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Verleihung Comicbuchpreis 2015

Mit dem Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung, der letzte Woche in Stuttgart zum ersten Mal verliehen wurde, ist eine neue jährliche Auszeichnung für Comics ins Leben gerufen worden − und die mit 15.000 Euro Preisgeld sogar höchstdotierte.

Dabei wird der Preis explizit für ein unveröffentlichtes Projekt vergeben, um damit die Weiterarbeit oder den Abschluss des Comics zu ermöglichen. Comickünstler haben es in Deutschland nicht leicht. Es gibt kaum Stipendien oder dotierte Auszeichnungen, die einem die lange Zeit, die es dauert, einen Comic zu machen, überbrücken oder gar eine Art Einkommen darstellen.

Für den Comicbuchpreis 2015 wurden 113 Arbeiten eingereicht; eine Jury wählte zehn Finalisten und kürte daraus die erste Preisträgerin dieser Auszeichnung: Birgit Weyhe mit ihrem Projekt Madgermanes − abgeleitet von „made in Germany“. Darin erzählt die Künstlerin − die einen Teil ihrer Jugend in Afrika verbrachte −  aus der Sicht dreier fiktiver Protagonisten von den 15.000 mosambikanischen Vertragsarbeitern, die in den 1980er Jahren in der DDR arbeiteten und schlussendlich um 60 % ihres Lohns betrogen wurden.

Comicbuchpreis2015

Die Preisverleihung fand im Literaturhaus Stuttgart statt, dessen Stuhlreihen komplett belegt waren. Ein schöner Gedanke, wenn durch diese Preisverleihung mehr Menschen Comics für sich entdecken sollten.

Volles (Literatur-)Haus

Volles (Literatur-)Haus

Nachdem Stiftungsgründer Prof. Dr. Berthold Leibinger den neuen Preis und dessen Zielsetzung vorgestellt hatte, beschrieb Jurymitglied Dr. Thomas von Steinaecker die Rezeption und das Arbeiten an Comics in Deutschland. Einige seiner allgemeinen Aussagen − wie dass Reprodukt, Avant und Carlsen die wichtigsten Comicverlage in Deutschland seien − kann man im Detail diskutieren (meinte er damit die wichtigsten Verlage für Comics deutschsprachiger Künstler?), aber im Großen und Ganzen war seine Rede ein gut formuliertes Plädoyer für die Wahrnehmung von Comics als eigenständiger Kunstform. Kritisch vermittelte von Steinaecker auch die Problematiken vom Comicmachen in Deutschland sowie den hauptsächlich zum Marketing verwendeten Begriff der Graphic Novel. Für Leser, die mit der Comicszene vertraut sind, stehen diese Themen erst gar nicht zur Diskussion; für ein Publikum, dem vielleicht zum ersten Mal das Medium Comic nähergebracht wurde, war die Vermittlung dieser Aspekte sicherlich sinnvoll.

Die Laudatio auf die Preisträgerin Birgit Weyhe mit ihrem Werk Madgermanes, das 2016 im Avant-Verlag erscheinen wird, hielt Juror Andreas Platthaus. Er lobte, dass Weyhes Werke die Stilmittel des Comics hervorragend einsetze: „Ein Comic ist kein Bilderbuch, weil in ihm nicht illustriert, sondern interpretiert wird: der Text durch die Zeichnungen, aber genauso auch umgekehrt die Zeichnungen durch den Text. […] Wir sehen bei Ihnen, wie es in der DDR der achtziger Jahre und in der nachfolgenden Wendezeit ausgesehen hat, aber was dort geschehen ist, das müssen wir uns zusammensuchen. Diese Kombinatorik nimmt uns niemand ab.“ Anhand diverser Beispielseiten ging Platthaus dann auf einzelne künstlerische Aspekte des Werks ein. Zum Schluss betonte er in seiner Lobrede die Aktualität, die das Thema Migration unter anderem aufgrund der Pegida-Proteste habe: „Man könnte verrückt werden in diesem Land, wenn es nicht auch beglückende, belehrende, bewegende Bücher hervorbrächte wie das, dem wir heute den Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung verleihen.“

Jurymitglied Andreas Platthaus bei seiner Laudatio auf Madgermanes

Jurymitglied Andreas Platthaus bei seiner Laudatio auf Madgermanes

Eine hervorragende Lesung aus Madgermanes durch den Schauspieler Michael Klammer bildete den Abschluss der Preisverleihung.

Birgit Weyhe ist Preisträgerin des Comicbuchpreises 2015

Birgit Weyhe ist Preisträgerin des Comicbuchpreises 2015

Die begleitende Ausstellung, die Auszüge aus dem preisgekrönten Werk sowie den Bewerbungsmappen der restlichen neun Finalisten präsentiert, ist bis 31. Juli 2015 im Literaturhaus Stuttgart zu sehen, danach im Literarischen Colloquium Berlin. Ein Interview mit der Preisträgerin hat Deutschlandradio Kultur geführt.

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Für den Comicbuchpreis 2016 kann man sich bis zum 1. Juli 2015 bewerben. Alle Informationen dazu findet Ihr auf der Website der Berthold-Leibinger-Stiftung.

Die Finalisten 2015 (Vorstellung hier):
Alan Turing von Robert Deutsch
Venustransit von Hamed Eshrat
Ein deutsches Tier im deutschen Wald von Anke Feuchtenberger
Im Park von Jul Gordon
Lucky Boy von Lea Maria Heinrich
Ein tugendhafter Kopf von Nienke Klöffer
Plus minus Null von René Rogge
Seelenfresser – Hoffnung von Schwarwel
Candide oder der Optimismus, Voltaire von Ji Hyun Yu

Die Jury 2015 bestand aus zumeist bekannten Namen:
Andreas Platthaus (FAZ, Frankfurt), Vorsitzender der Jury
David Basler (Edition Moderne, Zürich)
Prof. Dr. Frank Druffner (Kulturstiftung der Länder)
Dr. Brigitte Helbling (Hamburg)
Dr. Florian Höllerer (Leiter Literarisches Colloquium Berlin)
Dr. Stefanie Stegmann (Leiterin Literaturhaus Stuttgart)
Dr. Thomas von Steinaecker (Augsburg)
Lars von Törne (Tagesspiegel, Berlin)

Jury, Preisträgerin und Finalisten des Comicbuchpreises 2015

Jury, Preisträgerin und Finalisten des Comicbuchpreises 2015

Alle Fotos © Comicgate/Frauke Pfeiffer

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