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Währenddessen … (KW 35)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: „Du komms‘ hier nich‘ rein.“ Als Türsteher entscheidet der Spieler in Not Tonight, wer in den angesagten Club kommt – und wer draußen bleibt. Dazu muss der Ausweis jedes potentiellen Gasts gecheckt werden – unter Zeitdruck. Das Computerspiel vermittelt den Stress, Entscheidungen zu treffen. Denn der Club hat nicht die ganze Nacht geöffnet, und der Besitzer will zahlende Kunden sehen. Zu Beginn sind die Entscheidungen einfach: Wer noch nicht 18 Jahre alt ist, kommt nicht rein. Wer mit kurzen Hosen in den angesagtesten Club will, bleibt draußen. Ständig muss auf alle Einzelheiten des Ausweises geachtet werden. Natürlich geht es bei einer solcher Entscheidung nicht um Leben und Tod, sondern nur um Clubs oder unvertanzter Dinge nach hause fahren.

Doch die Entwickler von Not Tonight haben sich für ihr Spiel ein besonderes Setting ausgedacht – das gar nicht an den Haaren herbeigezogen ist: England nach dem Brexit. Europäer werden geduldet. Sie wohnen in speziellen Lagern irgendwo in Cornwall und bekommen nur miese Jobs zugeteilt, wie den des Türstehers. Clubs dürfen sie aber nicht besuchen, Franzosen, Iren und Deutsche müssen draußen bleiben. Das Konzept von Not Tonight basiert auf dem Independent-Spiel Papers Please und verpackt die einfachen Entscheidungen am Grenzposten in eine zeitgemäße Hintergrundgeschichte. Das Problem des Spiels ist ein langatmiger Einstieg. Man versteht das Problem des Brexit schneller, als es das Spiel einem zutraut. So dekoriert man sein Zimmer, kauft sich neue Türsteher-Klamotten und wartet auf den Kontakt zu Untergrundorganisation. Nette Witze und unterhaltsames Zeug, dass aber vom Kern des Spiels ablenkt.

Christian: Zunächst wollte ich Netflix ja nur vorübergehend einen Monat lang haben, um mir Matt Groenings Disenchanted ansehen zu können. Mehr nicht. Aber nach Disenchanted, das ich super fand, wollte ich halt dann doch weitergucken. Warum nicht The Walking Dead, dachte ich mir. Das ist easy watching, so der Gedanke, dazu braucht es wenig Hirn.

Vor ein paar Jahren lernte ich eine Schülerin kennen, die gerne ein Walking Dead-T-Shirt trug. Als ich sie eines Tages fragte, wer der Typ auf dem Shirt sei, meinte sie, das sei Daryl, der Typ mit der Armbrust, und das wäre ohnehin der allercoolste, und sie würde sofort aufhören die Reihe zu schauen, wenn die Macher irgendwann beschließen würden, Daryl zu töten. Solche Fans wünscht man sich doch – als ich das hörte, war ich eigentlich schon damals an die Serie verloren. Und tatsächlich, der Redneck Daryl Dixon ist die schönste Figur der Reihe. Ich fiebere jetzt schon der Episode entgegen, in der sein Bruder Merle, der Arsch aus Episode 2 und 3, seine spektakuläre Rückkehr hat. Und dann will ich den Guv’nor sehen, Michonne – und natürlich Negan und Lucille.

Aber eins weiß ich jetzt schon: Eine so coole Figur wie den lernfähigen Zombie Bub aus Romeros Day of the Dead wird es nicht geben. Das liegt einerseits an der seriellen Struktur von TWD, als auch an der morbid-destruktiven Erzählhaltung. Denn mit der fiesen Pointe, dass ein Zombie wie Bub zum Sympathieträger wird, als er den Fiesling des Films mit einer Pistole jagt, würde es nicht bleiben. Früher oder später würde Bub auf jeden Fall im Häcksler landen.

Außerdem hatte George Romero die besseren Soundtracks. Die elektronischen Hypno-Beats von John Harrison sind wie so viele Soundtracks dieser Genre-Ära schönstes Easy Listening und haben mit dem so vorhersehbaren, manipulativen Sound-Design neuerer Produktionen (von Musik kann man oft kaum reden) nicht viel gemein. Die Gorillaz haben die Eröffnungssequenz aus Day of the Dead ja umwerfend gut in ihr Stück M1-A1 integriert.

Eine ungeschnittene Version von Day of the Dead ist hierzulande ja immer noch nicht gestattet – eine geschnittene dagegen schon (– und ich empfehle natürlich nur diese). Hoffentlich ändert sich dieser Umstand bald. Im Rückblick ganz schön fies, wie damals in den 1980ern die kleinen Video-Labels und Videotheken schikaniert worden sind und wie im Vergleich dazu jetzt Netflix mit schierer Marktmacht ganz andere Schrecken in jedes Wohnzimmer streamt. Aber: „Might makes right“, das liest man schon bei Cerebus. Wenn nur die bürokratischen Hürden für eine Befreiung des Romero-Klassikers nicht so hoch wären – wider besseren Wissens aller Beteiligten eigentlich.

Preisfrage: Welches Buch liest Bub im Bild? (Die Antwort gibt es in weißer Schrift.)

(Antwort: Stephen Kings Salem’s Lot)

Niklas: Tief in meinem Herzen bin ich kein Optimist. Nicht in der Welt, in der wir leben. Natürlich habe ich auch gute Tage, aber auf längerer Sicht, fällt es mir schwer, mir eine positive Entwicklung der Menschheit in den nächsten Jahren vorzustellen. Soylent Green von Harry Harrison (hier in der deutschen Ausgabe von 2013) spiegelt meinen Gemütszustand der letzten Monate wider. Natürlich geht es den im Roman beschriebenen Menschen noch schlechter als mir: Im New York des Jahres 1999 (das Buch wurde 1966 geschrieben), hat niemand mehr zu essen, Trinkwasser gibt es kaum noch und die Gesellschaft bricht langsam aber sicher zusammen. In dieser Welt versucht ein Polizist sein Liebes- und sein Berufsleben in den Griff zu bekommen und scheitert. Er scheitert, weil er letztendlich zu klein ist, um etwas in der Welt zu bewegen und weil es auch keinen Unterschied mehr macht, ob er seinen Job macht oder nicht. Die fragile Ordnung, die die Menschheit aufgebaut hat, bricht zusammen und der Mensch wird so oder so aussterben, weil es kein zurück mehr gibt.

Die Welt ist am Ende, warum also weitermachen? Wahrscheinlich, weil niemand willentlich sterben kann und weil aktives Warten auf den Tod es nur noch schlimmer machen würde.

Die Handlung von Soylent Green ist dünn. Es  geht Harrison nicht um einen komplexen Plot, sondern darum, den Leser durch diese verfallene Welt zu führen. Vielleicht sind wir nicht mehr lange von dieser Welt entfernt, auch wenn der Autor meine Ausgabe des Buches ein hoffnungsvolles Nachwort hinzufügt. Ich kann mich dieser Hoffnung leider nicht anschließen. Vielleicht irre ich mich auch. Ich würde es mir wünschen.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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