nicht nur aus, sondern betreibt auch offensive Schaufensterwerbung.

An Bahnhofskiosken wird Die! oder wir nun also fast nirgends zu finden sein, außerdem bekam auch der Comicvertrieb PPM kalte Füße und will das Heft nicht an Comicläden vertreiben. Und wie geht's jetzt weiter, was passiert mit den 10.000 Exemplaren? Die meisten davon werden wohl vernichtet werden. Die hohe Auflage, die flächendeckende Verbreitung und damit der niedrige Preis sind für künftige Ausgaben erstmal gestorben. An einer Vertriebslösung für Comicläden wird noch gebastelt, außerdem setzt Nagel verstärkt auf den Einzelverkauf durch "subkulturelle Kanäle", z.B. auf Punkkonzerten. Eine Bestellmöglichkeit beim Verlag gibt es nicht - oder doch? Seit gestern ist das Heft auch im Online-Shop bestellbar. Als Rettungspaket für 5 Milliarden Euro. Wer grade nicht soviel hat, darf (nach dem Vorbild von Radiohead und anderen Bands) selber einen Preisvorschlag machen.

Karl Nagel, der sich mit Provokationen sehr gut auskennt, nimmt's also recht gelassen. Trotzdem schade, dass das Experiment "Comics für 99 Cent" schon gescheitert ist, bevor's überhaupt richtig los geht. Zumal das Heft ziemlich gelungen ist. Vor allem die erste Geschichte "Imperium Arche" rockt, nicht zuletzt wegen den Zeichnungen von Vincent Burmeister. Aber die Vertriebsstellen sitzen am längeren Hebel. Die Antwort auf die Frage "Die oder wir?" muss wohl vorläufig lauten: die.

Viele Infos zum Thema gibt es auch in diesem Comicforum-Thread (ab Beitrag #86).

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posted by Thomas um 16:50 | Permalink


10.11.2008

Schund für die Massen
(Karl Nagels neue Comiczeitung)

Wer 2006 in Erlangen auf dem Comic-Salon war, dem werden noch Karl Nagels flammende Reden in Erinnerung sein, die am Stand der Alligatorfarm geschwungen wurden. Seine Kernthese: Comics waren mal billiger Schund, jetzt sind es nur noch teure Sammelobjekte, die in edler Ausstattung zu überhöhten Preisen in einem Markt vertickt werden, der nur noch aus ergrauten Sammlern besteht.

Mit den Comics der von Nagel gegründeten Alligatorfarm sollte gegengesteuert werden, wobei das Farm-Flaggschiff Perry gewollt oder ungewollt natürlich auch teilweise wieder bei genau jenen ergrauten Sammlern landete. Mittlerweile hat Karl Nagel die Farm in andere Hände gelegt, er selbst bleibt den Comics jedoch weiterhin erhalten. Er gründete den neuen Verlag Tikoloshe (nach einem boshaften Fabelwesen aus der Zulu-Mytholgie) und gibt dort ein "Prekariats-Magazin"heraus, ein Comicheft, das wild, ungestüm, provokant und dreckig sein will. Und vor allem: Billig.

Die! oder wir soll es heißen, eine Ausgabe, auf Zeitungspapier gedruckt, soll 99 Cent kosten. Verkauft werden soll das Teil nicht nur im Comicshop und im Bahnhofsbuchhandel, sondern vor allem auch dort, wo die Subkultur zuhause ist, die Nagel primär erreichen möchte. Beim Punk-Mailorder, beim Rockkonzert oder direkt auf der Straße. Mehr zum Konzept hinter Die! oder wir erklärt Nagel im Comicforum.

Seit dem Wochenende nun gibt es eine - kostenlose - Nullnummer, die in einer Auflage von 28.000 Stück verteilt wird und kostenlos als PDF im Netz verfügbar ist. Auf 16 Seiten wird das Konzept in Comicform vorgestellt, dazu gibt es eine erste Story, gezeichnet von Stephan Hagenow, als Vorgeschmack auf künftige Inhalte. Der Kurs ist hier schon erkennbar: Laut, dreckig, gemein, provokant. Nicht umsonst ist Karl Nagel ein Urgestein der Punkszene und diese Attitüde merkt man dem neuen Projekt deutlich an.

Die erste Story "Hurra wir haben ein Baby" ist inhaltlich und zeichnerisch ziemlich rotzig und derbe geraten und genau so will das Heft auch sein. "Die", das ist das Establishment, die Wohlhabenden, der Mittelstand. "Wir", das sind die Obdachlosen, das Prekariat, die Punks. Ein recht einfaches Weltbild, in dem viel 80er-Jahre-Zeitgeist mitschwingt, das aber in der Hartz-IV-Republik durchaus eine Realität findet, an der es andocken kann. Und Karl Nagel ist schlau genug, um seine oberflächlich platten Parolen zwischendurch auch ironisch zu untergraben.

Wie auch immer man zu den Schundcomics aus dem Hause Tikoloshe stehen mag, ein kleiner Stachel ihrem Fleisch kann der gemütlichen Comicwelt eigentlich nur gut tun. Dass die Provokation à la Nagel gut funktioniert, zeigt sich in einem Thread im ComicGuide-Forum. Das Aufmischen scheint also schonmal zu klappen. Genaueres erfahren wir dann im Frühjahr 2009, wenn die erste Ausgabe von Die! oder wir in den Verkauf geht.

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posted by Thomas um 20:16 | Permalink