An dieser Stelle berichten wir von Comic-Events wie dem Comic-Salon Erlangen, der Frankfurter Buchmesse oder dem Münchner Comicfestival. Persönliche Eindrücke, Fotos, Nachrichtenhäppchen und einiges mehr.

24.5.08

Blaukraut bleibt Blaukraut
(Podiumsdiskussion "Graphic Novels ? Neues Genre oder Marketing-Trick?")

"Deine Absicht erst gibt deinem Werke seinen Namen," soll schon Ambrosius von Mailand vor nicht ganz 2000 Jahren gesagt haben. Ralf Keiser (Verleger, Carlsen), Reinhard Kleist (Cartoonist, Cash), Dirk Rehm (Verleger, Reprodukt) und Denis Scheck (Literaturkritiker, Druckfrisch), unter Leitung von Klaus Schikowski, schlossen sich dieser These gleich zu Beginn der Diskussion an. "Graphic Novels - Neues Genre oder Marketing-Trick?" Die lapidare, einhellige Antwort: Eindeutig letzteres.

Auf dieser Grundlage konnte sich eine klare, informierte Diskussion entwickeln. Die Verleger Keiser und Rehm waren sich einig, dass ihre "Graphic Novels" sich als Comics von einer gewissen Dicke und mit einem gewissen qualitativen Anspruch definieren. In Herrn Keisers Haus sei die Sparte für "Alltagsgeschichten" reserviert, während Herr Rehm für Reprodukt sogenannte Genre-Werke nicht ausschliessen mochte - aber das war's auch schon, was Kontroversen anging.

Aus Sicht von Herrn Scheck seien Begriffe wie "Graphic Novel," "Novelle" oder auch "Hörbuch" schlicht Käse und letztlich auch irrelevant - man gehe ja schliesslich auch nicht ins Kino, um sich "Sehbücher" anzuschauen. Aber Scheck zeigte auch Verständnis für das Dilemma der Verkaufspraktiker Keiser und Rehm, die sich mit diversen Vorurteilen gegen das Medium Comic auseinandersetzen müssen und daher auf griffige, attraktive Bezeichnungen angewiesen seien. Keiser brachte den Manga als Beispiel und vermutete, dass der Boom darum wahrscheinlich keiner geworden wäre, hätte man den Leuten einfach "japanische Comics" andrehen wollen. Denn "Comics" waren ein alter Hut fürs Publikum, "Manga" aber war neu - oder klang zumindest so.

Der feingeistige Literaturkritiker Scheck wurde angenehm geerdet durch Herrn Kleist, der in seiner Art als vergleichsweise unprätentiös auffiel und zuweil gar erstaunte Grimassen schnitt, als Scheck in Sachen Eloquenz mal wieder in die Vollen ging. Seine äußerst erfolgreiche Johnny-Cash-Biographie (laut Herrn Schikowski bereits über 10.000 verkaufte Exemplare) habe Kleist nicht mit der Zielsetzung in Angriff genommen, eine "Graphic Novel" zu schaffen, sondern er habe erstmal ausgiebig recherchiert und dann erst beim Schaffensprozess festgestellt, dass es wohl auf einen dickeren Einzelband hinauslaufe.

Ein besonderes Augenmerk der Diskussion lag auf der Frage, wie denn der Buchhandel mit Comics - bzw. "Graphic Novels" - umgehe und in Zukunft umzugehen habe. Die beiden Verleger wünschten sich feste "Graphic-Novel"-Abteilungen in allen Buchläden, während Scheck forderte, nicht das Medium in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Thema. Ein begeisterter Cash-Leser etwa würde sich wahrscheinlich eher für weitere Biographien - gerne auch als Comic - interessieren als für Comics mit anderem Themen.

Comics, so Scheck, seien derzeit auf dem Weg vom kulturellen Nichtschwimmerbecken ins tiefe Wasser, und daher habe man nun die paradiesische Gelegenheit, sie nicht in Ghetto-artige Spezialecken zu verbannen, sondern sie, ganz selbstverständlich und nach Themen sortiert, dem ungleich breiteren Publikum der Prosa-Texte zugänglich und schmackhaft zu machen. Keiser und Rehm begrüßten zwar prinzipiell die steigende Anerkennung des Comics als "ernsthaftes" Medium, wie beispielsweise in den Feuilletons der FAZ und der Süddeutschen Zeitung, gaben aber beide zu, dass sich davon bisher leider wenig bis gar nichts in ihren Auflagenzahlen niederschlage.

Kurz vor Ende wurde, durch eine Zuschauerfrage angeregt, noch vor einer drohenden Überschwemmung des Marktes durch Comics gewarnt, die zwar als "Graphic Novels" verkauft würden, aber nicht den von Keiser und Rehm genannten Standards entsprächen, was wiederum zu Lasten der öffentlichen Wahrnehmung des Mediums gehen könne. Aus Zeitgründen konnte auf diesen durchaus interessanten Aspekt leider nicht mehr näher eingegangen werden.

Die Diskussion als solche darf dennoch ohne weiteres als gelungen betrachtet werden. Wir haben wieder etwas nachdenken und was dazulernen dürfen, und das ist - wie wir wissen - beileibe nicht selbstverständlich.

Anmerkung: Ein Tippfehler wurde korrigiert. Herr Scheck beschwerte sich natürlich über "Sehbücher," nicht über "Seebücher." Ob er etwas gegen Seebücher hat, ist der Redaktion nicht bekannt. Danke für den Hinweis in den Kommentaren! - mof

Labels:


posted by Marc-Oliver um 17:30 | Permalink