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Dagobert Ducks Unternehmensgeist und das Heute

Dem reichsten Enterich Entenhausens mangelt es kaum an Facetten ‒ was ihn nun zum Verständnis modernen Wirtschaftswesens umso erforschungswürdiger macht.

Fiktion und Realität stehen sich häufig näher als zu erwarten – selbst in der kargen Wirtschaftslandschaft −, wie man im folgenden Beitrag zu zeigen wissen wird. Denn eigentlich bestehen kaum Zweifel daran, wie eine spontane Antwort auf die Frage nach dem wohl paradigmatischsten, alles übertreffenden Beispiel für Reichtumsverkörperung lauten könnte. Nicht die Könige Midas und Krösus würden vorkommen, aber ein „Mann“ würde es fast immer bis auf das Siegertreppchen schaffen: Dagobert Duck.

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Bei einem Anflug von Skepsis versuchen Sie es am besten gleich bei Ihrem Gesprächspartner ‒ Sie werden staunen. Trotz legendärem Status wird die Comicfigur aus Carl Barks’ Feder (Jahrgang 1947) zumeist nur als solche wahrgenommen, ohne sich ihrer besonderen Komplexität (und Lehrfähigkeit im Heute) zu versehen. Nun ja, Launenkapriolen, der ausgesprochene Hang zu Dumpinglöhnen (wenn überhaupt) oder totalisierende Knauserigkeit trotz unaussprechlichen Vermögensbeständen zählen nicht unbedingt zur positiven Hinterlassenschaft an die Nachfahren. Abgesehen davon sind die literarisch hochkarätigen Inspirationsquellen (z. B. Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens’ A Christmas Carol), die Dagobert Ducks Figur seit je zugrunde liegen, Beweis genug dafür, dass hinter dem reichsten Bewohner Entenhausens viel Facettenreichtum steckt. Dass der Ducksche Unternehmensgeist im wirtschaftlichen Heute vertreten ist, beweist die nachstehende Würdigung einiger Grundeinstellungen des bekanntesten Enterichs zu Wirtschaftsfragen:

  1. „Zeit ist Geld“[1]:
    Aus individueller Sicht mag diese Maxime utilitaristisch klingen. Aber falls man „Geld“ mit „wertvoll“ ersetzen sollte, würde der Leitsatz ethisch einwandfrei sein. Aus kollektiver Perspektive ist er jedenfalls schon in seiner ursprünglichen Fassung nicht zu beanstanden. Finanzmärkte reagieren in Krisensituationen beispielsweise besonders empfindlich, wobei Zustände des Hochgefühls genauso rasch auf Talfahrten folgen können. Promptes Reaktionsvermögen ist also mehr als erforderlich, um unnötige milliardenschwere Verluste zu vermeiden. Die angesprochene Zeitvariable lässt sich aber auch auf das Dogma der Effizienz beziehen, das in Zeiten übervollen Alltags aus Berufs- und Privatleben von ganz besonderer Relevanz wird;
  2. nur Bares ist Wahres:
    Kreditkartenextremisten und „Bargeld-gehört-verboten“-Befürworter aufgepasst. Was wäre der reichste Mann ohne sein Faible für Chrematistik (d. h. die Anhäufung von Gold- oder Münzreserven sowie Banknoten)? Steinreich, aber sicherlich nicht legendär.

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    Dagobert Duck schwimmt in Bargeld

    In der Gegenwart stellt Papiergeld bekanntlich meistens immer noch das gebräuchlichste Zahlungsmittel dar, obwohl Rufe nach Bargeldverboten oder -obergrenzen (wobei letztere in verschiedenen EU-Ländern bereits Wirklichkeit sind) immer noch nachhallen. Sie sollten es aber kaum, weil Zahlungsstatistiken oder Schalterstürme in Krisenzeiten (vgl. das englische und griechische Beispiel in den Jahren 2007 und 2015) noch lautstärker besagen, dass die meisten Wirtschaftssubjekte immer noch weit davon entfernt sind, sich vom Baren loszulösen. Wenn dieses Fazit in Jahren wirtschaftlicher Windstille unterzugehen droht, werden Ökonomen und Politiker mit aller Wucht in Tagen äußerster Unsicherheit daran erinnert. Die wiederkehrenden Forderungen nach Bargeldobergrenzen bleiben jedenfalls so pauschal wie der europäische Flickenteppich aus gesetzlich geltenden Limits: Wenn in der Tschechischen Republik Bargeldzahlungen bis 14.000 Euro pro Tag oder in Polen 15.000 Euro pro Transaktion zulässig sind, gilt in Ländern wie Frankreich oder Spanien jeweils ein Limit von 3.000 Euro und 2.500 Euro[2]. Denkwürdig ist zudem auch das italienische Beispiel, wobei erst vor wenigen Wochen die seit 2012 gültige Bargeldobergrenze von 999,99 Euro auf 3.000 Euro aufgestockt worden ist. Wieder einmal zeigt sich, dass Legalität nicht mit Bargeldverboten einhergeht – nur konjunkturschwächende und die Privatsphäre gefährdende Effekte lassen sich in jenen Ländern erzielen, wo immer noch eine ausgesprochene Vorliebe für Bares besteht. Noch etwas sollte genauso Anlass zu Überlegungen geben: Die Vereinigten Staaten von Amerika, die seit je als Wiege elektronischer Zahlungen gelten, weisen auch keine Bargeldobergrenzen auf. Kaum zu denken, was Dagobert Duck von einer bargeldlosen Gesellschaft gehalten hätte;

  3. Mythos Geldspeicher:
    und da wären wir beim nächsten, mit dem vorherigen in direkter Verbindung stehenden Punkt angelangt. Damit lässt sich auch erklären, wieso die Aufbewahrung von Ersparnissen unter einem (metaphorischen) Kopfkissen bei niedrigen Zinsen große Beliebtheit genießt;
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  4. reich werden ist einfacher als reich bleiben[3]:
    manch einem mag es wie ein typischer Wohlhabendenspruch klingen. Die Kernbotschaft an den privaten und öffentlichen Bereich bleibt allerdings unverändert: Egal ob Erbschaften, Lottogewinne oder hart erarbeitete Gewinne bzw. Haushaltsüberschüsse, die echte Herausforderung liegt im nachhaltigen Umgang mit ihnen;
  5. Dagobert Ducks halbneuer Zylinder:
    hinter dem pathetischen Spruch, den der reichste Mann jedes Mal von sich gibt, wenn seine 1910 erworbene Kopfdeckung oder sein 1902 gebraucht gekaufter Gehrock[4] auch nur ansatzweise zerknittert zu werden drohen, steht ebenso viel mehr. Er soll vor allem bedeuten, dass „Gebrauchtes“ nicht immer für „Kaputtes“ steht. Im übertragenen Sinne lehrt uns zudem, dass nachhaltiges Wirtschaften auch die Wiederverwertung von Gebrauchtwaren voraussetzt. Es ist also kein Wunder, dass das Internet sich seit Jahren nicht mehr ausschließlich auf Neuwaren konzentriert, sondern es nur so vor Anbietern sprudelt, die sich auf den An- und Wiederverkauf von Gebrauchtem spezialisiert und darin ein profitables Geschäft entdeckt haben;
  6. Faktor „Nummer eins“:
    wer kennt die Legenden nicht, die sich um die ersten zehn Kreuzer Dagobert Ducks ranken? Ihr meint das Finanzgenie aus Entenhausen, seinen ganzen Erfolg zu verdanken: Die zügellöse Untröstlichkeit, sobald der Glückstaler der auch nur geringsten Gefahr ausgesetzt sein sollte, scheint also etwas verständlicher. Bei genauerer Betrachtung ist es keine Verzerrung zu behaupten, dass Finanzmärkte, nämlich die heutigen obersten Richter politischen und wirtschaftlichen Handelns, sich von den gleichen Prinzipien leiten lassen. Nicht nur halten sie sich besonders gerne an Routine (und vertragen keinerlei Ungewissheit), sondern sie weisen an Aberglauben grenzende Verhaltensmuster auf, die allzu wenig mit dem Postulat des „alles wissenden Wirtschaftssubjekts“ (homo oeconomicus) gemeinsam haben. Gerade diese Allergie gegen Unsicherheit schlägt sich allzu oft in Aktienkäufe erst nach Nachrichtenlage oder diffuse Angst vor dem Sommerloch, das manchmal gezeigt hat, für unerwartete Überraschungen an den Finanzmärkten besonders gut zu sein;
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  7. der „Daniel-Düsentrieb-Trumpf“:
    bei allem mantraähnlichen Festhalten an konsolidierten Mustern weiß die Wirtschaftswelt nur allzu gut, dass Innovation und Investitionen unerlässlich sind, um Wettbewerbsvorteile aufrechtzuerhalten. Ein möglichst schneller und günstiger Weg soll also her, um diesem strukturellen Engpass zu entkommen: Im Falle Dagobert Ducks ist es der „Herr Ingenieur“, nämlich der Erfinder Daniel Düsentrieb, der jedes Mal trotz knickerigem Budget für das erfinderische Nonplusultra zu sorgen hat. Im heutigen Globalisierungszeitalter verschaffen der Industrie Hilfsmittel wie Verlagerung den nötigen Spielraum, um den Spagat zwischen Massenproduktion, Erneuerung und Kosteneinsparungen zu ermöglichen;
  8. Feilschen und Sparen um jeden Preis:
    egal, ob es sich im Falle der wohl geizigsten Charakterfigur naturgegeben anhören kann: Sie feilscht immer, was das Zeug hält. Wundert es also, dass die herrschende Hyperkompetitivität die heutige Geschäftswelt de facto dem gleichen Prinzip unterwirft? Nicht wirklich. Der wohl einzige Unterschied zu Ducks Lebensphilosophie ist eher die nüchterne Feststellung, dass der prominente Enterich trotz Fantastilliarden sehr bescheiden lebt. Der fürwahr lebende Beweis, dass Kohärenz unschätzbar wertvoll ist;
  9. Kommunikationstalent:
    es besteht kein Zweifel daran, dass Dagobert Duck auch ein Meister der Kommunikation ist. Nicht, dass er wegen seines chronischen Geizes keine Kritik einstecken müsste. Wenn es aber ums Werben in eigener Sache (oder seiner unzähligen Unternehmen) geht, tritt er selbst vor die Kamera ‒ doch nicht wegen der Werbekosten, oder? ‒ und zieht selbst den erbittertsten Zweifler, der als Kunde in Frage kommen könnte, auf seine Seite. Wenn man nun den Wandel in der heutigen Werbebranche hinzuzieht, stößt man auf interessante Parallelen: immer öfter werben nämlich Unternehmensverantwortliche selbst für das Konzern. Damit lässt sich noch aussagekräftiger (als durch Einsatz „routinierter“ Werbebotschafter (endorser)) besagen, dass man mit dem eigenen Image für die Qualität des Produkts stehe. Weniger ist manchmal also mehr;
  10. Geiz ist nicht immer geil:
    obwohl Dagobert Duck profitorientiert ist, kann er auch ein echter Edelmann sein. Sei es einmal auf Anordnung seiner Neffen oder wegen eigener Gewissensbisse, er geht nie rücksichtslos vor ‒ wenn schon, dann nur solange sein Gegner einen praktikablen Ausweg haben würde. Ob die heutige globale Wirtschaft ähnliche Prinzipien befolge, wird dem Leser überlassen.

Zu guter Letzt ist selbst Dagobert Duck nicht immun gegen das für alle Vermögenden wohl bedrohlichste Szenario: was wird aus den angehäuften Reichtümern, sobald ich nicht mehr sein sollte? Wenn das Thema in der Entensaga nur dann angeschnitten wird, sobald Onkel Dagobert den Neffen Donald Duck zu enterben droht, stellt man wieder einmal fest, wie die Wirtschaftsrealität von solchen Vorkehrungen zur Sicherung der Vermögensbestände genauso geprägt ist. Man hat es also mit viel mehr als einer legendären Comicfigur zu tun: sie ist eher ein hochkomplexes Artefakt menschlicher Imagination, das nicht auf bestimmte Altersgruppen reduziert werden sollte. Durch die Tatsache, dass die Abenteuer, die ihn jedes Mal zu neuem Leben erwecken, in unterschiedlichen Dekaden entstanden sind, hat seine Person kontinuierlich an Charakterstärke gewonnen ‒ und man sieht es auch. Eins sei aber vornherein klargestellt: Postmodernem Wirtschaften steht er in nichts nach.

Alle Abbildungen ©Disney

Quellen:
[1] Lustiges Taschenbuch 233

[2] http://www.europe-consommateurs.eu/en/consumer-topics/buying-of-goods-and-services/cash-payment-limitations/

[3] Nach dem Lustigen Taschenbuch (Enten-Edition) 29

[4] Nach Don Rosas Der Milliardär im Hochmoor (1993)

Unser Gastautor Edoardo Beretta ist promovierter Post-Doc-Forscher an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Università della Svizzera italiana (USI) in Lugano (Schweiz) und Adjunct Professor an der Franklin University Switzerland (FUS) in Sorengo (Schweiz). Trotz seiner mikro- und makroökonomischen Interessen (oder gerade deswegen) hat er dem wohl bedeutendsten Self-made-Tycoon, Dagobert Duck, einen Beitrag widmen wollen.

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