Autor: Christian Muschweck

Eine Weihnachtsgeschichte

Es sieht aus, als würde sich José Luis Munuera im 19. Jahrhundert der Industrialisierung recht wohl fühlen. Vor noch gar nicht langer Zeit war es das New York von Hermann Melvilles Bartleby, dem Schreiber, jetzt hat er sich dem London von Charles Dickens‘ Christmas Carol angenähert. Und wenn es nicht die durchindustrialisierten, verdreckten Städte sind, dann begibt er sich gerne in die Peripherie dieser Ära, aufs Land, wie zuletzt bei seinem Gastauftritt bei den Blauen Boys (Nummer 49) oder auch seiner KI-Steampunk-Fantasy Rostige Herzen.

Letztes Wochenende im Januar

Gebe ich „Angoulême“ und „Vivès“ bei Google ein, erhalte ich viele Informationen über den Eklat von 2022, als Bastien Vivès die traditionelle carte-blanche-Ausstellung entzogen wurde, weil man ihn auf Grund provokativer Bemerkungen für nicht tragbar hielt. Nichts darüber, dass Vivès‘ neuer Comic auf dem Festival in Angoulême spielt. Ich war sehr gespannt, ob Letztes Wochenende im Januar, das in Frankreich im November 2022 erschien, eine Aufarbeitung oder gar Abrechnung enthalten würde, aber offensichtlich versucht der Künstler, dieses unrühmliche Kapitel hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken. Und doch, wenn man will, sieht man zwischen den Zeilen durchaus eine melancholische Reserviertheit gegenüber dem Festival – und, ja, auch der Szene.

Vatermilch 2: Unter der Oberfläche

Es gibt ja einige Comics über Obdachlose: Vernon Subutex von Luz, Blast von Manu Larcenet, Penner von Christopher Burgholz, und ganz sicher gehört auch Daredevil: Born Again von Frank Miller und David Mazzuchzelli dazu. Nie aber war uns ein Obdachloser wohl unsympathischer als die Figur des Rufus Himmelstoß in Uli Oesterles Vatermilch. Bevor er aus der Gesellschaft fällt, betrügt er Frau und Kind, nachdem er eine Mutter und ihre zwei Kinder im Suff totgefahren hat, vergeht er in Selbstmitleid, unfähig, sich seiner Schuld zu stellen. Und für so eine Null sollen wir uns ernsthaft interessieren?