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Währenddessen… (KW 43)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Mein Name ist Daniel Wüllner. Ich bin 39 Jahre alt und ich spiele Brettspiele. Die ca. 190 000 Besucher auf der SPIEL 2018 können über sich ähnliches sagen – abgesehen vom Alter. Auch sie haben sich die letzten vier Tage durch die Grugahalle in Essen geschoben, um über 1400 Neuheiten anzuspielen.

Ohne groß in die Details zu gehen, zeige ich euch einfach mal meine Entdeckungen im Bild und sag zu jedem ein paar Worte:

Treasure Island stand bereits vor der Messe auf meiner Liste ganz oben. Warum? Weil man auf der Karte der Schatzinsel schön mit bunten Stiften malen muss. Es gilt Long John Silvers Schatz zu finden, solange der noch im Gefängnis sitzen. Entweder wird er verhört oder man sucht selbst. Das Spiel ist abhängig von den Informationen der Einzelnen und ob sie bereit sind diese mit den anderen Suchenden zu teilen. Nach ein paar Runden, sieht der abwischbare Plan aus, wie die taktischen Aufzeichnungen von Jogi Löw im Spiel gegen Holland.

Die Neuheit mit dem besten Name: Krasse Kacke. „Der Papagei hat nicht ins Wohnzimmer gekackt, es war der Hamster.“ Kaum ausgesprochen, hauen alle Spieler ihre Hamster in die Mitte. Wer erster ist, darf ein anderes Haustier bezichtigen. Doch das Blame Game geht nur weiter, solange jemand das beschuldigte Tier auf der Hand hat. Gleichzeitig schnell reagieren und sich merken, was die anderen abgeworfen haben. Krasse Kacke ist krass.

Und der Oscar für das Spiel in der Kategorie „ernstes Thema“ geht an: Holding On: Das bewegte Leben des Billy Kerr. Wir sind Krankschwestern und -pfleger, die gemeinsam Billy helfen müssen, obgleich wird wissen, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Deshalb helfen wir ihm, sich zu erinnern und mit einer Vergangenheit abzuschließen. Deshalb reden wir mit ihm, anstatt ständig Morphium zu verabreichen. Ob Brettspiele mehr sein können als bloße Unterhaltung hängt auch von Billy ab. 

Mein Favorit für das nächste Spiel des Jahres: Meeple Circus. Selten haben Männchen in Brettspielen so elegant geturnt. Ein einfaches Geschicklichkeitsspiel bei dem die Finger zum Dompteur werden. Nach zwei Vorführungen kommt es zum großen Finale. Dort steht einer nach dem anderen im Rampenlicht und kann Extrapunkte sammeln, wenn er während der Vorstellung über seine Akrobaten tratscht oder einen Trommelwirbel auf der Tischplatte veranstaltet, bevor er die letzte Figur auf seinem Turm aus Holzelefanten platziert.

Viele Neuheiten in Essen haben gemeinsam, dass sie dem Spieler Geschichten erzählen oder ihn erzählen lassen. Für die Süddeutsche Zeitung habe ich diesen Trend zusammengefasst und fünf interessante Neuheiten vorgestellt.

Christian: Währenddessen habe ich nun tatsächlich zwei volle Staffeln Riverdale auf Netflix gesehen und eine ausschweifende Hassliebe entwickelt. Klar, die heile Welt der Archie Comics anzudüstern ist eine super Idee. Sozusagen die Vertigo-Version der Archie Comics. Aber was für ein Overkill an der naiven Unschuld der Vorlage. Ständig wird irgendwer von irgendwem erpresst, und in Staffel 2 kommt es in einer Episode gleich mehrfach zu Misshandlungen von Personen, die an einen Stuhl gefesselt wurden. Mal aus den „richtigen“, mal aus den falschen Gründen.

Nach 30 Folgen gibt es keine Figur mehr, die nicht moralisch korrumpiert und entsprechend angreifbar ist. Heftig zum Beispiel, wie einer korrupten Rocker-Anwältin, die ihre Macht mehrmals missbraucht hat, von Jughead, der zu den „Guten“ zählt, ein Tattoo aus dem Arm geschnitten wird. Heftig aber auch, wie dem Sohn eines Mafioso, einem rücksichtslosen date rapist, mitgespielt wird: Erst werden ihm beide Beine gebrochen – weil das aber noch nicht reicht kriegt er, nachdem er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, auch noch Archies Faust. Und wie! Klar, es trifft keinen Falschen, und eine Netflix-Serie ist wohl nicht der richtige Platz, um Selbstjustiz differenziert zu diskutieren. Trotzdem ist es erzählerisch ein bisschen zweifelhaft, wenn dergestalt die Gewaltspirale angezogen wird, dass die Gewalt der „Guten“ die noch heftigere Gegengewalt ihrer Feinde auslöst. Das wird schnell hässlich.

Obwohl die Serie sich vom naiven Charme der Vorlage verabschieden will, ist sie trotzdem genau das: naiv. Beispielsweise, wenn in jeder zweiten Folge mehr oder weniger tagesaktuelle und politische Themen mit dem Holzhammer angesprochen werden, dies aber auf dem intellektuellen Niveau eines Green Lantern-Comics aus den 70ern – damals als Green Lantern als einer der ersten Superheldencomics politische Themen aufgriff. Oder wenn Konflikte zwischen Gangs durch illegale Autorennen gelöst werden. Oder mit Armdrücken! Riverdale ist wirklich eine Serie für Jocks. Die Mädchen klären ihre Konflikte mit Cheerleading Dance-Battles, die Jungs mit Muskeln – und das gilt auch und vor allem für Dreamboat Archie, der zu jeder sich bietenden Gelegenheit die College-Jacke auszieht und sein kataloghaft ausdifferenziertes Sixpack vor die Kamera schiebt. Arrggh. Beinahe betulich ist dann wieder, wie die Outsiders von der armen Southside als Gemeinschaft zusammenstehen. Und der Gang-War zwischen den verfeindeten Southside-Banden und den Schnöseln des reichen Nordens hat was von Westside-Story. Eine richtige kleine Messerstecher-Oper teilweise, mit prallen Straßenkampf-Szenen.

 

Ja, sie haben viel in die Reihe gepackt: Ein Hauch Twin Peaks, Bandenkrieg, Serienkiller-Plot, Teenager-Soap, Mafia-Serie – und alles wirkt comichaft verzerrt. Am Ende der zweiten Staffel treffen sich die Bösen der ersten zwei Reihen zur Konferenz als wären sie der Joker, der Riddler, der Pinguin, Lex Luthor und Doomsday aus den DC-Comics. Und mit einem Mal ist wieder klar, Riverdale ist eben doch vor allem eine Comicverfilmung. Abgesehen davon, dass klassische Comicfiguren verwendet werden, würde ich es jedoch als Comicverfilmung ohne Vorlage bezeichnen. (Wer mehr über das Subgenre „Comicverfilmung ohne Vorlage“ wissen möchte, dem möchte ich Roland Kruses Artikel in Comicgate Magazin X sehr ans Herz legen.)

PS: Noch ein paar Nachgedanken zu Riverdale. Ich habe mich schon immer gefragt, was die völlig überzuckerte, schwülstige Musik eigentlich soll, die nach jeder Folge im Abspann läuft. Zum einen erinnert der Abspann zwar offensichtlich an Angelo Badalamentis Score zu Twin Peaks, aber angesichts dessen, wie Riverdale in Season 3 immer noch überzogener, abwegiger und kitschiger wird, ist die wahre Referenz eher nicht Twin Peaks, sondern Invitation to Love, die Fernsehsoap, die die Bewohner von Twin Peaks wie besessen ansehen.

Invitation to Love ist genau um einen Grad weiter von der Realität entfernt als es Fernsehserien üblicherweise sind. Ich nenn das mal eine Serie zweiter Ordnung. Diese Verfremdung gibt der Serie in der Serie eine ironische Note und lässt gerade durch ihre Künstlichkeit die übergeordnete Fernsehwelt von Twin Peaks realer erscheinen. Ähnliches lässt sich beim Arnold Schwarzenegger-Film The Last Action Hero bemerken, in dem als Film im Film der fiktive Jack Slater läuft. Auch hier schafft ein deutlicher Stilbruch Distanz zwischen den Erzählebenen der realen und der fiktiven Welt.

Riverdale nun ist dermaßen unrealistisch und überdreht, dass man es getrost direkt für eine Serie zweiter Ordnung halten darf, also eine Serie, wie sie in der Welt von Twin Peaks laufen würde.

Serien in Serien sind oft das Salz in der Suppe einer Erzählung. Manchmal wirken sie interessanter als der Haupterzählstrang. Beispiele für solche untergeordneten Geschichten, die der Haupterzählung die Schau stehlen, finden sich in Jeff Lemires Animal Man und im Stephen-King-Roman Misery. (Leider hat es dieser Aspekt von Misery nicht in die Verfilmung geschafft.) Warum also nicht mal das ganze Stück bekommen als immer nur einen Bruchteil? Es ist sozusagen der Freischein, schriller, größer, bunter, überdrehter und dümmer sein zu dürfen, als es die derzeitigen Sehgewohnheiten eigentlich fordern.

Vielleicht liegt es ja daran, dass heutzutage vielerorts das für sicher gehaltene Weltbild wankt. Oder daran, dass die Trennlinie zwischen Fakten und Fiktionen immer dünner wird, so dass man sein Leben bereits für eine Soap erster Ordnung hält. Früher hätte man eine Serie wie Riverdale als abstrus abgetan, und nicht wenige Kritiker – auch in den U.S.A. – geben der Reihe deswegen auch schlechte Reviews. Lässt man sich allerdings auf das Gedankenspiel ein, dass es keine Serie unserer Welt ist, sondern direkt aus einer Comicwelt zu stammen scheint, wird auf einmal vieles stimmig.

Niklas: Schon wieder ein Buch von Judith Vogt. Was soll ich sagen? Sie füllt Lücken in meinem Regal, die viel zu lange leer waren.

Isaac Asimov nutzte das römische Kaiserreich als eine Metapher für eine galaktische Zivilisation, die unter ihrem Gewicht zusammenbricht und durch weise Lehrer – meistens Männer, es waren die 50er – neu geschaffen werden muss. Judith Vogt dagegen kreiert eine galaktische römische Republik zu Zeiten des Gladiators Spartacus, in der im Detail erklärt wird, was alles mit dieser Gesellschaft derzeit falsch läuft. Eine Menge, wie sich im Verlauf ihres über 600 Seiten starken Romans Roma Nova herausstellt. In seinen besten Momenten ist das Buch ein beißender Kommentar über den Einfluss der Medien und der wankelhaften Liebe des Publikums, hier symbolisiert durch Gladiatoren mit eigenen Merchandise. Wem das alles zu intellektuell ist, kann sich am unterhaltsamen Rest erfreuen.

Denn in Roma Nova wird auf fast jeder Seite fleißig geflucht, gemordet und ge … plant. Die zahlreichen Haupt- und Nebenfiguren weben im Verlaufe der langen Handlung komplexe Pläne, von denen die meisten im Sande verlaufen. Entweder, weil sie nicht gut planten oder weil niemand im Universum über komplette Kontrolle verfügt. Ach ja, Sex gibt es auch. Mal mehr, mal weniger detailliert, aber wer immer noch nach dem nächsten Band von Das Lied von Eis und Feuer dürstet, kommt hier auf seine Kosten. Und das ohne das Gefühl zu haben, aus Versehen den Schmuddelordner eines gewissen Autors mit Bart geöffnet zu haben. Hurra! Freunde der römischen Geschichte werden neben den Namen der Götter auch historische Persönlichkeiten wiederfinden, die den Sprung in die Zukunft überlebt haben. Schön ist auch, wie die Autorin antike Konzepte und Ideen in das Universum einfügt. Mein Favorit ist die Idee aus mythologischen Kreaturen Aliens zu machen, was einfach aber effektiv ist und vor den Augen des Lesers ein vielfältigeres Universum eröffnet.

Im Kern dreht sich die Geschichte von Roma Nova aber um das Thema Freiheit. Die Freiheit sein Leben ohne gesellschaftliche Zwänge zu leben, sich die Personen auszusuchen die man liebt oder die Freiheit alles tun zu wollen, worauf man eben gerade (Wol-)Lust hat. Aber in diesem Universum muss man nicht nur die weltliche Macht des Staates fürchten. Ältere, höhere Mächte haben ebenfalls ein Wort mitzureden, wenn es um das Schicksal der Sterblichen geht und wer sich ihnen unterwirft, ist in der Lage das komplexe Gebilde des Kosmos zum eigenen Nutzen zu manipulieren. Den Launen dieser Wesen ist man trotzdem ausgeliefert. Kann man in so einem Universum wahre Freiheit erringen? Wahrscheinlich nicht und Roma Nova beantwortet diese Fragen auch nicht direkt.

Insgesamt also ein weiteres gutes Buch von Judith Vogt, dem auch dieses Mal nur wenig fehlt, um perfekt zu sein. Für meinen Geschmack hätte es ruhig weniger Freiheitskampf und mehr Gesellschaftssatire sein können, mit mehr Einblicken in das Marketing der Gladiatoren und wie die Medien die römischen Bürger beeinflussen. Ein wichtiger Plottwist zum Verständnis der Welt kam für meinen Geschmack zu früh und beiläufig und nach dem langen Aufbau, fühlte sich das Finale dann doch etwas überhastet an. Ich meine aber gelesen zu haben, dass es eine Fortsetzung geben wird. Gut so. Schließlich kann es nie genug Brot und Spiele geben.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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